Biografie im Erinnerungsportal, kein Stolperstein vorhanden
Betty Nathan, geb. Selig, *1889
1941 deportiert Ghetto Minsk, Ermordet
Bürgermeister-Smidt-Straße 27
Bremen-Mitte
ehemalige Straßenbezeichnung: General-Ludendorff-Straße 27-29
Betty Nathan
Familienbiografie
Nachum, Nathan
Betty Nathan, geb. Selig
Eva Nathan
Nachum (gen. Norbert) Nathan wurde als Sohn von Jakob Nathan und seiner Ehefrau Amalie, geb. Westphal, am 23.9.1881 in Rendsburg geboren. Die Eltern von Betty Nathan waren Levi Selig und seine Ehefrau Sophie, geb. Rosenberg. Sie wurde am 25.9.1889 in Unna geboren.
Nachum Nathan war ab 1909 als Handlungsreisender in Bremen in der Löningstraße 37 gemeldet. Ab 1911 betrieb er ein Agenturgeschäft in der Falkenstraße 36. Hier lebte er bis nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zusammen mit seiner Mutter Amalie.
Am 8.10.1920 heiratete er in Krefeld Betty Selig. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Eva (geb. 1.2.1922), Doris (geb. 31.5.1924) und Martin Paul (geb. 23.9.1925). Von Duisburg kommend lebte er mit seiner Ehefrau ab 1920 wieder in Bremen, wo er eine Warenagentur & Kommissionsgeschäft anmeldete.
Am 1.10.1922 gründete Nachum Nathan die Fa. Nathan & Co. mit dem Kaufmann J.K. Meerkatz, der nach einem Jahr wieder ausschied. Sein Geschäft betrieb er zunächst in der Germaniastraße 11 (ehem. Doventorvorstadt). Dort baute er die Herrenkleiderfabrik Nathan & Co. auf, die zunächst im Lohn-Veredelungsverfahren produzierte. Im Adressbuch hatte er seinen Vornamen jetzt in Norbert geändert, was als Wunsch nach Integration gesehen werden kann.
Als die Räume zu klein wurden, mietete er sich in die erste und zweite Etage im Rolandhaus (heute: Am Brill) ein. Nach Verkauf des Gebäudes 1929 an die Fa. Brenninkmeyer erwarb er die Grundstücke General-Ludendorff-Straße 27 u. 29 (heute: Bürgermeister-Smidt-Straße). Auf den Grundstücken standen ein doppeltes und ein einfaches Wohnhaus. Auf dem Hintergelände errichtete Nathan ein großes und modernes Lagergebäude. Mit Bezug der eigenen Geschäftsräume wurde die selbständige Fabrikation von Herrenkonfektion (Hosen, Mäntel, Anzüge und Berufsbekleidung) aufgenommen. Es wurden mehrere Angestellte beschäftigt. 1936 gab es einen Lagerbestand im Wert von 160.000 RM, welcher im Jahr mindestens dreimal umgeschlagen wurde. Der Jahresumsatz belief sich auf rd. 500.000 RM. Ab 1936 begann der Umsatz einzubrechen und ging bis 1938 um ein Drittel zurück.
Im Zuge der Pogromnacht wurde Nachum Nathan am 9./10.11.1938 verhaftet und tags darauf in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Anfang Dezember 1938 wurde er wieder entlassen. Durch das beherzte Auftreten seiner Prokuristin Ella Stehmeyer blieb sein Anwesen von der Verwüstung verschont: „An dem fraglichen Novembermorgen war ich selbst im Hause. Ich habe den Leuten als Nichtjüdin vorgehalten, dass eine Plünderung und Zerstörung Wahnsinn sei, und es sind infolgedessen keine unkontrollierten Übergriffe gegen das Eigentum des Herrn Nathan vorgekommen.“
Nachum Nathan konnte sich nicht entschließen, sein Geschäft "freiwillig" aufzugeben, er wurde von der Gestapo dazu gezwungen. Sie beauftragte die Handelskammer, einen Schätzer zu bestellen. Am 2.1.1939 unterzeichnete er dann einen Übergabevertrag mit Bernhard Overhues. Dieser war als kaufmännischer Angestellter bei der Baumwollbörse beschäftigt, seit 1933 Mitglied der SS und ab Mai 1937 NSDAP-Mitglied. Nach seinen Angaben bot ihm die Handelskammer die Übernahme des Geschäftes an. Er akzeptierte den vom Schätzer vorgeschlagenen Preis, kam aber später seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nach, indem er willkürlich Abzüge vom vereinbarten Kaufpreis vornahm. Im September 1939 wurde er zur Waffen-SS zum Kriegsdienst eingezogen. Sein letzter Dienstgrad war Waffen-SS Obersturmführer (Oberzahlmeister) im SS-Wirtschaftsverwaltungsdienst B II, Berlin-Lichterfelde. Während des Kriegsdienstes wurde die Fabrik von seinem Teilhaber Steuernagel geführt. 1944 wurden die Gebäude durch Bomben zerstört.
Karl Katz (Vorsteher der Israelitischen Gemeinde Bremen) berichtete nach dem Krieg, dass Nachum Nathan mit ganzer Seele an dem Betrieb gehangen habe und nie zu einem freiwilligen Verkauf bereit gewesen wäre. Noch nach der "Arisierung" habe er sich im Geheimen mit seiner Prokuristin Frl. Stehmeyer im Keller getroffen, die ihn über den Fortgang des Geschäftes unterrichtete. Der erhaltene Verkaufserlös war auf ein Sperrkonto zu zahlen. Neben Miete und Steuern konnte er hiervon monatlich nur einen Höchstsatz von 250 RM abheben. Er hatte eine Judenvermögensabgabe in Höhe von rd. 50.000 RM zu zahlen, deren fünfte Rate er 1940 schon nicht mehr bedienen konnte und für die eine Sicherungshypothek eingetragen werden musste. Trotz Erhalts eines Teilerlöses aus dem Fabrikverkauf und der Auflösung einiger Lebensversicherungen betrug sein Kontovermögen am 31.7.1941 nur noch 518 RM. Obwohl er noch Eigentümer seiner Grundstücke war, waren alle Mieterlöse an die Oberfinanzdirektion abzuführen. Die Enteignung fand erst am 25.2.1942 statt.
1938 versuchten die Eltern ihre Kinder in Sicherheit zu bringen: Für die die 16-jährige Eva begann eine Odyssee im Pendeln zwischen Berlin, Hamburg und immer wieder Bremen: Im April verzog sie nach Lehnitz/Oranienburg. Hier gab es ein jüdisches Erholungsheim mit einer Hauswirtschaftsschule für junge Jüdinnen. Das Ziel war, Grundlagen für eine Auswanderung nach Palästina (Hachschara) zu legen. Möglicherweise arbeitete Eva hier als Gärtnerin. In der Pogromnacht vom 9./10.11 1938 wurde das Heim verwüstet und geschlossen. Eva zog am 18.11.1938 zu den Eltern nach Bremen. Ab dem Frühjahr 1939 wohnte sie für einige Monate in Hamburg, am Eppendorfer Baum 19 bei dem jüdischen Ehepaar Alice und Siegmund Cohn, das Verbindungen nach Berlin hatte. Unterbrochen von Aufenthalten in Bremen und nochmals in Hamburg, in der Nachbarschaft der Cohns bei Familie Heymann, war Eva ab Oktober 1940 wieder in Berlin in der Schweidnitzer Straße 7 gemeldet. Von hier zog sie im April 1941 endgültig nach Bremen zu ihren Eltern.
Die jüngeren Geschwister Doris und Paul konnten am 1.12.1938 mit einem Kindertransport nach England in Sicherheit gebracht werden. Doris wurde dort in einem jüdischen Kinderheim in Harrogate/Yorkshire untergebracht. Paul war bereits 1936 von seinen Eltern in das private jüdische Internat Hirsch nach Coburg geschickt worden. Sein Vater sah für ihn nach den einsetzenden Diskriminierungen in den hiesigen Schulen keine Perspektive mehr, ihm den Besuch einer höheren Schule zu ermöglichen. Im Oktober 1937 hatte das Internat 54 Schüler, davon nur 14 aus Coburg. Nach der Pogromnacht wurde die Schule geschlossen.
Die Eltern Nathan waren gleichfalls nach der Entlassung von Nachum Nathan aus dem KZ Sachsenhausen um Auswanderung bemüht. Betty Nathan kaufte im Laufe des Sommers 1939 Wäsche und Kleidung für die Ausstattung eines Haushalts in der Emigration. Die Auflösung der Lebensversicherungen zu Beginn des Jahres 1939 können als weiterer Beleg dafür angesehen werden. Vermutlich scheiterte die Ausreise am rechtzeitigen Erhalt eines Visums vor Kriegsbeginn.
Am 18.11.1941 wurden Nachum Nathan, seine Ehefrau Betty sowie ihre Tochter Eva von Bremen aus in das Ghetto Minsk deportiert. Dort wurden sie ermordet: Sofern sie nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto erlagen, fielen sie einer der Massenmordaktionen am 28./29.7.1942 zum Opfer. Diese stellten einen Höhepunkt in der Vernichtung des überwiegenden Teils der Bewohner des "Sonderghettos"dar.
Doris Nathan kehrte 1952 wieder zurück nach Bremen. Ihr Bruder, nun mit dem Namen Martin Grant, wanderte nach Kanada aus und arbeitete als Verkäufer, Schneider und Missionar.
Peter Christoffersen, Christa Rödel (2025)
Informationsquellen:
Staatsarchiv Bremen, Akte 4,54-E4002, E10282, 4,54-Ra152, Ra666, 4,66-I.-8194
Staatsarchiv Bremen, Einwohnermeldekartei
Frieda Glücksmann und das jüdische Erholungsheim Lehnitz, bei www.unser -lehnitz.de/2019
Stolpersteine Hamburg, Biografien von Alice Cohn, geb. Gottschalk und Helene und Heymann Heymann
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Minsk