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Biografie im Erinnerungsportal, kein Stolperstein vorhanden

Lina Rothschild, *1885

1942 Untersuchungsgefängnis, KZ Ravensbrück, KZ Auschwitz, ermordet 10.12.1942



Bremen-Mitte
ehemalige Straßenbezeichnung: Knoopstraße 25

Lina Rothschild


Lina Rothschild ist am 12.3.1885 in Winschoten/Niederlande geboren worden. Sie war die Tochter von Hartog Rothschild (geb. 1849 Hardenberg/Niederlande, gest. 1917 in Berlin) und seiner Ehefrau Sarah Frank (geb. 1850 in Winschoten, gest. 1941 in Bremen). Ihre Ehe wurde 1869 in Winschoten geschlossen, das Ehepaar hatte sechs Kinder.

Vater Hartog (auch Harzog) betrieb anfangs ein Manufaktur und Schuhwarengeschäft in der Hafenstraße 51/53. Das Jahr des Zuzugs nach Bremen ist nicht bekannt, 1905 zog die Familie nach Aurich und kehrte 1910 wieder nach Bremen zurück. Seitdem wohnte sie in der Faulenstraße 132/134 (auch als Knoopstraße 25 bezeichnet). Bereits 1910 meldete Sarah Rothschild einen Hausierhandel mit "Resten von Zeug" an, der bis Januar 1935 bestand. Am 9.12.1941 gab sie diese Wohnung auf und zog in das Jüdischen Altersheim in Gröpelingen, wo sie am 29.12. desselben Jahres verstarb. Die Aufgabe der Wohnung stand im Zusammenhang mit der Verhaftung ihrer Tochter Lina.

Wie ihre Mutter betrieb auch Lina Rothschild seit 1910 einen Hausierhandel zunächst angemeldet mit Taschentüchern (abgem. 1936). Ihr Geschäft führte sie ab dann als Hausierhandel mit Tuchstoffen bis Oktober 1938 fort. Sie und ihre Mutter müssen geschäftlich sehr erfolgreich gewesen. Verwandte bezeichneten ihre finanzielle Lage als sehr gut. Sie hätten viel Kleidung und wertvollen Schmuck besessen. Gegenüber dem Finanzamt machten sie keine Angaben und zahlten keine Steuern.

Eine Freundin der Familie wusste zu berichten, dass Lina Rothschild am Konservatorium Graue in der Schillerstraße eine Ausbildung zur Pianistin absolviert hatte. Sie spielte häufig auf dem Blüthner-Flügel zu Hause und soll auch Musikunterricht gegeben haben.

Linas Vater wurde vermutlich 1874 das Bremer Bürgerrecht verliehen. In der Rubrik Staatsangehörigkeit auf der Einwohnermeldekarte ist bei ihr und bei ihrer Mutter "HB" verzeichnet. 1937 (oder 1939) wurde HB durchgestrichen und notiert, dass sie neben der deutschen auch die niederländische Staatsangehörigkeit besäßen.

Aufgrund ihrer niederländischen Staatsangehörigkeit weigerte sich Lina Rothschild ab 1938 den Zwangsvornamen "Sara" anzunehmen und ab September 1941 den "Judenstern" zu tragen. Nach Aussagen von Karl Katz (ab November 1941 Leiter des Bremer Büros der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland) und den Ergebnissen des amerikanischen Vernehmers des zeitweisen Leiters des Judenreferats der Gestapo, Bruno Nette, soll dieser alles versucht haben, Lina Rothschild ausschließlich als deutsche Staatsangehörige zu deklarieren und damit zu verpflichten den "Judenstern" zu tragen und Vermögens- und Devisenabgaben zu leisten. Da sie dagegen Widerstand leistete, wurde sie am 9.12.1942 verhaftet und ins Untersuchungsgefängnis eingewiesen.

Nette stellte die Situation bei einer späteren Vernehmung so dar, dass er vom Bremer Chef der Gestapo die Anweisung erhalten habe, die Staatsangehörigkeit von Lina R. nachzuprüfen und danach den Auftrag erhalten habe sie zu verhaften. Bei der Einlieferung ins Gefängnis seien bei der üblichen Leibesvisitation Devisen im Wert von 8.000 RM und Brillantenschmuck gefunden worden. Als "deutsche Jüdin" hätte sie nicht mehr im Besitz dieser Wertsachen sein dürfen. Angeblich berichtete der Gestapoleiter dies an die vorgesetzte Behörde nach Berlin, die daraufhin eine Einweisung in ein Konzentrationslager anordnete. Nette will daraufhin Katz gebeten haben, sich um die alte Mutter zu kümmern und sie im Jüdischen Altersheim unterzubringen.

Am 17.2.1942 wurde Lina Rothschild in das KZ Ravensbrück überstellt. Die meisten jüdischen Häftlinge, die in dieser Zeit in Ravensbrück ankamen, wurden nach Auschwitz deportiert und dort "entweder im Oktober 1942 oder vor Juni 1943" ermordet. Am 6.10.1942 wurde ein ankommender Transport aus Ravensbrück in Auschwitz registriert, darunter 522 jüdische Frauen. Es ist anzunehmen, dass sich hierunter auch Lina Rothschild befand. Dort wurde sie laut Eintrag im Sterbebuch von Auschwitz am 12.10.1942 ermordet (1).

Unmittelbar nach der Verhaftung Linas und dem Auszug ihrer Mutter wurde das Inventar der Wohnung von der Gestapo beschlagnahmt. Neben dem vorhandenen Flügel waren die Räume mit zahlreichen Gemälden ausgestattet. In der Wohnung in der Faulenstraße bestanden zudem noch eingerichtete Zimmer von Linas Schwester Selma (Sere/Ilse) und deren Sohn Albert, der noch dort für kurze Zeit verblieb. Selma, gleichfalls Hausiererin, emigrierte im August 1939 in die Niederlande. Ihr Sohn verzog am 25.12.1941 nach Berlin, er war Dekorateur.

Von den sechs Kindern der Familie von Hartog und Sarah Rothschild konnten drei in die USA emigrieren Helene (geb. 1874), Hermann/Heimann (geb. 1885), Oskar/Asser (geb. 1891). Betty/Betje (geb. 1882) verstarb 1936 in Amsterdam. Selma (geb. 1879) wurde im Mai 1943 im Sammellager Westerbork interniert und nach ihrer Deportation am 21.5.1943 in Sobibór ermordet. Ihr Sohn Albert wurde am 2.3.1943 (32. Osttransport) von Berlin aus nach Auschwitz deportiert, wo er zu einem nicht bekannten Zeitpunkt ermordet wurde.

Hartog Rothschild war der Bruder von Andreas Rothschild (s. Stolpersteine Selma Beverstein, Rosa Wolf, Mathilde ter Berg, Moritz Rotschild).

Die Verlegung eines Stolpersteines ist nicht möglich, weil die frühere Bebauung und Straßenführung nicht mehr besteht.

Peter Christoffersen (2025)

Informationsquellen:
StA Bremen Akten 4,54-E4049, E4050, Ra384, 4,66-I-7839, 4,60/5-7066 Nr. 4652, 4.60/5-391 Nr. 1173
Archives Arolsen
Gedenkbuch Bundesarchiv
Buber Agassi, Judith: Die jüdischen Frauen - Gefangene von Ravensbrück: Wer waren sie?, Berlin 2010 (Opferliste)
Archiwum Auschwitz, Sterbebucheintrag KZ Auschwitz
Czech, Danuta: Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939-1945, Reinbek bei Hamburg 1989

(1) Das Gedenkbuch des Bundesarchivs weist als Todesdatum den 14.5.1943 aus; dieser Tag konnte nicht verifiziert werden.