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Paul Wolfstein, *1882

„SCHUTZHAFT“ 1938 SACHSENHAUSEN, FLUCHT 1938 HOLLAND, INTERNIERT WESTERBORK, DEPORTIERT 1943 THERESIENSTADT, AUSCHWITZ
ERMORDET 21.10.1944


Lahnstraße 61-63
Bremen-Neustadt

Verlegedatum: 13.10.2020


Lahnstraße 61-63 - Weitere Stolpersteine:


Paul Wolfstein


Familienbiografie
Paul Wolfstein
Emma Wolfstein, geb. Platz

Emma, genannt Emmy, und Paul Wolfstein heirateten 1918 in Köln. Emma, geb. Platz, war auch dort am 23.1.1888 geboren worden. Paul, geboren am 14.2.1882, stammte aus Warburg (heute Kreis Höxter/Ostwestfalen). Seine Eltern waren der Kaufmann und Pferdehändler Isaak Wolfstein und Rosa, geb. Münchhausen. Paul hatte sieben Geschwister, von denen einige früh verstarben. Emma war die Tochter von Jonas Platz und Ida Platz-Heimbach. Sie hatte noch eine jüngere Schwester Elvira, geboren 1891.

Nach ihrer Hochzeit lebten Paul und Emma für kurze Zeit in Uerdingen. Anfang November 1918 zog das Ehepaar nach Bremen und lebte bis 1932 in der Osterholzer Straße 47 im Doventor (heute nicht mehr existent). Dort wurden ihre beiden Töchter geboren: Ruth (1919), Irene (1921). Die Familie zog 1932 in die Lahnstraße 61-63, wo sie bis zu ihrer Flucht in die Niederlande wohnte.

Paul Wolfstein arbeitete im Bremer Schlachthof als „Viehkommissär“ und war als Viehhändler bei der Firma Rehberg & Co in Bremen registriert. Nachbarn berichteten später, er habe beim Schlachthof gut verdient, die Familie habe einen hohen Lebensstandard gehabt, u.a. eine umfangreiche Sammlung von Kristallgegenständen besessen, die ein Hobby von Paul Wolfstein gewesen sei. 1935 wurde ihm der Gewerbeschein entzogen; die Fa. Rehberg entließ ihn. Nun war es ihm nicht mehr möglich, in seinem erlernten Beruf zu arbeiten.

Nur mit großer Mühe konnte Wolfstein für den Lebensunterhalt seiner Familie sorgen. Im Dezember 1935 meldete er ein Gewerbe für Hausierhandel/Toilettenartikel an; im Februar 1936 dann ein Gewerbe für Bohnerwachshandel, das er am 30.9.1938 wieder aufgeben musste. Sogar als Straßenarbeiter verdingte er sich in Gröpelingen und Oslebshausen, „was ihn seelisch und körperlich ganz krank gemacht hat“, wie sich Tochter Irene erinnerte.

Die Töchter besuchten die Volksschule an der Kantstraße. Irene musste als jüdische Schülerin die nachfolgende Aufbauschule bald verlassen. Sie begann eine Lehre im Damen-Mode-Geschäft Hirschfeld, auch um die Familie finanziell zu unterstützen. Als das Geschäft in „arische“ Hände überging, wurde sie, wie das gesamte jüdische Personal, sofort entlassen. Irenes ältere Schwester Ruth, die als Kontoristin ausgebildet war, emigrierte am 27.9.1938 in die USA (New York).

In der Reichspogromnacht drangen SA-Männer in die Wohnung der Wolfsteins ein und zwangen den Vater mit vorgehaltenen Pistolen dazu, Türen und Schränke zu öffnen. „Darauf hat diese Bande all unser Geschirr und Kristall kaputt geschlagen. Auch Leinen zerrissen und die Möbel schwer beschädigt und vernichtet“, gab Tochter Irene später zu Protokoll. Am Tag nach der Reichspogromnacht wurde Paul Wolfstein wie über 170 weitere jüdische Bremer Männer verhaftet und kam ins Zuchthaus Oslebshausen. Seine Frau und seine Tochter wurden in den Lloydhallen (Richard-Dunkel-Straße) bis zum Morgen festgehalten. Von Oslebshausen aus deportierte man Paul Wolfstein zusammen mit all den anderen jüdischen Männern ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Nach zwei Wochen wurde er unter der Bedingung freigelassen, dass er in die Niederlande ausreise.Die Familie hatte nach den schrecklichen Erlebnissen in der Pogromnacht sofort eine Einladung von niederländischen Verwandten erhalten, wo Emmas Schwester Elvira lebte, die seit 1918 mit Joseph Sanders verheiratet und zum Katholizismus konvertiert war. Am 4.12.1938 floh die Familie Wolfstein in die Niederlande.

Fast fünf Jahre lebten Emma, Paul und Irene Wolfstein in den Niederlanden, zunächst in Leiden (Witteringstraße 68), später zogen sie nach Alphen am Rhein (Gouwsluisensweg 106). Wegen des Arbeitsverbots für Flüchtlinge waren sie die gesamte Zeit auf die Versorgung durch ihre Verwandten angewiesen. Unter der deutschen Besatzung verschärfte sich ab Mai 1940 die Situation der Juden enorm. Am 25.11.1941 wurde den Wolfsteins die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen; sie waren nun staatenlos. Ab Mai 1942 mussten sie den Judenstern tragen. Bei einer Razzia am 30.9.1942 wurde das Ehepaar Wolfstein erstmals verhaftet.

Am 22.4.1943 wurden Ehepaar und Tochter Irene von ihrem „woonplads“ in Alphen in das Konzen–trationslager Herzogenbusch (niederländisch: Kamp Vught) gebracht. Auf der dortigen Häftlings–personenkarte von Paul Wolfstein findet sich der Eintrag, dass er schwer verwundet und zu 60 % Invalide sei, während Emma als„naaister“ (Näherin) aufgeführt wurde. Sechs Wochen später, am 9.5.1943 wurde das Ehepaar ins Durchgangslager Westerbork deportiert, von dort am 14.9.1943 in das KZ Bergen-Belsen. Sie blieben dort gut vier Monate und wurden am 25.1.1943 mit dem Transport XXIV/3 weiter in das Ghetto Theresienstadt überstellt. Von den 283 Menschen dieses Transports wurden 208 ermordet, 75 überlebten. Paul und Emma Wolfstein blieben monatelang in Theresienstadt, bis sie am 19.10.1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurden. Der Transport umfasste 1.500 Menschen, von denen 1.424 ermordet wurden, unter ihnen Emma und Paul Wolfstein. Beide starben am 21.10. 1944, offenbar direkt nach der Ankunft.

Tochter Irene musste im KZ Herzogenbusch (Vught) Zwangsarbeit leisten, arbeitete als Näherin bei der Firma Philips, nach ihren eigenen Angaben „als Monteuse in einer Radiolampen-Fabrik“. Sie wurde am 3.6.1944 ebenfalls nach Auschwitz deportiert und erhielt dort die Häftlingsnummer 81830. Sie arbeitete in diversen Nebenlagern wie Reichenbach, Trautenau, bei den Hammer-Werken Porta Westfalica, in Behndorf bei Braunschweig, in Ludwigslust und schließlich in Hamburg-Eidelstedt, wo sie dem schwedischen Roten Kreuz nach Kriegsende übergeben wurde. Völlig unterernährt, mit Lungenentzündung, Gelbsucht, Angina und TBC verbrachte sie danach jeweils zwei Monate in einem Epidemie-Krankenhaus in Malmö, in einem Krankenhaus in Göteborg und anschließend in einem Stockholmer Sanatorium, von wo sie im Herbst 1945 in die Niederlande zurückkehrte – als einzige Überlebende von 22 deportierten Angehörigen. Sie heiratete Jacobus Johann Lennarts, wurde niederländische Staatsbürgerin, lebte in Drunen und bekam drei Kinder. 1953 zog sie in die USA, wo sie 2015 verstarb.

Ihrer Schwester Ruth, der die Emigration nach New York 1938 gelungen war, heiratete dort Robert Taylor und bekam zwei Kinder. Später lebte die Familie in Middletown.

Emma Wolfsteins Mutter Ida wurde nach der Reichspogromnacht auch zu Tochter Elvira und Schwiegersohn in die Niederlande geholt. Am 3.9.1942 fiel sie einer Razzia zum Opfer und wurde in das Durchgangslager Westerbork deportiert, wo sie am 20.4.1944 starb.

Emmas Schwester Elvira wurde in Zusammenhang mit einem bischöflichen Schreiben zur Judenverfolgung, das sie in ihrer Kirche verlesen hatte, verhaftet. Es folgten die Internierung in Westerbork und die Deportation nach Auschwitz, wo sie am 9.8.1942 ermordet wurde.

Paul Wolfsteins älterer Bruder Sigmund (geb. 1877), wohnhaft in Essen, wurde 1942 mit einem Transport aus Düsseldorf in das Ghetto Izbica deportiert und ermordet.

Paul und Emma Wolfstein sowie Emmas Mutter und Emmas Schwester Elvira wird auf einem „Memorial“ in Alphen aan de Rijn gedacht. An Elvira Wolfstein erinnert ein Stolperstein in Köln.

Franz Dwertmann (2020)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54–E4829, 4,54–E4830, 4,54–E10245, 4,83–E10970, Einwohnermeldekartei
Brouwer, de, L.: De Joodse Gemeente Alphan aan de Rijn, 1792 – 1964, Haarlem 2002; ITS Digital Archive, Bad Arolsen Landesarchiv Detmold: Juden und Dissidentenregister; Stadtarchiv Krefeld: Personenstandsakten; Stadtarchiv Warburg: Personenstandsregister; www.joodsmonument.de

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Westerbork