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Isidor Keller, *1881

deportiert 1941
ermordet in Minsk


Richard-Wagner-Str. 21
Bremen-Schwachhausen


Richard-Wagner-Str. 21 - Weitere Stolpersteine:


Isidor Keller


Familienbiografie
Isidor Keller
Paula Keller, geb. Adler

Wer in der Vorkriegszeit hochwertige Stickereien, Spitzen und Weißwaren einkaufen wollte, ging in die Sögestraße Nr. 29. Hier befand sich eines der bekanntesten Geschäfte mit diesem Sortiment, das Spitzenhaus Keller.

Isidor Keller war der Sohn von Hermann Keller und seiner Ehefrau Rosalie, geb. Wersetz (?). Er wurde am 24.9.1881 im ungarischen Orosháza geboren. Am 1.9.1911 heiratete er Paula Adler, geb. 25.9.1882 in Mellrichstadt. Ihre Eltern waren Maier Adler und seine Ehefrau Adelheid, geb. Jacobi. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: Harry, geb. 17.7.1912 in Bremen, und Siegfried, geb. 8.2.1914 in Bremen.

Isidor Keller war, aus Hannover kommend, ab 1910 in Bremen gemeldet, seine Ehefrau Paula seit 1911. Die Familie wohnte seit 1928 in der Richard-Wagner-Straße 21, bis das Ehepaar im September 1941, kurz vor ihrer Deportation, in das „Judenhaus“ Rembrandtstraße 25 umziehen musste.

Das Ehepaar Keller führte in der Sögestraße 29 das Spitzenhaus Keller (Stickereien, Spitzen und Weißwaren) mit zeitweise bis zu sieben Angestellten. Das Geschäft hatte anfangs in der Obernstraße seinen Sitz. Während des Ersten Weltkrieges war Paula Keller als Inhaberin eingetragen; sie verlegte den Betrieb in die Sögestraße. Ab 1921 wurde ihr Mann wieder als Inhaber geführt, sie behielt Prokura. Vermutlich um seinen Söhnen eine Existenzmöglichkeit zu sichern, ließ er sie Ende 1935 als Teilhaber in das Handelsregister eintragen. Die Eintragung wurde am 20.5.1936 von der Polizeidirektion jedoch als unzulässig abgelehnt. Harry äußerte sich daraufhin gegenüber seinem Schulfreund Hugo Bez: „Nicht einmal das darf man“.

Am 22.10.1938 wurde das Geschäft „arisiert“. Käuferin war Marie-Luise Hinners. Für 13.300 RM übernahm sie das Warenlager und zahlte 1.700 RM für das Inventar. Das Unternehmen firmierte nun unter Spitzenhaus Marie-Luise Hinners. Im März 1945 wurde es ausgebombt und öffnete erst im Oktober 1948 wieder die Türen. Es blieb weiterhin erfolgreich und behielt den Status des bekanntesten Spitzenhauses in Bremen bis in die 1980er Jahre.

Am 10.11.1938 wurde Isidor Keller im Zuge des Novemberpogroms 1938 verhaftet und nach einem Tag im Zuchthaus Oslebshausen in das KZ Sachsenhausen deportiert. Bei seiner Verhaftung wurden ihm im Gefängnis u.a. eine Geldbörse mit über 100 RM, ein Zigarrenetui, ein Taschenmesser, vier Schreibgeräte, eine Schere, eine Straßenbahnmonatskarte und zwei Brieftaschen mit diversen Papieren abgenommen. Dies wurde in einem Protokoll festgehalten. Am 5.12.1938 wurde er wieder aus dem Konzentrationslager entlassen.

Außer dem Geschäft mussten die Kellers am 9.12.1938 anlässlich der Vorbereitung ihrer Flucht aus Deutschland auch ihr Haus in der Richard-Wagner-Straße verkaufen. Die Immobilie wurde zum Verkauf annonciert und von einem Bürovorsteher einer Maklerfirma erworben. Von dem Verkaufserlös (40.000 RM) waren mehr als die Hälfte an das Deutsche Reich zur Absicherung der Reichsfluchtsteuer und der Judenvermögensabgabe abzutreten. Bis Juli 1939 blieben die Kellers im Haus wohnen, danach zogen sie in das „Judenhaus“ General-Ludendorf-Straße 27 (heute Bürgermeister-Smidt-Straße) um.

Isidor und Paula Keller wollten nach Montevideo/Uruguay fliehen, wo bereits ihr Sohn Harry lebte. Sie hatten die Flucht lange hinausgezögert, da Isidor sich als ehemaliger Weltkriegsteilnehmer geschützt fühlte. Zum anderen versuchten sie, die Ausreise gemeinsam mit dem Ehepaar Manne (Schwester von Paula Keller – siehe Biografien A-Z) zu organisieren. Nach dem Entschluss auszuwandern, waren Mobiliar und Hausrat in zwei Container (Liftvans) verpackt worden. Die Erlaubnis, sie zu verschiffen, musste durch eine Zahlung an die Golddiskontbank (sog. Dego-Abgabe in Höhe von 8.000 RM) erwirkt werden. Die beauftragte Spedition Neukirch konnte nachweisen, dass die Container bis Antwerpen gelangt waren. Doch kurz vor der Abreise verfügte die Regierung von Uruguay im Januar 1939 einen Einwanderungsstopp. Daraufhin ließen Kellers die Liftvans wieder zurückkommen, da damit gerechnet werden musste, dass sie geplündert werden könnten. 1941 trafen sie in der Tat ausgeraubt und beschädigt wieder in Bremen ein. Der restliche Inhalt soll vom Ehepaar Keller zur Versteigerung gegeben worden sein.

Isidor und Paula Keller sowie alle anderen Bewohner des „Judenhauses“ Rembrandtstraße 25 wurden am 18.11.1941 nach Minsk deportiert. Sie wurden ermordet: Sofern sie nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto erlagen, fielen sie einer der Massenmordaktionen zum Opfer, die Ende Juli 1942 begannen.

Die beiden Söhne Harry und Siegfried, die eine Ausbildung zum Einzelhändler in der Fa. R. Karstadt AG in Bremen absolviert hatten, wurden im April 1933 aus „rassischen Gründen“ entlassen. In Harrys Zeugnis vom 18.4.1933 hieß es: „Herr Keller verläßt uns mit dem heutigen Tage wegen Personalumstellung.“ Harry Keller fand in Leipzig eine neue Arbeit als Abteilungsleiter in einem Textilhaus bis er 1938 auch dort wegen der „Arisierung“ des Geschäftes entlassen wurde und zurück nach Bremen kam.

Am 9./10. November 1938 wurde auch er im Zuge des Pogroms verhaftet, jedoch nach einer Woche wieder entlassen. Am 20.11.1938 wanderte er nach Montevideo aus. Nach jahrelangen schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen baute er sich dort ab 1949 eine Bettfedernfabrik u. -reinigung auf.

Siegfried Keller (später Steven Fred) war bereits am 8.1.1937 nach England als Vertreter für eine deutsche Firma ausgewandert. Am 27.11.1938 wurde er dort als Flüchtling anerkannt. Er lebte zunächst von Gelegenheitsarbeiten und Unterstützung durch das Jüdische Komitee. Von August 1940 bis April 1946 diente er in der britischen Armee. 1945 besuchte er als Sergeant einen Schulfreund in Bremen. Siegfried war mit Ilse Ida Rothschild (geb. 1911 in Burgkunstadt) verheiratet, sie hatten eine Tochter. Er starb 1959 in London.

Paula Kellers Mutter, Adelheid Adler, die am 15.2.1939 aus Mellrichstadt in die Richard-Wagner-Straße zugezogen war, gelang es im Juli 1939, nach England zu fliehen. Mit ihr konnte auch ihre Tochter Helene (verh. Reichenberg) flüchten. Ihre andere Tochter Luzi, mit Willy Manne verheiratet, verlor ihr Leben ins Minsk.

Peter Christoffersen (2017)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E4347, 4,54-E4867, 4,54-E10962, 4,54-E10977, 4,54-Ra34, 4,54-Rü5225, Einwohnermeldekartei
Bruss, Regina: Wir schritten durch eine schweigende Stadt, Bremen 1991

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Novemberpogrom
Glossarbeitrag "Arisierung"
Glossarbeitrag "Judenhäuser"
Glossarbeitrag "Auswanderung"
Glossarbeitrag Minsk