Sie befinden sich hier | Kapitelüberschrift  Glossar
Schriftgroesse verkleinern Schriftgroesse normal Schriftgroesse vergrössern
Diese Seite ausdrucken

Glossar

Novemberpogrom / Reichspogromnacht / „Reichskristallnacht“

Auf dem traditionellen „Kameradschaftsabend“ der „Alten Kämpfer“ im Münchner Bürgerbräu traf am 9.11.1938 die Nachricht ein, dass der von Herschel Grynszpan angeschossene deutsche Legationssekretär vom Rath in Paris seinen Verletzungen erlegen war. Propagandaminister Goebbels hielt daraufhin eine antisemitische Hetzrede und die versammelten Gauleiter und Parteiführer wiesen ihre Dienststellen (SA, SS und HJ) an, gegen die Juden vorzugehen.

Die jüdische Familie Grynszpan war 1911 wegen antisemitischer Ausschreitungen aus Polen nach Deutschland geflohen. Der Sohn Herschel war nach Paris gezogen. Dort erfuhr er, dass seine Eltern am 28.10.1938 nach Polen abgeschoben worden waren (sog. Polenaktion). Dieses Schicksal teilten über 17.000 Juden polnischer Herkunft. Um auf den humanitären Skandal aufmerksam zu machen, wollte er am 7.11.1938 den deutschen Botschafter in Paris erschießen, tötete aber den Legationssekretär vom Rath.

Das Attentat lieferte dem NS-Regime den willkommenen Anlass, zur Verfolgung der Juden aufzurufen. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in ganz Deutschland jüdische Einrichtungen und Geschäfte demoliert, Synagogen in Brand gesetzt und jüdische Frauen und Männer misshandelt oder gar ermordet. Die Schreckensnacht kostete über 400 Menschen das Leben und über 30.000 Menschen wurden in ein Konzentrationslager eingewiesen.

In Bremen wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 die Synagoge in der Gartenstraße - heute Kolpingstraße - niedergebrannt, Geschäfte und Wohnungen wurden demoliert, die Menschen auf die Straße gezerrt und zu Sammelstellen beim Alten Gymnasium und den Mißler-Hallen in Findorff getrieben.

Mindestens 194 Männer jüdischen Glaubens wurden verhaftet und ca. 170 von ihnen mussten am 10.11.1938 mitten durch die Stadt zum Zuchthaus Oslebshausen marschieren. Von dort wurden sie am 11.11.1938 in das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg deportiert. Erst Wochen später wurden sie entlassen.

Fünf Menschen wurden erschossen: Martha und Dr. Adolph Goldberg in Burgdamm, Leopold Sinasohn im angrenzenden Platjenwerbe auf niedersächsischem Gebiet, Heinrich Rosenblum und Selma Zwienicki in der Neustadt.

Den Befehl zur Verfolgung der jüdischen Bürger Bremens hatte der Führer der SA-Gruppe Nordsee und Bremer Bürgermeister Heinrich Böhmcker von München aus telefonisch erteilt; SA-Männer haben ihn ausgeführt.


Quellen / Weitere Informationen:
Lührs, Wilhelm u.a. (Hg.), „Reichskristallnacht“ in Bremen. Vorgeschichte, Hergang und gerichtliche Bewältigung des Pogroms vom 9./10. November 1938, Bremen 1988

Rohdenburg, Günther (Hrsg.): "... sind Sie für den geschlossenen Arbeitseinsatz vorgesehen ...": »Judendeportationen« von Bremerinnen und Bremern während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, 2., überarb. Aufl., Bremen 2009

Rübsam, Rolf: Sie lebten unter uns. Zum Gedenken an die Opfer der "Reichskristallnacht" 1938 in Bremen. Bremen 1988


Dr. Barbara Johr (2023)


Zurück