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Georg Hermann Röhrs, *1904

verhaftet 1935 KZ Esterwegen
"auf der Flucht erschossen" 3.5.1935


Weizenkampstr. 117
Bremen-Neustadt

Georg Hermann Röhrs


Georg (Johann Hermann Wilhelm) Röhrs wurde am 2.10.1904 in Bremen geboren. Er hatte drei Brüder: Hans, Alfred und Willi. Der Vater Georg starb im Ersten Weltkrieg. Als Georg 14 Jahre alt war, heiratete seine Mutter Adele, geb. Kick, den Metallputzer Friedrich Hohnholz. Nach der Scheidung 1934 heiratete sie Hermann Glorius.

Georg Röhrs fuhr einige Jahre zur See: „Nach ordnungsgemäßer Fahrzeit als Kohlenzieher und Trimmer wurde Herr Röhrs 1927 zum Heizer befördert“, heißt es im Dienstzeugnis des Norddeutschen Lloyd, auf dessen Schiffen„Witell“,„Giessen“ und„Roland“ er von 1927 bis 1929 beschäftigt war. Man bestätigt ihm seine „Diensttüchtigkeit“ und sein „Betragen“ mit „gut“ und „sehr gut“ sowie „Nüchternheit: Ohne Tadel“. 1929/30 arbeitete Röhrs bei den Francke Werken, wurde wegen Arbeitsmangels entlassen und war in den folgenden Jahren – bis auf einige Gelegenheitsarbeiten – arbeitslos.

Am 28.12.1928 heiratete er Anna Pauline Lührs, geboren 1904 in Bremen. Bald wurden kurz hintereinander drei Töchter geboren: Waltraud (geb. 1928), Giesela (geb. 1929) und Gertrud (geb. 1931). Ab August 1932 lebte das Ehepaar getrennt, im November 1933 wurde es geschieden. Zu dem Zeitpunkt befand sich Röhrs bereits seit Monaten in Haft. Er hatte die Scheidung eingereicht, weil seine Frau ihn bei seinen Parteigenossen als Spitzel angeschwärzt haben sollte, worauf er aus der KPD ausgeschlossen worden sei. Im Scheidungsverfahren dagegen kam zur Sprache, dass seine Ehefrau ihn bei der Polizei wahrheitswidrig wegen unbefugten Waffenbesitzes angezeigt hatte.

Röhrs war auch mit einem Anschlag auf das Haus des Hauptwachtmeisters Scheibner in Hemelingen in Verbindung gebracht worden, durch dessen Fenster eine Flasche „Carbid“ geworfen worden war (Sachschaden zwischen 35-40 RM). Scheibner war von der Polizei häufiger als Beobachter von KPD-Versammlungen eingesetzt worden. Nach dem Krieg gab die KPD-Stadtleitung Bremen gegenüber den Behörden an, Röhrs sei wegen dieser Aktion („Provokation“) aus der Partei ausgeschlossen worden. Diese fehlerhafte Stellungnahme zeigt, dass Röhrs auch bei der KPD-Parteileitung nicht besonders beliebt gewesen war. Nach dem Krieg gaben ehemalige Genossen zu Protokoll, er sei„sehr radikal eingestellt“ gewesen und eine „ganz besondere Nummer“. Auch aus seiner Polizei-Personenakte geht hervor, dass er Konflikten nicht aus dem Wege ging: 1930 saß er drei Tage in Haft wegen Landfriedensbruchs, es gab Verfahren wegen Bedrohung und Körperverletzung, die aber beide eingestellt wurden.

Röhrs war mehrere Jahre Funktionär der KPD (Ortsgruppe Duckwitzstraße) und Mitglied im „Rotfront-kämpferbund“ gewesen, einem politischen Wehrverband. So stand er mit Sicherheit auf der längst vorbereiteten Gestapo-Liste, mit der sofort nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30.1.1933 vor allem Kommunisten in „Schutzhaft“ genommen wurden. Er kam zunächst ins Unter-suchungsgefängnis bzw. Gefangenenhaus Ostertorwache und gehörte zu denjenigen, die als erste ins KZ Mißler eingeliefert wurden (2.4.1933) und bis zur Auflösung des Lagers dort bleiben mussten.

Übereinstimmend wurde von Mitinsassen nach dem Krieg ausgesagt, dass er zu den besonders gequälten Gefangenen gehört habe. Der spätere Pressesprecher des Bremer Senats und frühere SPD-Reichstagsabgeordnete Alfred Faust, der Bettnachbar von Röhrs in Mißler war, berichtete nach dem Krieg: „Röhrs war einer der am meisten misshandelten Insassen des Mißler-Lagers. [...] Er war ein im guten Sinne widerspenstiger Matrose, der wie das rote Tuch auf SS und SA wirkte und daher weit mehr als der Durchschnitt der anderen Lagerinsassen geschlagen und getreten wurde.“ Röhrs Mutter gab 1945 aus einem Bericht ihres Sohnes zu Protokoll:

"Wenn er Stiefel putzen musste, wurde er mit den Füßen getreten und an den Kopf geschlagen. Eines Nachts hat mein Sohn sich nackend ausziehen und auf dem Hofe Radfahren müssen. Hierbei wurde er mit einem Gummiknüppel geschlagen. An einem anderen Abend hat er sein Todesurteil unterschreiben müssen, anschließend musste er sein Grab schaufeln und sich an die Mauer stellen. Dann schoss man über seinen Kopf an die Mauer."

Röhrs Tochter Waltraud berichtete 1948, dass ihr Vater zweimal im Krankenhaus gewesen sei, weil sein Gesicht „zu einer unförmigen Masse zerschlagen“ worden sei. Andere Zeugen sagten aus, Röhrs habe nie den Mund halten können und die Bewacher häufig provoziert. Der KPD-Genosse und Mithäftling Bernhard Bock aus Huchting erinnerte sich, dass er sich bemüht habe, Röhrs zur Mäßigung zu veranlassen, aber: „Er war sehr radikal eingestellt. Im Wesentlichen war er aber ein guter Mensch, stets hilfsbereit und entgegenkommend.“

Als das KZ Mißler u.a. wegen Protesten der Nachbarschaft am 13.9.1933 aufgelöst wurde, kamen die Häftlinge in die Lager Ochtumsand und Langelütjen. In eines der beiden wurde vermutlich auch Georg Röhrs gebracht. Es kann aber auch sein, dass er sofort in das Gefängnis Vechta eingeliefert wurde, um dort eine fünfmonatige Haftstraße wegen Beamtenbeleidigung abzusitzen. Dazu war er am 14.7.1933 während seiner Haft in Mißler verurteilt worden. Nach seiner Entlassung fand Röhrs im Sommer 1934 zunächst Arbeit in Rostock, dann beim Autobahnbau in Elsdorf (heute Landkreis Rotenburg/Wümme). Hier kam es Anfang März 1935 zu einem folgenschweren Vorfall: „Röhrs wurde wegen kommunistischer Umtriebe bei der Reichsautobahn in Elsdorf entlassen. In der Frühstücksbude soll er offen erklärt haben, dass er noch Kommunist sei, und forderte die Arbeiter auf, ja nicht zu viel zu arbeiten [...].“ Röhrs widersprach später dieser Darstellung der Gestapo: Er habe lediglich den Hitlergruß verweigert. Im Schutzhaftbefehl vom 7.3.1935 hieß es: „Der Heizer Georg Röhrs wurde am 6. März 1935 um 13.30 h in Schutzhaft genommen und dem Gefangenenhaus zugeführt.“

Am 3.5.1935 brachte man Röhrs vom Gefangenenhaus Ostertor in das Konzentrationslager Esterwegen, im Emsländer Moor gelegen. Der SS-Standartenführer Loritz berichtete, man habe ihn nach seiner Einlieferung um 11 Uhr sofort zu Sandarbeiten am Sportplatz außerhalb des Lagers eingeteilt. Um 17.40 Uhr habe er die Sandkarre stehen lassen und sei eiligst ins freie Moor gelaufen. Die Wachposten hätten unmittelbar auf den Fliehenden geschossen – aus 120 Meter Entfernung. Röhrs sei sofort tot gewesen. Die beiden Posten erklärten in der Vernehmung am anderen Tag, dass sie Röhrs schon zuvor mehrfach verwarnt hätten, weil er zu faul sei, und: „Er zeigte ein unwirsches Wesen.“ Bereits am 7.5.1935 stellte die Staatsanwaltschaft Osnabrück das Verfahren ein. Sebastian Weitkamp von der Gedenkstätte Esterwegen beurteilt den Vorgang heute so:

"Dies ähnelt anderen Fällen, bei denen Häftlinge am selben Tag oder nur wenige Tage nach Einlieferung ins KL Esterwegen ermordet worden sind („auf der Flucht erschossen“). [...] Neue Häftlinge wurden in der Regel der Sonderkompanie zugeteilt, wie dies bei Herrn Röhrs der Fall war. In dieser Einheit wurden sie durch die SS bei harter Arbeit besonders schikaniert. Der Arbeitseinsatz auf dem im Bau befindlichen Sportplatz war dabei berüchtigt. Hier kam es zu mehreren Tötungen in ähnlicher Form wie bei Herrn Röhrs. Zwischen April und Juni 1935 ereigneten sich hier alleine 5 Morde."

1948 wurde der SS-Mann Kiesel festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg strebte ein Straf-verfahren wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit an. Kiesel gab an, dass der zweite Posten Falk den tödlichen Schuss auf Röhrs abgegeben habe. Falk war im Fronteinsatz gestorben. Kiesel verwickelte sich in Widersprüche. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg kam 1949 nach Recherchen bei Überlebenden zu dem Schluss, dass Röhrs nicht auf der Flucht erschossen, sondern dass er von den SS-Wachleuten vor die Postenkette getrieben worden sei, um den Fluchtfall konstruieren und die Tötung später gegenüber der Staatsanwaltschaft rechtfertigen zu können. Das Verfahren wegen des Mordversuchs an Georg Röhrs ist schließlich aus Mangel an Beweisen nicht zur Anklage gekommen.

Georg Röhrs Leiche sollte in Cloppenburg begraben werden; die Familie bestand aber darauf, sie ausgeliefert zu bekommen und in Bremen zu beerdigen. Georg Röhrs‘ Bruder Willi holte sie aus dem KZ Esterwegen ab. An der Beerdigung am 7.5.1935 nahmen seine politischen Genossen nicht teil. Das KPD-Mitglied Bock gab an, „dass für uns ehemalige Genossen die Gefahr der Verhaftung bestanden hätte, wenn wir Röhrs zur letzten Ruhe geleiten sollten. Wir haben daraufhin lediglich unsere Ehefrauen veranlasst, daran teilzunehmen.“

Aufgrund der schwierigen familiären Bedingungen wuchsen Röhrs‘ drei Töchter in großer Armut auf. Seine Frau heiratete noch zweimal. Beide Ehen waren unglücklich. „Wir hatten es sehr, sehr schwer.“, schrieb die älteste Tochter 1948 in ihrem Entschädigungsantrag, der zunächst mit der Begründung abgelehnt wurde, Röhrs sei kein antifaschistischer Widerstandskämpfer gewesen. Erst 1959 konnten die Töchter nach dem Bundesentschädigungsgesetz ihre Ansprüche realisieren. Ihr Vater wurde als politisch Verfolgter anerkannt.

Franz Dwertmann/Edith Laudowicz (2020)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E4444, Einwohnermeldekartei
Faulenbach, Bernd/Kalkofen, Andrea (Hg): Hölle im Moor. Die Emslandlager 1933-1945, Göttingen 2018 Gedenkstätte Esterwegen, Mail von S. Weitkamp an den Autor am 11.5.2020
Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Oldenburg (Akte der Staatsanwaltschaft 9 KS 23/49)

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Politisch Verfolgte
Glossarbeitrag Haftstätten in Bremen