Biografie im Erinnerungsportal, kein Stolperstein vorhanden
Joseph Johannes Abraham, *1901
1941 deportiert Ghetto Minsk, Ermordet
Buntentorsteinweg
Bremen-Neustadt
ehemalige Straßenbezeichnung: Buntentorsteinweg 636
Joseph Johannes Abraham
Familienbiographie
Gietel Ida Abraham, geb. Bachrach
Dora Anna Ringsdorff, geb. Abraham
Joseph Johannes Abraham
Wilhelm Abraham
Käthe Abraham, geb. Salomon
Das christlich-jüdische Ehepaar Semmi und Gietel Ida Abraham hatte neun Kinder. Im folgenden Beitrag soll die Verfolgung der Familie in der Zeit des Nationalsozialismus skizziert werden.
Semmi Abraham ist am 26.7.1875 in Altona als Sohn von Betty Abraham nichtehelich geboren worden. Seine Mutter war Händlerin; seit 1879 war sie in Bremen und seit 1911 in Brake bei Bielefeld ansässig. Sie starb dort 1920.
Semmi Abraham besuchte die evangelische Volksschule, da es in Bremen keine jüdische Schule gab. Eine kaufmännische Lehre beendete er nicht, erkrankte vielfach. Als sein Beruf wird Handelsmann angegeben. Bei den Bodelschwinghschen Stiftungen in Bethel bei Bielefeld war er 1911 und 1914 für einige Monate als Pfleger beschäftigt, ansonsten hatte er kurzfristige Anstellungen als Arbeiter in verschiedenen Branchen. Ab 1920 war er als Invalide gemeldet.
Semmi Abraham heiratete 1898 in Bremen Gietel Bachrach, die als Tochter des begüterten Handelsmannes Joseph Bachrach und seiner Ehefrau Zerline, geb. Levi, in Nentershausen bei Bebra 1875 geboren wurde. Gietel hatte sieben Geschwister. Da die Eltern von Gietel Bachrach früh starben, die Mutter 1888, der Vater 1891, wurde sie Köchin im Haushalt einer jüdischen Familie in Bremen.
Das Ehepaar Semmi und Gietel Abraham bekam neun Kinder, in Bremen wurden geboren: Dora (gen. Anna, geb. 1900), Joseph (gen. Johannes, geb. 1901), Ephraim (gen. August, geb. 1903), Zerline (gen. Emilie, geb. 1905), Salomon (1907-1909), Elisabeth (gen. Adele, geb. 1909), Ernst (gen. Moritz, geb. 1911). Martha (geb. 1912) und Wilhelm (geb. 1914) wurden in Brake bei Bielefeld geboren. Die Familie wohnte gemeinsam mit der Mutter Betty bis 1911 in Bremen-Neustadt, Hakenburger Straße 20 (die Straße existiert heute nicht mehr).
Semmi Abraham, der sich ein Leben lang mit dem Christen- und Judentum auseinandersetzte, ließ sich 1909 in der St. Pauli Gemeinde in Bremen evangelisch taufen. Seine Konversion hat er in mehreren Vorträgen und Schriften behandelt. Im theologischen Seminar der Universität Heidelberg ist seine 25-seitige Broschüre „Vom Juden zum Christen – ein harter Kampf“, gedruckt 1912 in Dortmund, zu finden.
Ein handschriftlicher Lebensbericht von ihm tauchte im Haus des Sohnes Ephraim August Abraham auf. Hierin wurde seine Entfremdung vom Judentum deutlich. Er nahm antijüdischen Stereotype der Christen seiner Zeit auf. So finden Antisemiten, wie der Schriftsteller Artur Dinter oder das antisemitische Lexikon „Sigillum veri“, willkommenes Material und zitieren kritische Passagen aus seinen Schriften. Semmi Abrahams Kritik richtete sich vor allem gegen die Reformjuden.
Als es Pläne gab Judenchristen in gesonderte Gemeinden zu separieren, entwarf er „Grundlinien für eine nichtarische bzw. judenchristliche evangelische Kirche.“ Sie sollte sich seiner Meinung nach an die bekennende Kirche anlehnen, die liberale Theologie ablehnte, Verantwortung der Gemeindemitglieder betonten, auf Kirchenzucht sahen und sich von Staatsfeindlichkeit fernhielten.
Nach Erinnerung seiner Enkelin Anni Abraham, die als Diakonissin in der Bekennenden Gemeinde St. Stephani tätig wurde, war ihr Großvater ein „kämpferischer und streitbarer Mann“. Er habe sich gerne mit ihr unterhalten. Für ihn habe Christentum und Deutschsein immer zusammen gehört.
Es war Semmi Abraham ein großes Anliegen, dass alle in kurzer Folge geborenen Kinder evangelisch getauft wurden (1910/11). Hingegen zögerten Semmis Mutter Betty und seine Frau Gietel. Dies führte zu heftigen Spannungen in der Familie. Anni Abraham erzählte, dass Semmi seiner ältesten Tochter Dora, als er 1911 für zwei Monate in Bethel als Pfleger tätig war, das Amt des christliches Hausvorstandes übertragen habe. Dreimal am Tag habe Dora Andachten mit ihren Geschwistern abgehalten. Dies soll Mutter und Großmutter so beeindruckt haben, dass sie sich evangelisch taufen ließen. Gietel Bachrachs Familie brach darauf den Kontakt zu ihr ab.
Semmi Abraham konnte seine immer größer werdende Familie nicht ernähren. Der 1911 erfolgte Umzug der Familie nach Brake bei Bielefeld mit der Mutter Betty, brachte beruflich keinen Aufschwung. Dort wurden die jüngsten Kinder Martha und Wilhelm geboren. Einige der Kinder kamen in eine Kinderbewahranstalt. Den älteren Kindern nahm sich ein kinderloser, verwitweter Pastor aus dem Siegerland, Karl Ringsdorff, an.
Semmi Abraham war von August bis Oktober 1914 in Bethel gemeldet. Ein Abgangszeugnis , das er für einen Lazaretthelfereinsatz während des Krieges in Ostpreußen benötigte, weist darauf hin, dass er dort als Krankenpflegehelfer tätig gewesen war. Semmis Sohn August erinnerte sich, dass seinem Vater im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz verliehen wurde.
Ida und Semmi zogen 1930 aus Brake zurück nach Bremen, Buntentorsteinweg 636. Sie lebten dort gemeinsam mit ihrer ältesten Tochter Anna Dora. Ab 1939 lebte auch Sohn Joseph Johannes bei seinen Eltern. Semmi Abraham starb 1937 nach einem Schlaganfall.
Dora Anna Abraham heiratete 1924 in Brake bei Bielefeld den 42 Jahre älteren Pastor Karl Ringsdorff (2. Ehe) aus dem Siegerland. Sie war bei ihm um 1910 in Obhut genommen worden und dort gemeinsam mit ihren Brüdern Joseph Johannes, Ephraim August und ihrer Schwester Zerline Emilie aufgewachsen. Das Ehepaar Ringsdorff lebte ab 1924 in Bremen. 1929 starb Karl Ringsdorff.
Joseph Johannes Abraham zog 1933 von Bremen nach Brake bei Bielefeld. Dort war er von April 1933 bis Dezember 1934 als Schweißer bei der Fahrradfirma Rixe tätig gewesen. Er galt als gemüts -und nervenkrank. Die Bekanntschaft mit einem "arischen" Mädchen 1933/34 und die Maßnahmen der NS-Regierung habe er sich sehr zu Herzen genommen. 1936 bis 1939 wurde er auf Veranlassung eines Pastors in Brake wegen Verfolgungswahn nach Bethel eingeliefert. Von dort wurde er später in die Heil-u.Pflegeanstalt Gütersloh verlegt und dort aufgrund der Anordnung des Erbgesundheitsgerichts Bielefeld sterilisiert.
Wilhelm Abraham, der jüngste Sohn der Familie Abraham, war Schmied in Bremen und lebte bis zu seiner Heirat 1940 bei seinen Eltern und Geschwistern am Buntentorsteinweg 636. Mit der 16 Jahre älteren Witwe Käthe, geb. Salomon, geb. 1898, und deren Sohn Wilhelm Wieding aus erster Ehe, geb. 1922, wohnte er nach der Heirat in ihrem kleinen Haus Hinter der Balge 3. Käthe war bereits 1920, vor ihrer ersten Heirat mit einem nichtjüdischen Mann, zum Christentum übergetreten. Sie führte einen Blumenstand an der Liebfrauenkirche, den sie nach der Novemberpogromnacht 1938 aufgeben musste. Ihr Haus wurde beschlagnahmt.
Ernst Moritz Abraham, das siebte Kind, heiratete 1940 Johanne, geborene (nicht verwandte) Abraham, geschiedene Bücking, die sich 1937 in der Stephanie Gemeinde evangelisch taufen ließ. Aus ihrer ersten Ehe brachte sie die Töchter Hannelore und Irmgard mit. Das gemeinsame Kind Rachel wurde 1941 geboren und auch in dieser Gemeinde evangelisch getauft.
Die Familie Abraham hatte durch mehrere Taufen und Hochzeiten eine enge Verbindung zur evangelischen Gemeinde St. Stephani-Süd. Diese hatte sich als kleine „Bekennende Gemeinde“ um 1934 gebildet und stand im Widerspruch zur „offiziellen“ St. Stephani-Gemeinde .
Als Ende Oktober 1941 in der Gemeinde St. Stephani bekannt wurde, dass einige Gemeindemitglieder jüdischer Herkunft in den Osten deportiert werden sollten, lud Pastor Greiffenhagen die Gemeinde am 2.11.1941 zu einem Reformationsgottesdienst zum Abschiednehmen ein. Pastor Greiffenhagen schloss die betroffenen Mitglieder besonders in das Gebet ein und die Kollekte wurde mit einem Teilbetrag den jüdischen Christen übergeben. Gemeindemitglieder drückten nach dem Gottesdienst deutlich ihr Mitgefühl aus. Dies hatte, aufgrund einer Denunziation des Pastors der Nachbargemeinde die Folge, dass einige Tage später 10 Gemeindemitglieder, darunter die beiden christlich jüdischen Gemeindemitglieder Ernst Moritz Abraham und Dora Anna Ringsdorff, von der Gestapo festgenommen und erst einige Tage später wieder frei gelassen wurden.
Am 18.11.1941 wurden die 66jährige Mutter Gietel Ida zusammen mit ihrer Tochter Dora Anna und den Söhnen Joseph Johannes und Ernst Moritz mit seiner Frau Johanne und dem Baby Rachel, sowie Wilhelm mit seiner Frau Käthe in das Ghetto Minsk deportiert. Sofern sie dort nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen erlagen, wurde sie Opfer einer der Massenmordaktionen, die Ende Juli 1942 begannen.
Lediglich Ernst Moritz gehörte zu einer Gruppe von 300 selektierten Männern, die das Ghetto verlassen konnten. Einige Bremer dieser Gruppe erreichten, aus dem Zwangsarbeitslager Plaszow (bei Krakau) kommend, am 4.8.1944 das KZ Flossenbürg. Ernst Moritz Abraham starb dort am 23.2.1945.
Ephraim August Abraham heiratete 1928 die Bremerin Marie Assmann, geb. 1908, Tochter eines nichtjüdischen Zimmermeisters. Das Ehepaar hatte drei in Bremen geborene Kinder. August absolvierte in Bielefeld von 1917-1921 eine Schlosserlehre, die er mit einer Gesellenprüfung abschloss. Er war ab 1926 in Bremen in verschiedenen Unternehmen tätig, u.a. 1933 bei den Focke Wulf Werken. Dort wurde er 1936 entlassen, weil er als Jude nicht mit Rüstungsaufgaben beschäftigt sein sollte. Auch bei einer weiteren Firma, bei der er zu geringerem Lohn beschäftigt war, wurde er auf Veranlassung des Arbeitsamtes nach der Novemberpogromnacht 1938 entlassen. Vorübergehend war er arbeitslos bis ihn der Schmiedemeister Johann Benthien, Eisen-und Stahlbau, von 1938-1945 als Schlosser einstellte. Nachdem die Gestapo mehrere Nachfragen gestellt hatte, schützte ihn der Arbeitgeber, indem er ihn in einem Ausweichbetrieb in Mulmshorn bei Rothenburg unterbrachte. Die Familie zog nach und überlebte dort unter falschem Namen. Die Bewohner des Dorfes verrieten ihn nicht. Landrat Baron von Hammerstein stellte der Familie eine Wohnung auf seinem Gut in Bockel bei Rothenburg zur Verfügung.
Nachdem Ernst und Johanne nach Minsk deportiert worden waren, nahm die Familie die Tochter Hannelore von Johanne aus erster Ehe, als Pflegetochter auf. Marie Abraham geb. Assmann wurde als Nichtjüdin der Status als Pflegemutter anerkannt. Die Schwester Irmgard kam bei einer Nachbarsfamilie unter.
Zerline Emilie Abraham heiratete 1928 Herrmann Henkel (geb. 1903), der als kaufmännischer Angestellter tätig war. In demselben Jahr wurde ihr Sohn Martin geboren. Emilie war von 1929-1931 und von 1934-35 als Verkäuferin im Kaufhaus von Julius Bamberger beschäftigt. 1943 wurde sie dienstverpflichtet und war als Arbeiterin in einer Bremer Verbandstofffabrik tätig.
Elisabeth Adele Abraham war als Hausgehilfin in Bethel bei den Bodelschwinghschen Stiftungen vom Februar bis Oktober 1926 beschäftigt, danach auf dem Gut Holdheim, Bremen Oberneuland im Kindergenesungsheim. Adele heiratete 1933 Johann Lisiak, der von 1937-1944 als Heizungsmonteur und Hausmeister im Haus des jüdischen Arztes Dr. Neumark, Parkstraße 1, tätig war. Als dieses zu einem „Judenhaus“ erklärt wurde, machte er sich dort als Friseur nützlich.
Martha Abraham heiratete 1933 Herrmann Jahn, der als Maschinenarbeiter tätig war. Das Ehepaar hatte eine Tochter Magda, geb. 1934.
Im Februar 1945 erhielten Emilie, Adele und Martha die Aufforderung zum „Arbeitseinsatz nach Theresienstadt“. Die Schwestern Abraham gehörten zu dem letzten Transport aus Bremen in das Ghetto Theresienstadt. Alle drei überlebten und kehrten ab Juni 1945 nach Bremen zurück.
Der Ehemann von Emilie, Herrmann Henkel, kam am 10.3.1945 in das Lager Wintjenberg, Nähe Lenne bei Eschershausen; der Ehemann von Adele, Johann Lisiak, kam am 9.10.1944 in das "Arbeitserziehungslager" Farge, später in das Lager Lenne im südlichen Niedersachsen. Der Ehemann von Martha, Herrmann Jahn, kam am 6.12.1944 in das selbe Zwangsarbeiterlager. Vor dem Abtransport habe er seiner Frau seinen Scheidungswunsch mitteilen lassen, an seiner Lage änderte dies allerdings nichts. Die Ehemänner der drei Schwestern überlebten das Kriegsende.
Das Leid war damit aber nicht zu Ende. Die erlittenen Traumen hatten schwere gesundheitliche und psychische Folgen, es fehlte an Geld für den Wiederanfang und die Judenfeindlichkeit war nicht vorbei. Die Ehen von Adele (1948) und Martha (1949) zerbrachen. Emilie übernahm trotz schwer beeinträchtigter Gesundheit als älteste der Schwestern die aufreibenden und langwierigen Auseinandersetzung um Entschädigungszahlungen.
Für Ernst Moritz Abraham, Johanne Abraham und ihre Tochter Rachel wurden 2006 Stolpersteine an der St. Stephani-Kirche, neben dem Seitenportal, verlegt.
Für die anderen nach Minsk deportierten Familienangehörigen können derzeit keine Stolpersteine verlegt werden, da die Bebauung an der letzten Wohnstätte nicht mehr besteht oder teilweise von Familienangehörigen nicht erwünscht ist.
Petra Nothaft (2025)
Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E435/1u.2; 4,54-E10619; 4,54-E10631; 4,54-E2107; 4,54-E10633; 4,54-E11743,Gestapo Lagebericht 11.11.1941 StA 3-M2,h.3.Nr.264
Koch, Diether: Acht Geschwister Abraham, in: Lebensgeschichten, Schicksale Bremer Christen jüdischer Abstammung nach 1933, Band 23, Bremen 2006
Koch, Diether: Die Deportation von Christen jüdischer Abstammung aus der St Stephani-Gemeinde in Bremen u. die Haltung der Gemeinde in dem Konflikt, in: Rohdenburg, Günther Judendeportationen, Bremen 2009
Johr Barbara: Ernst Moritz Abraham, in: Christoffersen,Peter/Johr,Barbara (Hrsg): Stolpersteine in Bremen, Mitte/Altstadt/Bahnhofsvorstadt, Bremen 2015
Christoffersen Peter: ,„Es war ein einziges Grauen“ Deportation der Bremer Juden nach Minsk, in: Christoffersen Peter/Johr Barbara (Hrsg) :Stolpersteine in Bremen Schwachhausen/Horn-Lehe, Bremen 2017
Wieland Bonath: Ein Dorf schweigt, in: Rotenburger Kreiszeitung 9.4.2013
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Minsk
Glossarbeitrag Arbeitserziehungslager
Glossarbeitrag Rassengesetzgebung