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Sally Lennhoff, *1871

deportiert 1942 nach Theresienstadt
tot 26.11.1943


Ostertorsteinweg 77
Bremen-Mitte

Sally Lennhoff


Simon Lennhoff, genannt Sally, wurde 1871 im westfälischen Plettenberg geboren. 1899 zog er von Rotenburg nach Soltau. Dort gründete der 18-jährige 1899 ein Textilgeschäft. Im März 1900 heiratete er die aus Langwedel stammende Ida Rosenbach. Ida Rosenbach war sechs Jahre älter als Sally Lennhoff. Im September 1900 wurde die erste und ein Jahr später die zweite Tochter geboren (Paula und Selma). Die Lennhoffs waren eine der wenigen jüdischen Familien in Soltau.

Sally Lennhoff war gelernter Schneidermeister und führte ein gut gehendes Manufakturwaren- und Textilgeschäft in der Marktstraße 8 in Soltau. Das Geschäft war über Jahre die erste Adresse für Kleidung in Soltau. Das Sortiment umfasste Damen- und Herrenkonfektion sowie Schuhe. Es war kein reiner Ladenbetrieb. Sally Lennhoff bereiste zusätzlich die umliegenden Orte und war dort gern gesehen. Die Firma Lennhoff entwickelte sich gut. Es war ein familiärer Betrieb, in dem die heranwachsenden Töchter und eine Verwandte mitarbeiteten. Sally Lennhoff verdiente ausreichend und lebte gut situiert.

Gesellschaftlich war Sally Lennhoff vielfältig engagiert. 1913 war er der 100. Schützenkönig und pflegte die Mitgliedschaft im Radfahrerverein. Er galt als hilfsbereit und großzügig. Jedes Jahr schenkte er einem mittellosen Kind die Konfirmationskleidung. 1923 nahm seine Familie, als eine der ersten, Not leidende Kinder aus dem besetzten Ruhrgebiet auf.

Zu Beginn der 1930er Jahre reichte der wirtschaftliche Erfolg des Familienbetriebes aus, seine und die Familie seiner inzwischen verheirateten Tochter Paula zu ernähren. Sein Schwiegersohn Harry Feilmann arbeitete ebenfalls im Unternehmen mit. Ein Reisender war angestellt sowie ein oder zwei Angestellte für Verkauf und Lager. Sally Lennhoff galt als guter Arbeitgeber, der sich seinen Angestellten gegenüber korrekt und großzügig verhielt.

Nach und nach verließen die jüdischen Familien Soltau, so dass Mitte der 1930er Jahre Lennhoffs die einzigen Juden in Soltau waren. Nach 1933, unter dem NS-Regime, erlebte Sally Lennhoff in zunehmenden Maße Einschränkungen in seiner Erwerbstätigkeit. In den Jahren zwischen 1933 und 1938 ging der Umsatz um nahezu 50 Prozent zurück. Obwohl sein Geschäft ausdrücklich als „nicht arisch“ diffamiert wurde, konnte er weiterhin Soltauer zu seinen Kunden zählen. Doch in zunehmendem Maße wurden die Lennhoffs gesellschaftlich ausgegrenzt und isoliert. 1937 war die Familie Lennhoff im Soltauer Adressbuch als „nicht arisch“ gekennzeichnet. Im Juli 1938 fand vermutlich die letzte Sitzung der jüdischen Gemeinde statt. Sally Lennhoff vertrat den bisherigen Gemeindevorsteher, sein Schwiegersohn Harry Feilmann wurde zum neuen Gemeindevorsteher gewählt.

Nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November kam der Geschäftsbetrieb vollständig zum Erliegen. Am 10. November - am helllichtem Tag - kamen SA-Horden und aufgehetzte Volksschüler unter der Führung ihres Rektors und plünderten das Geschäft. In sinnloser Zerstörungswut zerschlugen sie die Schaufensterscheiben und die Fenster der Wohnräume. Lennhoffs und Feilmanns hatten sich ins Obergeschoss des Hauses geflüchtet. Aufgehetzte Menschen drangen in das Geschäft ein und plünderten. Lennhoffs Warenlager wurde zum Teil geräumt, die Textilien wurden auf einem kohle-verschmutzten Wagen zur Turnhalle gefahren. Sally Lennhoff und sein Schwiegersohn Harry konnten nichts ausrichten. Im späteren Handgemenge auf der Straße bekam Sally Lennhoff etliche Knüppelhiebe. Um die Familie vor weiteren Handgreiflichkeiten zu schützen, wurde sie in „Schutzhaft“ genommen, die Männer wurden später ins KZ Sachsenhausen deportiert. Dem Treiben vor Lennhoffs Geschäft wurde durch einen auf- merksamen und mutigen Soltauer Bürger ein Ende gesetzt. Wilhelm Habermann war Mitglied der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Lüneburg und wurde als ehrenamtlicher Vertrauensmann in Einzelhandelsfragen gehört. Als Habermann von der Plünderung erfuhr, rief er bei der IHK an und bat um Hilfe. Die Kammer griff ein und veranlasste den Rücktransport der Waren aus der Turnhalle ins Lager von Sally Lennhoff.

Als Sally Lennhoff und Harry Feilmann im Dezember 1938 aus dem KZ entlassen wurden, standen sie vor einer zerstörten Existenz, denn noch im November 1938 war eine Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben erlassen worden, in deren Folge Sally Lennhoff sein Geschäft nicht mehr betreiben durfte, da er dem Unternehmerverbot unterlag. Selbst eine Position als leitender Angestellter war ihm damit verwehrt. Er konnte seine Waren nicht mehr verkaufen; ein Sachverständiger übernahm per Anordnung diese Aufgabe und machte zunächst Inventur. Eine Verordnung vom 23.11.1938 sah vor, dass Warenbestände aus abzuwickelnden Geschäften nicht an den Endverbraucher gehen dürften, sondern nur an die „zuständige Fachgruppe“. Sally Lennhoffs Waren sollten in einzelnen Losen an mehrere Soltauer Textilgeschäfte verkauft werden. Doch die Waren ließen sich nur schwer absetzen, weil sie in der Pogromnacht beschädigt worden waren und/oder aus überalterter Saisonkonfektion bestanden.

Sally Lennhoff zog mit seiner Ehefrau Ida und den beiden erwachsenen Töchtern im Januar 1939 nach Bremen in den Ostertorsteinweg 77. Sein Schwiegersohn Harry Feilmann emigrierte bald nach seiner Entlassung aus dem KZ in die USA. Im April 1939 wanderte seine Tochter Selma nach England aus. Wegen der anstehenden Betriebsauflösung pendelte Sally Lennhoff zwischen Bremen und Soltau. Der Verkauf seiner Habe in Soltau war für ihn lebensnotwendig geworden, er benötigte den Erlös als Lebensunterhalt in Bremen, da er ohne Einkommen war. Im Mai 1939 eröffnete er mit 100 RM ein Konto bei der Sparkasse Bremen, auf das kurze Zeit später der Erlös aus dem Verkauf seines Soltauer Hauses und Grundstücks - zu einem Preis unterhalb des Markt- werts - eingezahlt wurde. Sally Lennhoff bereitete seine Auswanderung vor. Im Oktober 1939 zahlte er für seine Tochter Paula Feilmann 200 RM als „ersatzlose Abgabe an die Deutsche Golddiskontbank für die Erteilung der Genehmigung zur Mitnahme von Umzugsgut“. Tochter Paula verließ Bremen im November 1939 und emigrierte in die USA, wo ihr Mann Harry bereits lebte. Im Ostertorsteinweg 77 blieben Sally und Ida Lennhoff allein zurück. Obwohl das NS-Regime die Juden zur Auswanderung geradezu drängte und Sally Lennhoff trotz aller bisherigen Abgaben vermutlich noch die finanziellen Mittel für die Ausreise gehabt hätte, blieb das Ehepaar (59 und 65 Jahre alt) in Bremen.

Ab dem 28.12.1938 war die Zusammenlegung von Juden in einem Haus von den NS-Behörden erwünscht. In Deutschland, auch in Bremen, entstanden auf diese Weise so genannte „Judenhäuser“. Sally und Ida Lennhoff wurden Anfang August 1941 angewiesen, in das „Judenhaus“ in der Humboldtstraße 10 umzuziehen. Für die Umzugskosten erhielt Sally Lennhoff die Genehmigung, von seinem gesperrten Konto 200 RM abzuheben. Im Februar 1942 zogen Lennhoffs erneut um, und zwar in das „Judenhaus“ Charlottenstraße 28.

Am 24.7.1942 wurden Sally und Ida Lennhoff in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Sie ließen Möbel und Hausstand zurück. Der für die Deportation gepackte Koffer wurde ihnen gestohlen. Sally Lennhoff wurde im Ghetto misshandelt und starb am 26.11.1943 in Theresienstadt. Ida Lennhoff wurde dort als Scheuerfrau geführt. Sie war zur Toilettenreinigung eingeteilt. Durch beklagenswerte hygienische Verhältnisse zog sie sich Eiterungen an der linken Hand zu. Sie wurde mehrfach operiert; aufgrund einer Blutvergiftung musste der rechte Unterarm amputiert werden. Wegen der schweren Erkrankung wurde sie im Mai 1943 vom „Transport zurückgestellt“, d. h. sie entging einer weiteren Deportation in eines der Vernichtungslager. Ida Lennhoff überlebte. Sie erlebte die Befreiung und blieb bis zum 28.7.1945 in Theresienstadt. Später zog sie zu ihrer Tochter in die USA.

In Soltau wurde am 22.10.1987 ein „Sally-Lennhoff-Gang“ eingeweiht.

Kornelia Renemann (2016)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E3132, 4,54-E10601, 4,54-RA177, Einwohnermeldekartei, Sally-Lennhoff-Gang auf: www.soltau.de/desktopdefault.aspx/tabid-3878/7273_read-46286/

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Theresienstadt