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Alfred Krumkühler, *1914

eingewiesen in die "Heilanstalt" Hadamar
ermordet 1942


Neuenburger Str. 21
Bremen-Walle

Alfred Krumkühler


Alfred Friedrich Krumkühler wurde am 9.5.1914 in Bremen als Sohn eines Schiffsoffiziers geboren. Nach dem Besuch der Volksschule begann der 13-Jährige eine Küperlehre im Bremer Hafen. Seine Mutter berichtete später, dass ihr Sohn während der Ausbildungszeit „nicht glänzend gewesen“ sei, die anderen ihn „viel gehänselt“ hätten und er „immer ziemlich für sich“ gewesen sei. Nach der Ausbildung in die Arbeitslosigkeit entlassen, habe er sich immer mehr zurückgezogen und seltsame „Ticks“ entwickelt.

"Er hocke den ganzen Tag auf seiner Stube, lese politische Sachen und habe Zuckungen im Gesicht. Außerdem habe er mehrfach erzählt, dass die Leute auf der Straße ihn sonderbar ansehen würden und mit seinem Kopf irgendetwas nicht in Ordnung sei."

Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Eltern getrennt, seine Mutter war wieder verheiratet; Alfreds Verhältnis zu den Stiefgeschwistern und dem Stiefvater war angespannt. In dieser Situation wandte sich seine Mutter an die Bremer Beratungsstelle für Nerven- und Gemütskranke. Dort empfahl man ihr, den Sohn zur Beobachtung in die Nervenklinik einzuweisen, es bestehe Verdacht auf Schizophrenie. Die Ärzte der Nervenklinik bestätigten die Diagnose und brachten Alfred Krumkühler bald darauf in einer Landpflegestelle auf einem nahe gelegenen Bauernhof unter. Doch hier lief der junge Mann schon kurze Zeit später weg. Auf einen zurückgelassenen Zettel schrieb er:

"Ich bin fort, nicht wegen der Arbeit, sondern wegen meinen Nerven. In meinem eigenen Interesse. Ich muss unter Leute, Abwechslung und Ruhe haben. Hochachtungsvoll Alfred Krumkühler. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich bin normal. Grüßen Sie die Anstalt, […] Alfred Krumkühler."

Knapp zwei Monate später, im Herbst 1933, wurde der inzwischen 19-Jährige abermals in der Bremer Nervenklinik aufgenommen. Die Einträge in der Krankenakte sind nun kurz und beurteilen sein Verhalten im Anstaltsalltag als ausgesprochen negativ. Natürlich war der junge Mann von den Auswirkungen des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, also der drohenden Unfruchtbarmachung, direkt betroffen. Neben dem erwähnten Zettel, den er bei seiner Flucht hinterließ, sind seine protokollierten Antworten auf die Fragen vor dem Erbgesundheitsgericht die einzigen Dokumente, in denen Alfred Krumkühler indirekt selbst zu Wort kommt. Während seiner Arbeitslosigkeit sei er

"[...] jeden Morgen zum Stempeln gegangen. Ein Fahrrad hatte ich auch, das brauche ich aber nicht, was soll ich da mit fahren. Das Rad ist schon alt. Für meine Mutter habe ich auch Besorgungen gemacht. Abends bin ich auch häufig ins Kino gegangen. Ich sehe mir Sensationsstücke und auch andere Stücke an, Kinderstücke nicht.
Früher habe ich keine großen Pläne gehabt. Ich bin auch jetzt noch ein geistig hoch stehender Mensch, wenn ich das früher war, bin ich es auch heute noch. […] Ich war schon mal hier in der Anstalt. Ich darf nicht so versacken […]. Den Gedanken, dass andere mich verfolgen, habe ich nicht mehr. Hier in der Anstalt bin ich im Kartoffelraum. Ich warte auf eine Beschäftigung in der Küperei oder anderwärts. Meinetwegen kann es auch im Schuttabladeplatz oder in einer Fabrik sein. […] Wenn ich will, kann ich wohl mit schaffen, wenn ich richtig im Beruf tätig bin. Ich wollte wieder zur Küperei. […] Ich trinke überhaupt kein Bier, rauche und trinke auch nicht, das habe ich nicht nötig."

Einen Monat darauf wurde der 20-Jährige in der Chirurgischen Klinik der Städtischen Krankenanstalt zwangsweise sterilisiert und nach der Operation in die Nervenklinik zurückverlegt. Drei Jahre später hatte er die Hoffnung auf eine Entlassung anscheinend aufgegeben, wie ein Gespräch im Februar 1938 nahelegt. Dabei antwortete er auf die Frage des Arztes „Was machen Sie den ganzen Tag?“ „Ich bin lebenslänglich hier“. Und auf die Frage „Arbeiten Sie hier nichts?“ kam die Antwort „Nein, ich bin lebenslänglich hier.“

Direkt nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Alfred Krumkühler zusammen mit einer großen Gruppe von Patienten in das Gesellschaftshaus verlegt. In dem Festsaal hatte man eine provisorische Krankenstation eingerichtet und hier die als hoffnungslos eingestuften Patienten einquartiert. Besuch bekam er zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr, seine Mutter war bereits 1937 verstorben. „Völlig verschrobener, autistischer Patient,“ notierte der Arzt, „sitzt den ganzen Tag am Tisch im Tagesraum und ist zu keiner Arbeit zu gebrauchen. Ein Versuch, ihn in der Feldkolonne arbeiten zu lassen, scheiterte.“

Am 13. 8.1942 wurde Alfred Krumkühler zusammen mit 125 anderen Patienten in die hessische Anstalt Hadamar verlegt. Er lebte dort noch fast drei Monate. Der letzte Eintrag in seiner Krankenakte gibt einen Hinweis darauf, warum der junge Mann noch lebte. Wie in der Tötungsanstalt üblich hatte man die Arbeitskraft des jungen Mannes ausgenutzt, so lange er sich dem Anstaltsalltag unterordnete. „Hat hier anfangs noch etwas in der Colonne geholfen,“ schrieb Anstaltsleiter Adolf Wahlmann. „In letzter Zeit ganz negativistisch unrein. Kam zu Bett. Rapider Verfall. Heute Exitus an Marasmus.“ Alfred Krumkühler starb am 28.11.1944 im Alter von 28 Jahren. Wie die meisten der in Hadamar getöteten Bremer Patienten fand auch Alfred Krumkühler seine letzte Ruhe in einem Massengrab auf dem Anstaltsgelände. Zu seiner Beerdigung erschien kein Angehöriger. Nur eine Tante meldete sich schriftlich bei der Anstaltsleitung. „Als meine Schwester [die Mutter von Alfred] 1937 starb,“ schrieb sie, „habe ich mit dem Arzt über den Jungen gesprochen und ihm erklärt: ‚Ich stehe als Nationalsozialistin auf dem Standpunkt, diesen kranken Menschen, die nie geheilt werden können, eine Erlösungsspritze zu geben, ist kein Unrecht. Sie vegetieren nur dahin und kosten den Staat viel Geld’.“

Gerda Engelbracht (2019)

Informationsquellen:
Engelbracht, Gerda/Johr, Barbara/Thülig, Mechthild/Tischer, Achim: Museum, Mahnmal und Stolpersteine als Erinnerungsorte
für Bremer „Euthanasie“-Opfer. In: Reiter, Raimond (Hrsg.): Opfer der NS-Psychiatrie. Gedenken in Niedersachsen
und Bremen, Marburg 2007, S. 179-203, 190ff
Krankenakte (Landeswohlfahrtsverband Hessen); StA Bremen 4,130/2, 108/1935

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Euthanasie" / Zwangssterilisation