Maria Franz, *1927
deportiert 18.4.1944 nach Auschwitz
tot 25.9.1944 KZ Ravensbrück
Osterstr. 20
Bremen-Neustadt
ehemalige Straßenbezeichnung: Osterstr. 21
Maria Franz

Maria Franz (Mariechen genannt) wurde am 21.9.1927 in Riepe bei Aurich als Tochter von Maria Erika Franz, einer 19-jährigen Sintezza, geboren. Zu dieser Zeit lebten Mutter und Tochter gemeinsam mit den Eltern bzw. Großeltern in einem Wohnwagen, zum Vater des Kindes gab es keinen Kontakt.
Im Alter von drei Monaten, die Familie machte gerade Station in Bremen, erkrankte Maria so schwer, dass sie im städtischen Krankenhaus behandelt werden musste. Während die Familie mit dem Wohnwagen weiterreiste, wurde Maria zunächst im Kinderheim Mainstraße untergebracht, wenig später von der verantwortlichen Amtsvormundschaft zu einer Pflegefamilie ins niedersächsische Klein-Mackenstedt vermittelt.
Mitte der 1990er Jahre berichtete die Tochter der Pflegemutter in einem Interview über Mariechen, wie sie sich selbst nannte und auch von anderen genannt wurde, man habe ihre Mutter damals sehr bedrängt, das Kind aufzunehmen. "Es wollte sie ja keiner haben. Meine Mutter, die eigentlich einen Jungen wollte, bekam ihn nur unter der Bedingung, dass sie Mariechen dazu nahm. Als sie älter wurde, hatte sie auch keine Freundinnen oder Freunde. Unser Haus lag ja so weit abseits, da gab es kaum Kinder, und die Kinder aus ihrer Klasse spielten nicht mit ihr. Die Eltern wollten das nicht, sie war ja anders, sie war ja nicht arisch."
Mariechen, die als Folge verschiedener Erkrankungen unter einer Einschränkung des
Hörvermögens litt, wurde Ostern 1942 aus der zweiten Klasse der sechsstufigen Volks-
schule entlassen. „Natürlich wurde sie in der Schule oft gehänselt“, berichtete auch die
Schwiegertochter der Pflegemutter, die ebenfalls in der Familie lebte.
"Und dann kam die Zeit, wo sie hätte konfirmiert werden sollen. Aber sie ist ja nicht konfirmiert worden, sie war ja einfach nicht arisch. Die Nachbarn haben aber trotzdem Geld gegeben, am Konfirmationstag, und meine Schwiegermutter ist dann mit ihr losgefahren, Kleider kaufen. Da war sie so glücklich. Danach kam Nachricht, dass sie in Arbeit kommen sollte. Sie sollte zu einem Bauern, aber das wollte meine Schwiegermutter nicht, dass sie dahin geht. Sie hat ihr dann eine Stelle besorgt, in einem Kindergarten: aufwaschen und saubermachen. Das hatte ihr meine Schwiegermutter auch beigebracht, das Aufwaschen und Saubermachen, damit sie nicht beim Bauern arbeiten musste. Sie hatte sich zu dieser Zeit so hübsch rausgemacht. Sie war so schön gewachsen und hatte so schöne Haare, sie war ein hübsches Mädchen geworden. Manchmal, wenn Schützenfest oder eine kleine Schulfeier war, dann sind wir zusammen dorthin gegangen, und dann war sie so glücklich, wenn sie mal rauskam."
Die Enkelin der Pflegemutter hat zahlreiche Erinnerungen an die elf Jahre ältere Maria.
In einem Interview im Herbst 2018 erzählt sie:
"Meine Oma und Maria waren wie Mutter und Kind. Sie war liebevoller zu ihr als zu den eigenen Kindern. Und Mariechen hat immer auf mich aufgepasst, wir haben auf der Diele gespielt und wenn sie aus der Schule kam, bin ich immer direkt zu ihr gelaufen. Ja, sie war schwerhörig, aber auf keinen Fall schwachsinnig. Es überrascht, dass die als Sintezza geborene Jugendliche im April 1942 überhaupt einen Arbeitsplatz als Hausgehilfin in einem NSV-Kindergarten antreten konnte. Meine Großmutter und ich haben sie dann noch einmal im Kindergarten in Woltmershausen besucht. Das war eine ziemliche Prozedur. Oma ist mit dem Fahrrad gefahren und ich habe hinten auf dem Gepäckträger gesessen. Ich hatte den Eindruck, dass es ihr in dem Kindergarten gut ging und die Mitarbeiterinnen nett zu ihr waren. Meine Mutter und ich sind dann ganz bald nach Thüringen verschickt worden und danach habe ich nie wieder was von ihr gehört und sie nie wiedergesehen."
Nur drei Monate später wandte sich die Leiterin des Kindergartens an das Jugendamt.
Mariechen komme „als nichtarisch (Zigeuner) für die NSV-Arbeit nicht in Frage“. Sie sei
zwar willig, gehorsam und anhänglich, aber zugleich schwachsinnig, triebhaft, aufdring-
lich, hemmungslos und wenig leistungsfähig. Unverzüglich reagierte das Jugendamt
auf diesen Bericht und überwies die 14-Jährige im Juli 1943 ins Marthasheim. Hier
lebte sie in den kommenden sechs Wochen und ging zur Arbeit in die nahegelegene
Seifenfabrik Kroning. Als sie auch hier angeblich versuchte, Kontakt zu Männern auf-
zunehmen, erwirkten „das Jugendamt, die NSV und das Marthasheim“ ihre Zwangsein-
weisung in die Bremer Nervenklinik (September 1942). Die Begründung lautete: „Der
Zigeunermischling Mariechen Franz [ist] in so hohem Maße triebhaft [...], daß er seine
Umgebung gefährdet“. Die Einweisung verfügte Amtsarzt Rogal, der zudem anwies, der
„Kriminalpolizei, Abteilung Bekämpfung des Zigeunerunwesens, Kenntnis zu geben,
damit diese die nötigen Schritte in die Wege leiten kann, um, wie telefonisch vereinbart,
die Franz evtl. aus dem Reichsgebiet abzuschieben“. Die Tragweite dieser Notiz wird of-
fenbar, wenn man bedenkt, dass bereits Ende 1938 auch in Bremen die systematische
Verfolgung der Sinti und Roma begonnen hatte. Ende 1942 kam der Befehl Heinrich
Himmlers, „Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige
zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft“ in ein Konzentrationslager einzuweisen.
Aus Bremen wurden daraufhin im März 1943 etwa dreihundert Sinti und Roma ins KZ
Auschwitz deportiert.
Mariechens Mutter lebte vermutlich seit 1939 in Köln, zuvor in Krefeld. Im Herbst 1942 bekam sie die Erlaubnis ihre Tocher in der Nervenklinik zu besuchen. Nach diesem Besuch bemühte sich die Mutter Mariechen nach Köln holen zu dürfen. Das wurde jedoch vom Hauptgesundheitsamt in Bremen abgelehnt.
Als der Reichsminister des Inneren Ende 1942 das Bremer Jugendamt aufforderte, „die
in Heimerziehung befindlichen minderjährigen Zigeuner“ zu melden, konnte von dort
„Fehlanzeige“ gemeldet werden. Alle Bremer Heime waren zu diesem Zeitpunkt bereits
„zigeunerfrei“. Es überrascht, dass Maria Franz im März 1943 nicht zu den nach Ausch-
witz Deportierten zählte. Möglicherweise bewahrte sie die Einweisung in die Bremer
Nervenklinik zunächst vor der Abschiebung ins Konzentrationslager. Hier hatte Rudolf
Gildemeister als zuständiger Arzt notiert, dass sich die Jugendliche auf der Abteilung
„dauernd gut“ einfüge, ruhig und umgänglich sei und fleißig, aber „wenig geschickt“ in
der Nähstube helfe.
Zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen Behördenvertretern kam
es beim bald eingeleiteten Erbgesundheitsgerichtsverfahren. Obwohl die Sterilisations-
politik seit Beginn des Zweiten Weltkriegs eingeschränkt worden war, wurden Zwangs-
sterilisationen bei großer „Fortpflanzungsgefahr“ ebenso zur „rassischen Reinhaltung
des Volkskörpers“ weiterhin durchgeführt. Während Gildemeister Maria als „gutartig“
und seines Erachtens nicht „ernstlich gemeingefährlich“ einstufte und statt Sterilisie-
rung die Unterbringung in einem geschlossenen Erziehungsheim für junge Mädchen
vorschlug, hielt der Amtsarzt Otto Rogal dagegen:
"Die Franz ist nicht nur, weil sie mehr oder weniger schwachsinnig im Sinne des Erbgesundheitsgesetzes ist, als absolut unerwünscht in Bezug auf Nachwuchs anzusehen, sondern ebenso sehr deswegen, weil sie als Zigeunermischling infolge ihres gegenüber den Deutschblütigen ganz anders gearteten Trieblebens mit Sicherheit dann, wenn es zur Fortpflanzung kommt, unerwünschten Nachwuchs zur Welt bringt. Aus erbbiologischen und rassenhygienischen Gründen ist deshalb die Unfruchtbarmachung besonders dringlich."
Der so in seine Schranken verwiesene Arzt erstellte nun das benötigte Gutachten, in
dem er zu der erwünschten Diagnose „angeborener Schwachsinn“ gelangte. Die offen-
sichtliche Überforderung des Mädchens bei den Fragen des Intelligenztests, ihre „Ur-
teilsschwäche“ sowie ihr „ganzes Gehabe“ und Mienenspiel seien für ihn Ausdruck des
Schwachsinns. Nun schaltete sich Wilhelm Bolland, Vorsitzender des Bremer Erbgesund-
heitsgerichts, in die Diskussion ein. Zwar plädierte auch er, wie zuvor der Amtsarzt, für
die „Ausweisung der Mutter u. ihres Kindes aus dem Deutschen Reichsgebiet“, wollte
aber auf die Operation verzichten. Seine Argumentation: Vater ist unbekannt, Mutter ist
Zigeunerin. Die Maria F. ist schwachsinnig u. minderwertig. [...] Welches Interesse hat der
Staat daran, in Zeiten des Krieges u. äußerster Anspannung des Volkes [Hervorhebung im
Original, G.E.] solche Verfahren durchzuführen? Das Kind hat keine deutsche Staatsange-
hörigkeit, erhielt eine Stelle als Hausgehilfin im NSV-Kindergarten! Dem widersprach Otto
Rogal, indem er forderte, „[...] gegen Menschen, wie die Mariechen Franz, mit aller Ener-
gie vorzugehen. Sowohl die Unfruchtbarmachung ist dringend erforderlich, als auch die
Ausscheidung aus der Volksgemeinschaft auf die eine oder andere Weise“.
Schließlich setzte sich der Amtsarzt gegen den Vorsitzenden Richter am Bremer Erb-
gesundheitsgericht durch, und so wurde die 16-Jährige in der Bremer Frauenklinik
zwangssterilisiert.
Wenige Tage nach ihrer Rückverlegung erfolgte der Bombenangriff auf die Nervenklinik.
Wieder hatte Maria Franz „Glück“. Sie wurde nach Blankenburg bei Oldenburg gebracht
und kurz darauf als „gute Arbeitskraft (im Austausch)“ nach Bremen zurückgeholt. Weil
man die Unterstützung der Jugendlichen hier gut gebrauchen konnte, entging sie auch
der Deportation in die Mordanstalt Meseritz-Obrawalde, die ihren sicheren Tod bedeu-
tet hätte. Während der eineinhalb Jahre, die Maria in der Bremer Nervenklinik lebte, blieb
der Kontakt zur Pflegemutter bestehen, die sie hin und wieder besuchte. Überraschend
hatte sich bereits im Oktober 1942 auch ihre in Köln lebende Mutter gemeldet, die mit
dem Jugendamt über die Entlassung der Tochter aus der Nervenklinik verhandelte. Dass
die Bemühungen der Mutter erfolglos bleiben mussten, wird deutlich, wenn man sich
vor Augen führt, dass zu diesem Zeitpunkt die reichsweiten Deportationen von Sinti
und Roma in Ghettos und Lager bereits begonnen hatten. Die Mutter, der Stiefvater und
die beiden Stiefbrüder wurden 1943/44 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.
Wilhelm Mündtrath, „Zigeuner-Sachbearbeiter“ bei der Bremer Kriminalpolizei, plante
nach den drei Deportationen im März 1943 einen weiteren „Transport“ zusammenzu-
stellen. Diesem sollte auch Maria Franz „zugeteilt werden“. Doch dazu kam es nicht, und
so wurde die 16-Jährige im Frühjahr 1944 „nach telefonischer Ankündigung durch das
Jugendamt“ aus der Bremer Heil- und Pflegeanstalt abgeholt und in das Hamburger
„Versorgungsheim“ Farmsen gebracht. Während Maria der Deportation der Bremer Sinti
und Roma entkommen war, wurde sie mit dem letzten Hamburger Transport in das fast
tausend Kilometer entfernte KZ Auschwitz gebracht und am 21.4.1944 unter der Num-
mer Z[Zigeuner] 10544 registriert. Wie in Auschwitz üblich, bekam auch Maria Franz ihre
Nummer auf den Unterarm tätowiert.
Zu diesem Zeitpunkt war die Liquidierung des „Zigeunerlagers“ Auschwitz-Birkenau
bereits beschlossene Sache. Doch die als arbeitsfähig eingestufte Maria Franz entging
ihrer Ermordung in der Gaskammer des KZ Auschwitz und wurde mit einer großen
Gruppe weiterer Frauen ins KZ Ravensbrück deportiert. Hier erfolgte am 24.5.1944 ihre
Registrierung unter der „Haft-Nr. 40274“ und die Zuordnung in die Häftlingskategorien
„asozial“ und „Zigeuner“. Damit nahm sie den letzten Platz in der Lagerhierarchie ein,
den sich die Sinti- und Romafrauen mit den Jüdinnen teilten. Laut Häftlingskartei ar-
beitete Maria als Hilfsarbeiterin. Die mörderischen Lebens- und Arbeitsbedingungen in
Ravensbrück überlebte die Jugendliche nur vier Monate. Sie starb am 25.9.1944, vier
Tage nach ihrem 17. Geburtstag. Die offizielle Todesursache lautete Lungentuberkulose.
Gerda Engelbracht (2020)
Informationsquelle:
Engelbracht, Gerda: „Denn bin ich unter das Jugenamt gekommen“. Bremer Jugendfürsorge und Heimerziehung 1933-1945. Hg. v. Diakonisches Werk Bremen e.V., Bremen 2018, S. 43-47
Hesse, Hans: "Ich bitte, die verantwortlichen Personen für ihre unmenschlichen barbarischen Taten zur Rechenschaft zu ziehen". Die Deportation der Sinti und Roma am 8. März 1943 aus Nordwestdeutschland, Bremen 2022, S. 45 ff.
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Euthanasie" / Zwangssterilisation
Glossarbeitrag Sinti und Roma
Glossarbeitrag Ravensbrück