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Gisela Polak, geb. Kornblum, *1905

deportiert 1941
ermordet in Minsk


Yorckstr. 86
Bremen-Neustadt


Yorckstr. 86 - Weitere Stolpersteine:


Gisela Polak

Familienbiografie

Siegfried Hermann Polak wurde am 21.9.1903 in Oldersum bei Emden geboren und war der jüngste Sohn von Adele (1870-1942) und Jakob Polak (1856-1915). Er hatte noch sechs weitere Geschwister: Die Brüder Ludwig (geb. 1898) und Carl (geb. 1901) sowie die Schwestern Emma (geb. 1893), Dora (geb. 1894), Therese (geb. 1896) und Elise (geb. 1908).

Seine Mutter stammte aus Hamburg, wo sie am 19.5.1870 als Adele Goldschmidt zur Welt kam. Sie heiratete den vierzehn Jahre älteren Jakob Polak, geboren am 2.7.1856 in Oldersum. Die Familie Polak, seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Oldersum ansässig, verdiente ihren Lebensunterhalt als Schlachter und Viehhändler, so auch Siegfrieds Vater Jakob. Von ihm lernten seine Söhne diese Arbeit bereits in jungen Jahren kennen. Die Berufserfahrungen wurden von Generation zu Generation weitergegeben, sodass die Familie zu einem bescheidenen Wohlstand kam und ein eigenes Haus mit Betrieb in der Neustadtstraße 7 in Oldersum besaß. Am 20.7.1915 starb Jakob Polak und wurde auf dem jüdischen Friedhof in der Bollwerkstraße (Grabstein Nr. 798) in Emden begraben.

Nach dem Tod von Siegfrieds Vater führte seine Mutter Adele die Viehhandlung und Schlachterei fort, weil ihre drei Söhne noch zu jung waren. Am 31.8. 1927, evtl. wegen der stark gesunkenen Rinderpreise in Leer und der zunehmenden Arbeitslosigkeit, zog Adele mit ihren Söhnen Siegfried, Ludwig, Carl und ihrer jüngsten Tochter Elise in die Graudenzer Straße 45 nach Bremen. Sie eröffnete eine neue Viehhandlung, die ihr Sohn Siegfried Hermann Polak am 21.5.1932 übernahm. Die Umsätze mit dem Handel von Nutz- und Schlachtvieh betrugen vor 1933 monatlich ca. 40.000 RM. Durch den Boykott jüdischer Geschäfte nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage für Siegfried Polak. Als ihm am 8.8.1938 die Gewerbeerlaubnis entzogen wurde, musste er sein Geschäft schließen.

Die zahlreichen jüdischen Viehhändler waren vielen nichtjüdischen Kollegen eine unliebsame Konkurrenz. Am 14.7.1933 schrieb der Bremer Schlachthofdirektor Rohdenburg an den zuständigen Senatskommissar Vagts: „Die jüdischen Viehhändler sind der Krebsschaden der Landwirtschaft.“ Sie seien auszuschalten, nicht nur vom Schlachthofbetrieb, „sondern überhaupt“. Erich Vagts sprach daraufhin ein Schlachthofverbot für jüdische Viehhändler aus.

Gesela (auch Gisela genannt) Kornblum lernte den Viehhändler Siegfried Hermann Polak kennen. Beide heirateten am 23.9.1940 in Bremen. Siegfried Hermann zog nach der Eheschließung von der Graudenzer Straße 45 zu seiner Frau in die Yorckstraße 86. Viktoria Gesela Kornblum kam am 23.9.1905 in Bant bei Wilhelmshaven zur Welt. Ihr Vater Johann (genannt Jan), geboren am 3.10.1877 in Niepolomice bei Krakau, war Produktenhändler (Altstoffhändler) und wohnte mit ihrer Mutter Stephanie, geb. Glassner (geb. 1876 in Krakau), in der Adolfstraße 35 in Bant. Nach der ältesten Tochter Gesela bekam das jüdische Ehepaar zwei weitere Töchter: Lily kam 1906 zur Welt. Else wurde 1908 geboren, verstarb aber bereits im selben Jahr in Bant. 1912 wurde Gesela in die Fräulein-Marien-Schule eingeschult und erhielt 1923 ihr Abschlusszeugnis. Die Einbürgerung der Familie in das Land Oldenburg erfolgte gleichfalls 1923. Die Mutter Stephanie Kornblum kaufte 1928 ein Haus mit drei Wohnungen in der Yorkstraße 86 in Bremen. Sie meldete sich 1928 in Bant ab und zog in ihr neues Haus. Das Paar hatte sich offensichtlich getrennt, denn ihr Mann Johann meldete sich in der Brockstraße 46 in Bremen an. Gleichzeitig eröffnete er einen Hausierhandel mit Manufakturen und Kurzwaren.

Als die Mutter am 19.6.1929 im Willehadhaus starb (Jüdischer Friedhof, Bremen, Grabstein C 4/15), erbten die beiden Schwestern je zur Hälfte das Haus. Die Arisierung des jüdischen Haus- und Grundbesitzes erreichte in Bremen 1938/39 seinen Höhepunkt. Noch galt hier aber der „freihändige“ Verkauf, d.h. die Juden bestimmten selbst den Käufer, der allerdings genehmigt werden musste. Die in einer „Mischehe“ lebenden Juden konnten ihr Grundstück an den Ehepartner abtreten, um den staatlichen Zugriff abzuwehren. Diese Möglichkeit nutzte Geselas Schwager, der „arische“ Ingenieur Georg Theodor Machon. Er kaufte beiden Schwestern 1939 das Haus in der Yorckstraße 86 ab. Nach einem Bericht Georg Machons vom 04.03.1950 wollte die Mutter ihre beiden Töchter mit dem Haus absichern. Der Vater Johann Kornblum sei „vor 1933 sehr reich gewesen, aber habe ein Vermögen in kurzer Zeit verbraucht.“ Dennoch meldete Johann Kornblum am 07.01.1950 mit Unterstützung der jüdischen Gemeinde einen Rückerstattungsanspruch bei der Wiedergutmachungsbehörde in Bremen auf das Haus Yorckstraße 86 an, obwohl er im Grundbuch nie als Eigentümer eingetragen war und ihm nach den Erbscheinen seiner Töchter nur ein Viertel des Hauses zustand. Tatsächlich wurde sein Anspruch auch am 04.01.1951 im Grundbuch gelöscht.

Georg Machon hingegen wollte das Eigentum der beiden Schwestern sowie das Erbe seines Sohnes Manfred vor der „Arisierung“ schützen. In seinem Einspruch vom 04.03.1950 gegen den Rückerstattungsanspruch seines Schwiegervaters gab er an, dass er damals die Hypotheken von 5.000 Mark bei der Sparkasse sowie 2.000 Mark bei dem Kaufmann Meyer abgelöst habe. Zudem zahlte er jeweils 2.500 Mark an seine Frau Lily und seine Schwägerin Gesela Kornblum auf ihr Sparkonto. Desweiteren führte er aus: „Außer meinem Gehalt als Flugzeugbauingenieur besaß ich damals kein Vermögen und es war für mich sehr schwer die Kaufsumme, die Grunderwerbssteuer mit den hohen Rechtsanwaltskosten aufzubringen. Die Sparkasse in Bremen und Herr Meyer kündigten mir sofort die Hypotheken, weil ich eine Jüdin zur Frau hatte. Wieder musste ich große Kosten aufbringen für Hypotheken-Vermittlung. Die Hypothek von 5.000 Mark gab Herr Friedrich Bangert in Bremen. Nach dem ich das Haus erworben habe, gewährte ich meiner Schwägerin Gisela Kornblum das Wohnrecht und ich gab ihr ein Teil der Miete, damit sie ihren Lebensunterhalt fristen konnte. Ihr Vater, Herr Johann Kornblum, kümmerte sich um seine Kinder nicht.“ Diese, nicht selbstverständliche Geste ermöglichte Gesela und Siegfried Polak einen bescheidenen Lebensunterhalt.

Vor der Deportation musste das Ehepaar in das „Judenhaus“ in der Elsasser Straße 114 ziehen. Am 17.11.1941 hatten sich die Juden, die auf der Deportationsliste standen, in Sammelstellen einzufinden. Gemeinsam mit Adele und Carl Polak wurden Gesela und Siegfried Hermann Polak sowie die beiden, in Hamburg lebenden Schwestern Therese und Elise mit ihren Familien in das Ghetto Minsk deportiert.
Aufgrund von Hunger, Kälte sowie Willkür und Folter der SS starben viele im harten Winter 1941/42. Sofern sie nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto Minsk erlagen, fielen sie einer der Massenmordaktionen zum Opfer, die Ende Juli 1942 begannen.

Von Siegfrieds drei Brüdern überlebte nur Ludwig, von seinen vier Schwestern nur Emma und Dora den Holocaust. Geselas Schwester Lily Machon hatte 16.6.1943 Selbstmord begangen.


Verfasserin:
Ilse Zelle (2020)

Informationsquellen:
StABremen 4,54-E11447, 4,54-E10898, 4,54-Rü 5980, 4,54- 6196, 4,54-E1201, 4,54-Ra600, Einwohnermeldekartei
Stadtarchiv Wilhelmshaven: 2000/Schulen – Fräulein-Marien-Schule, Meldekarten, Personenstandsregister, Geburtsurkunden.
www.groeschlerhaus.eu/forschung/wilhelmshaven-2/juedische-schulkinder-in-ruestringen-schicksale-zwischen-emigration-und-holocaust/
www.euhausen-klaus.de/oldersumerjuden.htm.
www.stolpersteine-hamburg.de (Wagener, Peter Offenborn)
Teuber, Werner: Jüdische Viehhändler in Ostfriesland und im nördlichen Emsland 1871-1942. Cloppenburg 1995, vgl. S. 29, 67
Zelle, Ilse (Hrsg.): Otto Polak. Leben und Schicksal eines Christen jüdischer Herkunft. Bremen 2010

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Minsk