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Heinrich Schiffmann, *1884

VERHAFTET/VERURTEILT 1942, "FEINDBEGÜNSTIGUNG", "SCHUTZHAFT", ENTLASSEN 1942,
TOT AN DEN HAFTFOLGEN 6. JUNI 1944


Utbremer Straße 113
Bremen-Walle

Verlegedatum: 14.06.2022

Heinrich Schiffmann

Heinrich Schiffmann
Heinrich Schiffmann wurde am 22.9.1884 in Bremen geboren, als Kind des Telegrafenboten Heinrich Christian Schiffmann und dessen Frau Sophia, geborene Bartels. Zu Beginn der 1890er Jahre war der Vater als Grenzaufseher tätig. Ihm oblag die Überwachung des grenzüberschreitenden Personen- und Warenverkehrs. Um 1910 stieg er auf zum Revisionsaufseher. Die Familie wohnte in diesen Jahren mit wechselnden Adressen in der Neustadt.

1905 wurde der 21-jährige Heinrich Schiffmann zum Militärdienst eingezogen. Seine zweijährige Dienstzeit beendete er 1907 in Berlin und kam nach Bremen zurück. Er heiratete 1910 Anna Margarete Ernestine Schweers (geb. 1888). 1911 wurde das einzige Kind Annemaria geboren. Heinrich Schiffmann lebte mit Frau und Tochter im Hause seiner Schwiegereltern in der Utbremer Straße 113. Sein Schwiegervater Ernst Schweers betrieb dort eine Grobbäckerei, die vorzugsweise Sorten wie Schwarzbrot oder Pumpernickel im Angebot hatte. Als er 1910 starb, übernahm Heinrich Schiffmann das Unternehmen. Als starker, aktiver und ideenreicher Mann führte er den Betrieb erfolgreich weiter. Er verstand mit geschäftlichen Schwierigkeiten umzugehen und hatte einen offenen Blick für neue Geschäftsverbindungen. Unter anderem war er „Lieferant Bremischer Dampfschifffahrts-Gesellschaften und staatlicher Behörden sowie vieler Hotels und Restaurants“.

Dem aufkommenden Nationalsozialismus stand er ablehnend gegenüber. Er machte aus seiner Einstellung keinen Hehl. Familie und Freunde drangen oftmals auf ihn ein, sich zurückzunehmen. Er war fast maßlos zu nennen in dem Drang, seine Ideen zum Sturz des NS-Regimes zu realisieren und scheute keine Gefahren. Nachdem er erkannte, dass sein geplanter großer Widerstand gegen das Regime nicht realisierbar war, suchte er die Menschen im Kleinen dazu anzuregen. Zeitzeugen beschrieben ihn als sehr sozial und lobten seine großzügige Hilfsbereitschaft gegenüber Notleidenden. Er selber half in aller Öffentlichkeit jüdischen Mitmenschen, unterstützte Personen, die nach 1933 wegen ihrer politischen Orientierung Nachteile erfuhren, verweigerte den Hitlergruß oder hisste am Haus keine Flagge bei entsprechenden Gelegenheiten. Durch sein Verhalten erregte er die Aufmerksamkeit der Gestapo. Mehrfach wurde er vorgeladen und auch verwarnt. Zeitzeugen erinnern sich, dass Heinrich Schiffmann viele einflussreiche Freunde besaß, weshalb die Gestapo es zunächst nicht wagte gegen ihn vorzugehen.

In Zeiten der Lebensmittelrationierungen gab er mehrfach Brot ohne Marken an Juden und Ausländer. Mit einem Rundschreiben vom Juli 1941 mahnte die Bäckerinnung, dass das Ernährungsamt die Abgabe von Brot ohne Kartenabschnitte mit hohen Strafen ahnden wolle.

Heinrich Schiffmann wurde von der Gestapo Anfang Februar 1942 verhaftet und des „Verstoßes gegen die Verbrauchsregelungsstrafverordnung“ beschuldigt. Seine Handlungen leugnete er nicht, doch den Vorwurf sich damit bereichert zu haben wies er von sich. Er konnte es sich zu dem Zeitpunkt leisten großzügig zu sein. Er wurde für sechs Tage in „Schutzhaft“ genommen. In der Abgabe von Brot ohne Marken an Ausländer, in seinem Fall insbesondere an Polen, sah das Amtsgericht Bremen eine „volksschädliche Handlungsweise“ und verurteilte ihn am 12.2.1942 zu einer Geldstrafe von 1.500 RM. Das Urteil hatte keinen Einfluss auf Schiffmanns weiteres Verhalten, er gab nach seiner Entlassung weiterhin Brot ohne Marken ab.

Im September 1942 wurde er deswegen erneut in „Schutzhaft“ genommen. Als die Gestapo den Fall dem Amtsgericht vorlegte und die Ausstellung eines Haftbefehls forderte, verweigerte sich das Gericht im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit. Das Gericht sah in dem Vergehen eine Ordnungswidrigkeit und keinen Straftatbestand. Es entließ Heinrich Schiffmann nach Hause. 24 Stunden später verhaftete die Gestapo ihn abermals. Diesmal zog sich die „Schutzhaftzeit“ hin. Am 17.12.1942 wurde er dem Amtsrichter vorgeführt. Es folgte die zweite Verurteilung wegen „Verstoßes gegen die Verbrauchsregelungsstrafverordnung“ und er wurde zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten verurteilt, auf der die Zeit der „Schutzhaft“ angerechnet wurde.

Doch die Entlassung aus der „Schutzhaft“ ließ auf sich warten, sie unterlag keiner richterlichen Überprüfung, ihre Opfer hatten kein Recht auf anwaltlichen Beistand. Damit konnte Heinrich Schiffmann, unabhängig vom Urteil des Amtsgerichts, ohne Gründe weiterhin von der Gestapo festgehalten werden. Hätte einer der einflussreichen Freunde sich nicht für Schiffmanns Entlassung eingesetzt, hätte seine Haft vermutlich angedauert. Ein Zeuge war sich sicher, dass er erst am 24.12.1942 wieder zuhause war.

Ein Freund beschrieb Heinrich Schiffmann als Mann, dem Freiheit über alles ging und Zwang für ihn unerträglich war. Aus der Haft kam er als gebrochener Mann, alles, was ihn einst an Vitalität und Aktivität auszeichnete, schien verschwunden. Seelisch gebrochen setzte zunehmend körperlicher Verfall ein. Er starb am 6.6.1944 in einem Sanatorium in Zell/Bayern an den Folgen der Haft.

Verfasserin:
Kornelia Renemann (2022)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E10104, Einwohnermeldekartei
Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Bremen vom 22.1.1934
Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen: 1856 – 1857
www.waffensammler-kuratorium.de
www.neustadt-und-nationalsozialismus.uni-mainz.de