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Eduard Kayser, *1895

VERHAFTET / VERURTEILT 1944, ARBEITSERZIEHUNGSLAGER FARGE, "WEHRKRAFTZERSETZUNG", ZUCHTHAUS BRANDENBURG, HINGERICHTET 16.4.1945


Hastedter Heerstraße 174
Bremen-Hemelingen

Verlegedatum: 30.09.2021

Eduard Kayser


Eduard Carl Kayser wurde am 24.7.1895 in Bremen geboren, evangelisch getauft und
1909 im Bremer Dom konfirmiert. Er wuchs in Walle auf. Seine Eltern waren Eduard Kay-
ser und Sophie geb. Hedenkamp. Nach dem Besuch der Volksschule an der Nordstraße
absolvierte er eine Lehre bei der Firma Klock & Co (Borkumstraße) und besuchte die
Handelsschule der „Union“. Von 1915 bis 1918 nahm er am Ersten Weltkrieg teil. Danach
arbeitete er für einige Jahre bei der Bremer Schutzpolizei, wo er wegen eines Augenlei-
dens 1925 ausscheiden musste. Er war dann mehrfach arbeitslos und fand schließlich
eine Anstellung als Lohnbuchhalter bei der „Norddeutschen Wasserversorgung Fritz
Koch & Co“ (Brokstraße 19).

1920 heiratete Eduard Kayser die 23-jährige Else Scheele; deren Eltern waren Heinrich
Scheele und Johanna, geb. Gerdes. 1921 wurde die Tochter Ursula geboren. Die Familie
wohnte mehrere Jahre in der Juiststraße (Utbremen), dann in der Dedesdorfer Straße,
der Calvinstraße, der Leuchtenburger Straße und ab 1941 in der Tresckowstraße 26 (Öst-
liche Vorstadt). Aufgrund von Eheproblemen zog Eduard dann in die Hastedter Heer-
straße 306 a (heute 174) zu seiner Freundin Berta Westermann.

Eduard Kayser war zu Beginn des NS-Regimes für kurze Zeit Mitglied der NSDAP, mach-
te aber später aus seiner Abneigung gegen Hitler keinen Hehl. Bei der Gestapo wurde
angezeigt, dass er Feindsender höre und kritische Äußerungen über den Krieg mache.
Nach dem Krieg bestätigten Freunde und Kollegen, dass Kayser seine staatsfeindliche
Haltung sowohl in seiner Stammkneipe (Dobbengaststätte, Am Dobben 73) als auch
in Diskussionen mit seinen Kollegen offen zum Ausdruck gebracht habe. Er habe gern
politische Witze erzählt, die sich gegen Nazi-Größen richteten. Wenn der Krieg verloren
sein würde – und er sei praktisch verloren – dann würden sämtliche Bäume des Os-
terdeichs nicht ausreichen, die Nationalsozialisten in Bremen aufzuhängen.

Am 10.6.1944 wurde Kayser in seinem Büro von dem Gestapobeamten Johann Meyer
verhaftet. Dieser gab nach dem Krieg an, er habe im Auftrag des damaligen Leiters der
Gestapo-Dienststelle, Dr. Dörnte, gehandelt. Ein in Bremen lebender Flak-Kommandeur
habe bei der Gestapo eine dienstliche Meldung abgegeben, in der von Wehrkraftzerset-
zung und staatsfeindlichen Äußerungen die Rede gewesen sei. Nach Meyers Ermittlun-
gen seien die Akten an das Reichssicherheitshauptamt nach Berlin überstellt worden,
das dann zu entscheiden gehabt habe, ob der Vorgang zum Volksgerichtshof oder an
das Sondergericht Hamburg/Bremen gehen solle. Nach Meyers Ansicht habe das von
ihm eingeleitete Ermittlungsergebnis nicht ausgereicht, um ein Todesurteil zu fällen.

In der Anklageschrift des Reichsanwalts beim Volksgerichtshof vom 28.12.1944 heißt
es, dass Kayser „durch die Bekundungen der Zeuginnen von Lieven, Sölbrandt und
Landwehr, die durch die Hetzreden des Angeschuldigten zum Teil in größte Unruhe
versetzt worden sind, überführt werden“ würden. Sie sind die eigentlichen Denunzi-
antinnen, die Kayser in der Kaffeeküche trafen und dem befreundeten Flak-Offizier die
„defaitistischen“ Äußerungen Kaysers hinterbrachten.

Zwei Monate verbrachte Kayser im Gefangenenhaus Ostertorwache („Schutzhaft“). Da-
nach wurde er dann ins Arbeitserziehungslager Farge überstellt (von August bis De-
zember 1944), um schließlich ins Strafgefängnis Berlin-Plötzensee eingeliefert zu wer-
den. Der Volksgerichtshof bewertete Kaysers Taten als Wehrkraftzersetzung, die nach
§5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung von 1939 mit dem Tode bestraft werden
konnte. Tatsächlich wurde Kayser zum Tode verurteilt.

Frau Westermann, die eine Vollmacht von Kayser besaß und ihn in Farge besucht und
versorgt hatte, beauftragte den Bremer Rechtsanwalt Koch mit dessen Rechtsvertre-
tung. Dieser wandte sich Ende Januar 1945 an Kayser, der mittlerweile ins Landesge-
richtsgefängnis Meseritz (Kreis Frankfurt/Oder) verlegt worden war, um von ihm die
formale Bestätigung für die Verteidigung zu bekommen. Kayser wurde am 23.2. in das
Gefängnis Potsdam und am 28. Februar in das Zuchthaus Brandenburg-Görden verlegt.
Im Gefangenenbuch sind Kaysers Ankunft (12.50 Uhr), seine Gefangenen-Nummer
(3664/44) und seine Unterbringung im Haus 2 eingetragen.

Frau Westermann sagte später aus:
"Kurz vor der Hinrichtung erhielt ich durch den Pfarrer Bartz die Mitteilung, dass Kayser hingerichtet werde und ich noch ein Gesuch machen sollte. Daraufhin bin ich zum Rechtsanwalt Koch gegangen und habe dort alles Weitere veranlasst. Durch die überstürzten Ereignisse in Berlin konnte Kayser nicht mehr gerettet werden."

Der Handelsstudienrat Otto Gratzki aus Delmenhorst, der mit Kayser schon die Zelle im Gefangenenhaus Ostertorwache geteilt hatte und ihm nun im Zuchthaus Brandenburg-Görden wieder begegnet war, berichtete:
"Ich habe Herrn Kayser noch ca. eine Stunde vor seiner Hinrichtung gesprochen. Seine letzten Worte zu mir waren: In einer Woche sind wir zu Hause. Ich organisiere ein Militärauto und dann kutschiere ich dich nach Hause. Bei meiner Braut in der Hastedter Heerstraße werden wir zunächst mal tüchtig uns sattessen und dann bringe ich dich nach Delmenhorst. Als Gratzki aber das Kommando: „Alles mitnehmen. Brillen auch!“ gehört hatte, habe er gewusst, dass die Hinrichtung vollzogen würde."

Nach dem Gefangenenbuch war das am Montag, 16.4.1945, um 13.30 Uhr. An diesem Tag wurden 32 weitere Männer hingerichtet, lt. Zuchthaus-Protokoll in einer Abfolge von jeweils zwei Minuten.

Nach der Flucht des Gefängnisdirektors übernahmen in den Vormittagsstunden des 27.4.1945 die 2.200 politischen Gefangenen die Anstaltsleitung. Nur wenige Stunden später erschienen die ersten Panzer der Roten Armee vor dem Tor des Zuchthauses, wo sie vom Gefangenenausschuss begeistert begrüßt wurden. Bis dahin hatten dort ca. 1.700 Männer aus Deutschland und 17 weiteren europäischen Ländern ihren Widerstand gegen das NS-Regime mit dem Tod bezahlt.

Otto Gratzki, dessen Todesurteil nicht vollstreckt wurde, charakterisierte Kayser nach dem Krieg so: „Er war unbedingt ein Gegner der Nationalsozialisten. Er war ein Demokrat, nicht Sozialist und nicht Kommunist.“

Franz Dwertmann (2023)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54 – E2443, Einwohnermeldekartei
ITS Arolsen Archives
Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten – Datenbank
Ansorg, Leonore: Politische Häftlinge im nationalsozialistischen Strafvollzug: Das Zuchthaus Brandenburg-Görden,
Brandenburg 2015
Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde R/3018/8302