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Helene Mindermann, geb. Hamann, *1894

ZEUGIN JEHOVAS, SEIT 1935 MEHRMALS VERHAFTET/VERURTEILT, GEFÄNGNIS
ENTLASSEN 30.5.1938


Aßmannshauser Straße 12
Bremen-Neustadt


Aßmannshauser Straße 12 - Weitere Stolpersteine:


Helene Mindermann


Familienbiografie
Diedrich Mindermann
Helene Mindermann, geb. Hamann

Diedrich Mindermann wurde am 31.10.1884 als Sohn von Heinrich und Sophia Mindermann, geb. Schaarmann, in Oyterdamm im Kreis Achim geboren. Er besuchte bis zum 14. Lebensjahr die Volksschule Oyten, wurde evangelisch getauft und 1899 konfirmiert. Im Anschluss an die Schule arbeitete er in der Landwirtschaft der Mutter. Mit knapp 17 Jahren meldete er sich als Freiwilliger beim 2. Hannoverschen Feldartillerie-Regiment Nr. 26 in Verden. Nach der gesetzlichen Dienstpflicht blieb er bei der Truppe, wurde bis zum Wachmann und Offiziers­stellvertreter befördert und erlebte in verschiedenen Truppenteilen den Ersten Weltkrieg. Im Anschluss an den Krieg wurde er als Beamter im Telegraphenamt Bremen eingestellt, wo er 1922 zum Obertelegraphensekretär befördert wurde und bis 1933 arbeitete.

1907 verlobte sich Diedrich Mindermann mit Katharina Lindenlaub; die beiden heirateten 1911 in Fischerhude und wohnten dann in Bremen in der Assmannshauser Straße 12. Katharina verstarb während ihrer Schwangerschaft 1924. Der Tod Katharinas und die Bekanntschaft mit Helene Hamann brachten Diedrich Mindermann in den Kreis der Ernsten Bibelforscher. Helene stammte aus Greiz in Thüringen und hatte sich bereits 1922 taufen lassen. Die ausgebildete Erzieherin kam im Herbst 1927 nach Bremen und arbeitete in der Privatklinik Dr. Lengemann. Am 25.9.1929 heirateten Diedrich und Helene Mindermann; die Ehe blieb kinderlos.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann für das Ehepaar Mindermann eine über Jahre währende Verfolgung. Diedrich Mindermann stand als Ortsgruppenleiter der Zeugen Jehovas, wie sich die Bibelforscher mittlerweile nannten, unter besonderer Beobachtung. Die Gestapo führte wiederholt Hausdurchsuchungen durch, beschlagnahmte Bibeln und andere religiöse Schriften. Außerdem musste sich das Ehepaar Mindermann ab 1936 eineinhalb Jahre lang jeden zweiten Tag auf der Polizeiwache melden. Diedrich Mindermann war überzeugt, dass das Heil allein von Gott käme und verweigerte daher den „Deutschen Gruß“. Als Folge aus diesem Dilemma stellte der damals 49-jährige Beamte einen Antrag auf vorzeitige Pensionierung wegen Nervenentzündung, obwohl er eigentlich gesund und voll dienstfähig war. Dem Antrag wurde stattgegeben, am 1.9.1933 wurde er in den Ruhestand versetzt.

Die Situation spitzte sich weiter zu, als er wegen seiner Mitgliedschaft bei den Zeugen Jehovas 1935 zu neun Monaten Gefängnis verurteilt wurde, die er im Gefängnis in Vechta verbrachte. Im Dezember 1936 wurden sowohl er als auch Helene für drei Tage in Bremen im Polizeigefängnis Ostertor in „Schutzhaft“ genommen. Am 5.1.1938 wurde Diedrich Mindermann erneut verhaftet und zusammen mit 29 weiteren Zeugen Jehovas aus Bremen und Umgebung vom Hanseatischen Sondergericht in Hamburg wegen staatsfeindlicher Betätigung angeklagt. Diedrich Mindermann war sich der Gefahr, in der er sich befand, sehr bewusst, denn er hatte am 2.2.1937 sein Testament notariell beglaubigen lassen.

Am 26.7.1938 wurde er zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt. Der Prozess fand ein großes Presseecho, u.a. berichtete die Bremer Zeitung am 30.7.1938 vom „illegalen Treiben (der Zeugen) unter geschickter Tarnung“, die „Staatspolizei (habe) einige Nester ausheben“ können. Hintergrund des Prozesses war, dass es in Bremen starke Aktivitäten der Zeugen Jehovas gab, die 1935/36 Flugblätter und Schriften gegen den Machtanspruch der Nationalsozialisten verteilt hatten.

Auch Helene Mindermann wurde mehrfach inhaftiert und verbrachte zwischen 1935 und 1938 insgesamt vier Monate in Haft: im Gefängnis Hamburg Fuhlsbüttel, im Untersuchungsgefängnis Hamburg und im Polizeigefängnis Ostertor.

Unmittelbar nach Beendigung seiner Haftstrafe in Hamburg nahmen die Behörden Diedrich Mindermann erneut in „Schutzhaft“ und überstellten ihn unter der Häftlingsnummer 11645 in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Dort starb er am 17.5.1940 angeblich an Darmkatarrh. Die Wirklichkeit beschreibt sein Schwager Walter Hamann, der ebenfalls in Sachsenhausen inhaftiert war und Diedrichs Hungertod unmittelbar hat mit ansehen müssen:

"Aber wenn Brüder nicht mehr arbeitsfähig waren, mußten sie in das ‚Steh-Kommando’ [...]. Von Morgens 6 Uhr bis Abends 6 Uhr, also 12 Stunden im Freien an einer Stelle still stehen; bei Hitze oder Kälte, bei Wind oder Regen. Invaliden sollten sterben, draußen auf der Erde, im Dreck. Im Mai 1940 befanden sich ca. 60 unserer Brüder im ‚Stehkommando’, auch mein Schwager und Bruder Diedrich Mindermann aus Bremen war schon einige Wochen dabei. [...] Er war so schwach, konnte nicht mehr stehen. Ich versuchte ihn zu halten, indem ich mich mit ihm Rücken an Rücken stellte und wir dabei unsere Arme verschränk-ten. Eine Weile ging es, aber dann mußten ihn zwei Brüder stützen; doch er sank zusammen und blieb bis zum Appell liegen. Später reichte ich ihm noch einen Schluck Wasser und ich sehe immer noch in seine hellblauen Augen, zu schwach ein Wort zu sagen – und sein Atem ging aus."

Helene Mindermann überlebte den Krieg und erstritt erfolgreich Wiedergutmachungs- zahlungen. Sie lebte nach dem Krieg mit ihrer Schwester Elsbeth in ihrem Haus in der Assmannshauser Straße 12 und starb am 13.11.1993.

Auch Helenes Brüder gehörten den Zeugen Jehovas an und waren Opfer der NS-Diktatur. Ihr Bruder Walter überlebte das Konzentrationslager Sachsenhausen und den Todesmarsch im April 1945. Ihr Bruder Hans Hamann war neun Jahre in den Konzentrationslagern Buchenwald, Wewelsburg und Ravensbrück inhaftiert, wo er 1944 starb. Ihr Bruder Otto war von 1935 bis 1945 in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Wewelsburg inhaftiert. 1953 wurde er in der DDR zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, die er u.a. in Brandenburg verbüßte; 1962 wurde er vorzeitig entlassen. Er starb 1973.


Michael Berthold (2020)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E4114, Einwohnermeldekartei

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Jehovas Zeugen