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Maria Franz, *1927

deportiert 18.4.1944 nach Auschwitz
tot 25.9.1944 KZ Ravensbrück


Osterstr. 20
Bremen-Neustadt
ehemalige Straßenbezeichnung: Osterstr. 21

Maria Franz

Maria Franz
geb. 21.9.1927 bei Aurich

Maria Franz, die von allen Mariechen genannt wurde, kam im September 1927 in der Nähe von Aurich zur Welt. Ihre Mutter, laut Akteneintrag eine „Zigeunerin“, Vater „unbekannt“, ließ das Kind im Alter von drei Monaten im Städtischen Krankenhaus in Bremen zurück. Aus dem Kinderheim Mainstraße, in dem das Mädchen nur kurze Zeit lebte, vermittelte man sie an eine Pflegestelle in einem Dorf nahe Bremen. Noch 1995 konnte sich die inzwischen 80jährige Tochter der Pflegefamilie erinnern, dass man ihre Mutter sehr bedrängte, das Kind aufzunehmen. Mariechens äußere Erscheinung – schwarze Haare und eine dunkle Hautfarbe – signalisierte den Dorfbewohnern auf den ersten Blick ihr Anderssein. Grund genug, den Dorfkindern den Umgang mit Maria zu verbieten.

„Sie können sich ja vorstellen, wie das auf dem Dorf war“, erzählte Frau L., die als Schwiegertochter mit im Haushalt lebte, „natürlich wurde sie in der Schule oft gehänselt“.
Maria beendete die sechsstufige Volksschule Ostern 1942. Sie hatte lediglich die zweite Klasse erreicht. Direkt im Anschluss daran trat sie eine Stelle als Hausgehilfin in einem NSV-Kindergarten an. Für die 14jährige hatte die Pflegefamilie bis jetzt einen weitgehenden Schutz geboten, ihr Umzug und der Eintritt ins Arbeitsleben führten sie infolge ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sinti in eine lebensbedrohende Lage.
Die Leiterin des NSV-Kindergartens meldete dem Jugendamt schon nach wenigen Wochen, dass Mariechen „als nichtarisch (Zigeuner) für die NSV-Arbeit nicht in Frage“ komme. Da sie zudem „sehr männertoll“ sei und versuche mit „allen vorübergehenden Männern anzubändeln“, sei bereits ein „Antrag auf beschleunigte Durchführung der Sterilisation gestellt.“ Kurze Zeit später wurde das Mädchen mit der Begründung, sie stelle wegen ihrer Neigung zu „häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“ eine „ständige Gefahr für ihre Umgebung“ dar, durch den Amtsarzt zwangsweise in die Bremer Nervenklinik eingewiesen. Die ärztliche Diagnose „Imbecillitas“ attestierte nun neben der rassischen die geistige Minderwertigkeit.

Da sich die neue Patientin auf der Abteilung „dauernd gut“ einfügte, sich ruhig, umgänglich und fleißig zeigte und seines Erachtens nicht „ernstlich gemeingefährlich“ sei, schlug der betreuende Arzt vor, wegen des noch sehr jugendlichen Alters der Patientin, das „Erbgesundheitsgerichtsverfahren“ nicht eher als notwendig einzuleiten und sie zunächst in einem geschlossenen Erziehungsheim für junge Mädchen unterzubringen. Die Reaktion des Amtsarztes auf diesen vorsichtigen Widerspruch war eindeutig: sofortige Durchführung des Verfahrens, nicht nur weil die „F. … mehr oder weniger schwachsinnig im Sinne des Erbgesundheitsgesetzes ist … sondern ebenso sehr deswegen, weil sie als Zigeunermischling infolge ihres gegenüber den Deutschblütigen ganz anders gearteten Trieblebens mit Sicherheit dann, wenn es zur Fortpflanzung kommt, unerwünschten Nachwuchs zur Welt bringt.“

Die zwangsweise Sterilisierung von Maria Franz erfolgte im November 1943 im Krankenhaus in der St. Jürgen-Straße. Aus der Bremer Nervenklinik deportierte man das Mädchen im März 1944 in das Versorgungsheim und Arbeitshaus Farmsen bei Hamburg, nur sechs Wochen später in das „Zigeunerlager Auschwitz“ und von hier aus in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, wo sie vier Tage nach ihrem siebzehnten Geburtstag starb.


Verfasserin:
Gerda Engelbracht (2011)

Informationsquellen:
Engelbracht, Gerda, Der tödliche Schatten der Psychiatrie. Die Bremer Nervenklinik 1933-1945, Bremen 1996, S. 50-54.

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Euthanasie" / Zwangssterilisation
Glossarbeitrag Sinti und Roma
Glossarbeitrag Ravensbrück