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Glossar

Entschädigung und Rückerstattung („Wiedergutmachung“)

Die im Staatsarchiv Bremen archivierten Entschädigungsakten geben näheren Aufschluss über die Lebensläufe der Opfer und ihrer Nachkommen und bilden damit eine wichtige Grundlage für die Biografien zu den Stolpersteinen. Darüber hinaus sind sie auch ein wichtiges Zeugnis für den administrativen Umgang mit den Nachwirkungen der NS-Diktatur. Der dafür nach dem Krieg üblich gewordene Begriff der „Wiedergutmachung“ entstammt dem Wunschdenken der deutschen Nachkriegsgesellschaft und erscheint den Opfern und ihren Nachkommen nicht angemessen.

Grundlegend für die Systematik der Gesetzgebung waren die in der amerikanischen Besatzungszone 1947 und 1949 geschaffenen Gesetze. Sie regelten individuelle Ansprüche auf Rückerstattung „arisierter“ Unternehmen und Grundstücke sowie auf Entschädigung, wobei zwischen Schäden an Leben und Freiheit sowie Schäden an Eigentum, Vermögen und im wirtschaftlichen Fortkommen unterschieden wurde; ähnliche Regelungen trafen die anderen westlichen Besatzungsmächte. Die nach der Entstehung der Bundesrepublik auf diesem Gebiet erforderliche Rechtsvereinheitlichung führte nach dem Bundesergänzungsgesetz von 1953 zum „Bundesgesetz zur Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz - BEG)“, das am 29.6.1956 rückwirkend auf den 1.10.1953 in Kraft trat. 1957 folgte das Bundesrückerstattungsgesetz. Im Zusammenhang mit dieser Gesetzgebung sind auch die Abkommen der Bundesregierung mit dem Staat Israel und der Jewish Claims Conference aus dem Jahr 1952 zu sehen, in denen Ausgleichszahlungen für die Integration jüdischer Flüchtlinge in Israel bzw. in anderen Staaten geregelt wurden. Alle diese Regelungen wurden durch den Druck der westlichen Besatzungsmächte befördert, die sie zur Vorbedingung der Souveränität der Bundesrepublik erklärt hatten.

1965 wurde das BEG zum BEG-Schlussgesetz erweitert. Hatten nach dem BEG Entschädigungsansprüche spätestens am 01.04. 1958 geltend gemacht werden müssen, wurde die Ausschlussfrist für die Antragstellung jetzt auf den 31.12.1969 festgelegt. Diese Regelung war notwendig, weil die Anspruchsberechtigten weltweit verstreut waren und es für sie schwierig war, die zum Nachweis ihrer Ansprüche verlangten Dokumente zu beschaffen.

Das BEG beschränkte den Kreis der Anspruchsberechtigten auf Deutsche sowie Personen, die eine räumliche Beziehung zu Deutschland haben oder hatten. Ausgeschlossen waren damit Angehörige der von Deutschland besetzten Länder wie ausländische KZ-Häftlinge und zivile Zwangsarbeiter. Im Verhältnis zu den westeuropäischen Staaten wurde dieses Problem durch zwischenstaatliche Abkommen teilweise gelöst, nicht jedoch im Verhältnis zu den Staaten Osteuropas.

Als problematisch erwies sich die Abgrenzung der „Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung“ nach § 1 BEG, zu denen vor allem zählte, wer aus politischen, „rassischen“ oder religiösen Gründen verfolgt worden war. Nicht darunter fielen etwa Opfer von Maßnahmen der „Euthanasie“ und Zwangssterilisierte, Homosexuelle und als „Asoziale“ Verfolgte; Sinti und Roma wurden in den 1950er Jahren nicht als NS-Opfer betrachtet, eine Einstellung, die sich später allmählich änderte; Kriegsdienstverweigerer und Deserteure wurden erst gegen Ende der 1990er Jahre als NS-Opfer betrachtet. Mitglieder der KPD waren nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BEG von der Entschädigung ausgeschlossen, wenn sie ihre politischen Aktivitäten in der Bundesrepublik fortgesetzt hatten. Schließlich umfasste die Entschädigung keine Zinszahlungen und unterlag mit der Währungsreform der Abwertung im Verhältnis 1:10. Auch die Umsetzung des BEG durch Verwaltungsbehörden und Rechtsprechung litt unter Defiziten: so erwies sich etwa die Anerkennung psychischer Schäden oft als schwierig, da Gutachter herangezogen wurden, deren Einstellung häufig noch durch die NS-Zeit geprägt war.

Das Bundesentschädigungsgesetz wurde in der Folge – bis hin zur Regelung der Folgen der deutschen Einigung – laufend geändert und ergänzt.


In Bremen wurde - nach anfänglichen Hilfsmaßnahmen für die Opfer des NS-Regimes - ab 1947 die Gesetzgebung der amerikanischen Besatzungszone umgesetzt. 1948 wurde ein „Amt für Wiedergutmachung“ eingerichtet, 1950 ein entsprechendes Landesamt. Der Umfang der Aufgaben lässt sich aus den heutigen Beständen des Staatsarchivs ermessen, die – nach der Darstellung von Bettina Schleier – 8.050 Fallakten umfassen, von denen sich knapp die Hälfte auf Entschädigungsanträge wegen politischer Verfolgung und etwa 2.300 auf die Anträge jüdischer Verfolgter beziehen.

1952 schloss das Land Bremen mit der Israelitischen Gemeinde Bremen ein Globalabkommen ab, nachdem die Gemeinde bereits 1951 Mittel für die Wiederherstellung der Kapelle und die Errichtung eines Ehrenmals auf dem jüdischen Friedhof in Hastedt erhalten hatte. Nach Inkrafttreten des Rückerstattungsgesetzes der amerikanischen Besatzungszone hatte die Gemeinde die Rückgabe des Grundstücks der 1938 abgebrannten Synagoge und des demolierten Gemeindehauses (Rosenakhaus) sowie weiterer Gebäude, die sie unter dem Schätzwert hatte verkaufen müssen, beantragt. Nach Inkrafttreten des BEG wurde aufgrund der nun zum Wiederbeschaffungswert erfolgenden Entschädigung für die Synagogen in Bremen, Aumund und Bremerhaven der Neubau einer Synagoge und – mit Hilfe des Senats – zusätzlich eines Gemeindezentrums in Bremen möglich.

1988 errichtete der Bremer Senat einen Härtefonds, aus dem „vergessene Opfer des NS-Regimes“ (denen es z.B. nicht möglich gewesen war, die Antragsfrist nach dem BEG einzuhalten, oder die nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten nach dem BEG gehört hatten) eine Entschädigung erhalten konnten, wenn sie sich in einer persönlichen Notlage befanden. Dieser Härtefonds besteht noch heute.


Quellen / Weitere Informationen:
Schleier, Bettina, Die Entschädigung von Verfolgten des Nationalsozialismus im Spiegel der überlieferten Einzelfallakten. In: Bremisches Jahrbuch, Bd. 82, Bremen 2003, S. 224-250.

Wikipedia-Artikel „Bundesentschädigungsgesetz“

Herbst, Ludolf / Constantin Goschler (Hrsg.), Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland (Sondernummer der Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte), München 1989

Hilberg, Raul, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 3, erweiterte Taschenbuchausgabe, Frankfurt am Main 1994, S.1234-1266


Michael Cochu (2011)


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