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Glossar

"Schutzhaft"

Das Instrument der „Schutzhaft“ wurde vom NS-Regime dazu eingesetzt, politisch, „rassisch“ oder sozial missliebige Personen willkürlich festzunehmen und in Gefangenen- und Konzentrationslager zu deportieren. Als rechtliche Grundlage der „Schutzhaft“ wurde die – nach dem Reichstagsbrand erlassene – „Verordnung des Reichpräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 (RGBl. I S. 83) angesehen, die in § 1 die wichtigsten Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung außer Kraft setzte und in § 2 die Reichsregierung ermächtigte, notfalls die „zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen“ zu treffen. Die „Schutzhaft“ unterlag keiner richterlichen Überprüfung, ihre Opfer hatten kein Recht auf anwaltlichen Beistand. Häufig diente sie – etwa nach einem Freispruch, der Entlassung eines Angeschuldigten aus der Untersuchungshaft oder im Anschluss an die Verbüßung einer Freiheitsstrafe – der Korrektur gerichtlicher Entscheidungen, die dem Regime missliebig waren. Nach einer Formulierung des Reichsinnenministeriums stellte die „Schutzhaft“ eine „unmittelbare normfreie Anwendung der Staatsgewalt“ dar. Die Verwaltungsrechtslehre sprach von „justizlosen Hoheitsakten“. Nach der Entmachtung der SA im Sommer 1934 blieb die Verhängung der „Schutzhaft“ der SS und der Gestapo überlassen.

In der bereits 1933 erlassenen „Disziplinar- und Strafordnung für das Gefangenenlager“ war u. a. die Straffreiheit von Aufsehern, die „in Ausübung ihrer Pflicht einen Gefangenen erschossen haben“ geregelt. Dies führte bei Todesfällen in den Lagern häufig zu der Begründung, Häftlinge wären „auf der Flucht erschossen“ worden.

Hatte die „Schutzhaft“ nach der Machtübernahme des NS-Regimes vor allem politische Gegner getroffen, richtete sie sich seit 1937 zunehmend gegen weitere Gruppen: im April bzw. Juni 1938 wurden im Rahmen der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ mehr als 10.000 Personen als „Asoziale“ festgenommen und zur Zwangsarbeit in Konzentrationslager verbracht; im November 1938 wurden nach der Reichspogromnacht als Terrormaßnahme etwa 35.000 männliche Juden festgenommen und in Konzentrationslager deportiert, um sie zur Auswanderung zu veranlassen. Im Verlaufe des Krieges weitete sich der Anwendungsbereich der „Schutzhaft“ durch die zunehmende Errichtung von Arbeitslagern und die Heranziehung ausländischer Zwangsarbeiter noch einmal erheblich aus.


Quellen / Weitere Informationen:
Wikipedia-Artikel „Schutzhaft“

Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat, 1974 (Erstausgabe: The Dual State, New York 1941)

Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Dritter Band 1914 - 1945, München 1999, S. 365f.


Michael Cochu (2011)


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