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Erich Alexander, *1904

deportiert 1941
ermordet in Minsk


Feldstr. 27
Bremen-Östliche Vorstadt


Feldstr. 27 - Weitere Stolpersteine:


Erich Alexander


Die Familie Alexander zählt zu den ältesten jüdischen Familien in Hastedt. Der Urgroßvater Hesekiel Jacob (1758 in Holland geboren) kam bereits 1785 nach Hastedt. Erich Alexanders Vater Adolf Abraham Alexander (1868-1928) hatte bis 1894 in Hemelingen gewohnt; er eröffnete dann an der Hastedter Chaussee (heute Hastedter Heerstraße 233/235) ein Geschäft für Manufakturwaren. Er war mit Helene Schragenheim (1866-1922) verheiratet, mit der er drei Kinder hatte: Erna (geb. 1898), Erich (geb. 25.7.1904) und Heinz (geb. 1911). Letzterer verstarb 1920 im Haus Reddersen, einem Heim für behinderte Kinder und Jugendliche in Bremen.

Adolf und Helene Alexander waren sehr beliebt in Hastedt, sie machten sich insbesondere in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg um soziale Belange verdient. Das Geschäft war eine Institution im Stadtteil und verhalf z.B. unzähligen Konfirmanden zu ihrem ersten Festanzug, vielfach auch über Bezahlung in Raten. Nach dem Tod seines Vaters übernahm Erich Alexander 1929 das Geschäft, das inzwischen auf Herrenwaren spezialisiert war. Im Branchenbuch von 1930 wird es zusätzlich als Herrenkleiderfabrik aufgeführt. Er war ab 1933 in erster Ehe mit einer nichtjüdischen Frau verheiratet. Die Ehe wurde am 13.6.1938 geschieden. Am 11.8.1939 heiratete er in zweiter Ehe Berta Conu (geb. 1914) aus Hamburg und legitimierte damit den gemeinsamen Sohn Herbert (geb. 22.3.1934 in Hamburg).

Wie sein Vater war auch Erich Alexander für seine Großzügigkeit bekannt und im Stadtteil äußerst angesehen. Es wurde berichtet, dass er immer wieder Arbeitslosen beim Erwerb ihrer Kleidung mit einem Preisnachlass entgegenkam. Als Besitzer eines roten Hansa-Lloyd Wagens lud er Jugendliche zu „Ehrenrunden“ mit dem Auto ein. Hastedter Kinder durften seinen Obstgarten abernten. Er spielte in einer Band, über deren Namen und Auftritte aber nichts mehr in Erfahrung zu bringen ist. Das Jüdische Gemeindeblatt berichtete 1929, dass er bei einem Motorradrennen auf einer Harley Davidson den ersten Preis gewann.

Der Aufruf der NSDAP zum Boykott jüdischer Geschäfte am 1.4.1933 führte dazu, dass vor Alexanders Geschäft SA-Männer mit heruntergezogenen Sturmriemen und Knüppeln in den Händen standen. In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10.11.1938 wurden die Schaufenster des Geschäfts zertrümmert und ein Feuer gelegt, das jedoch rasch wieder gelöscht werden konnte. Der „Heimatanzeiger“ berichtete am 11.11.1938: „Dem Juden Alexander in der Hastedter Heerstraße sind ebenfalls seine Fenster gebührend Erich Alexander behandelt worden.“ Nach Zeugenberichten sollen für die Zerstörungen SA-Männer aus Findorff gerufen worden sein, da die Hastedter SA-Männer sich aus Verbundenheit mit dem Geschäftsinhaber nicht daran beteiligen wollten. Erich Alexander wurde am 10.11.1938 um 5.00 Uhr morgens von einem SA-Trupp unter Führung eines SA-Mannes – eines bei Focke-Wulf beschäftigten Ingenieurs – verhaftet und sein Wagen beschlagnahmt. Nach Augenzeugenberichten wurde Alexander mit an den Kopf gehaltener Pistole gezwungen, das Fahrzeug zum Polizeipräsidium zu steuern, da die SA-Männer dazu nicht in der Lage gewesen seien. Wie über 170 weitere jüdische Männer wurde er dann in das Zuchthaus Bremen-Oslebshausen eingeliefert und von dort am 11.11.1938 in das KZ Sachsenhausen deportiert. Hier war er unter der Häftlingsnummer 10598 registriert, bis er am 21.11.1938 entlassen wurde. Dem Rat von Freunden auszuwandern, folgte er nicht; er sei Deutscher und daher könne ihm nichts geschehen.

Im Zuge der „Entjudung der Wirtschaft“ wurde ihm zum Jahresende 1938 die Tätigkeit als Selbstständiger untersagt. Er war nun gezwungen, sein Grundstück und seinen Gewerbebetrieb zu verkaufen bzw. abzuwickeln. Unter diesem Druck stehend verkaufte er beides am 16.12.1938 an den benachbarten Textilhändler Frerich Budde zu einem Preis, der im Rückerstattungsverfahren nach dem Krieg vom Gericht als „unstreitig angemessen“ bezeichnet wurde. Vom Erlös standen Erich Alexander nach dem Abtrag von Hypotheken und der Abführung der Judenvermögensabgabe rund 9.000 RM zum Lebensunterhalt zur Verfügung. Sein Konto war gesperrt, er konnte aber mit Genehmigung der Devisenstelle in Einzelbeträgen darüber verfügen. Nach seiner Deportation 1941 wurde das Konto mit einem Bestand von 18 RM geschlossen und vom Deutschen Reich eingezogen.

Am 22.12.1938 meldete Erich Alexander seinen Betrieb ab. Der neue Geschäftsinhaber war Mitglied der NSDAP und weiterer NS-Organisationen. Im Schaufenster lagen sofort nach der Geschäftsübernahme NS-Uniformen aus; das Geschäft bezeichnete sich als „Brauner Laden“. Das zu versteuernde Einkommen verdoppelte sich bis 1944; es waren drei Angestellte beschäftigt. Das Haus wurde im Oktober 1944 durch Bomben zerstört. 1953 wurde das Grundstück an die Erben rückübertragen.

Erich Alexander war bis zu seiner Deportation in Bremen-Hastedt in der Wäscherei Hedwig (Am Rosenberg) als Spüler beschäftigt. Am 1.3.1939 musste er sein veräußertes Haus verlassen und zog in die damalige Legion-Condor-Straße 60 (heute Parkstraße) ein. Mit ihm räumten auch seine Schwester Erna Silberberg mit Ehemann Otto und seine Tante Martha Schragenheim das Haus und zogen ebenfalls dort ein. Am 27.6.1939 kam seine (zweite) Ehefrau Berta, geb. Conu, mit ihrem gemeinsamen Sohn Herbert hinzu. Am 4.10.1939 zog die Familie schließlich in das „Judenhaus“ Feldstraße 27 um.

Am 18.11.1941 wurde Erich Alexander mit seiner Ehefrau und seinem Sohn in das Ghetto Minsk deportiert. Auf diesem Transport befanden sich auch seine Schwester Erna mit Ehemann sowie seine Tante Minna mit Ehemann Harry Herzberg aus Verden. Sofern sie nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto erlagen, fielen sie einer der Massenmordaktionen zum Opfer, die Ende Juli 1942 begannen. Nach Aussagen von zwei Überlebenden des Ghettos soll Erich Alexander im September 1943 erschossen worden sein, da er sich – zur Zwangsarbeit bei der Heeresbaudienst-
stelle 10 eingesetzt – nicht freiwillig für einen „besonderen Arbeitseinsatz“ gemeldet habe. Eine andere Version lautet, er habe sich im Ghetto nicht zu einer „Neumusterung“ gemeldet.

Sein Onkel Levy Alexander (früher Langenstraße 69, heute Hannoversche Straße) fand mit sechs weiteren Familienangehörigen im Vernichtungslager Auschwitz den Tod. Seine Tante Martha Schragenheim erlag den Entbehrungen im Ghetto Theresienstadt. Margarethe Conu, die Mutter von Berta Alexander, wurde am 25.10.1941 in das Ghetto Litzmannstadt (heute Lodz) deportiert und fand dort den Tod.

Sowohl für Berta Alexander, geb. Conu, und ihren Sohn Herbert als auch für Erich Alexander wurden Stolpersteine vor dem Haus Feldstraße 27 verlegt.

Peter Christoffersen (2023)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-Ra402, 4,54-Rü5093, 4,66-I-1599, Einwohnermeldekartei
Dünzelmann, Anne E.: Juden in Hastedt, Bremen 1995; Timm, Angelika et al.: Hastedt, Band 4, Bremen 1990
Zeugenaussagen Minsk von Richard Frank und Martin Spanier; Jüdisches Gemeindeblatt Nr. 3/1929

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Minsk
Glossarbeitrag "Arisierung"
Glossarbeitrag "Judenhäuser"

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