Sie befinden sich hier | Kapitelüberschrift  Stolpersteine Biografie
Schriftgroesse verkleinern Schriftgroesse normal Schriftgroesse vergrössern
Diese Seite ausdrucken

Max Kossel, *1907

verhaftet 1940 KZ Dachau
tot 21.10.1940 Mauthausen


Dijonstraße 17
Bremen-Schwachhausen

Max Kossel


Max Kossel wurde am 3.4.1907 in Bremen als Sohn des Bauunternehmers Paul Kossel und seiner Ehefrau Katharine (Käte), geb. Maibaum, geboren. Sie hatten 1904 die Ehe geschlossen und hatten außer Max noch zwei weitere Kinder: Paul Heinz und Marlo.

Max erhielt die zusätzlichen Vornamen Franz, Erich und Hans. Nach Abschluss einer kaufmännischen Ausbildung arbeitete er im väterlichen Betrieb (Beton- u. Eisenbetonbau- Unternehmung Kossel & Co. KG. in der Buchtstraße 59). Soweit er in Bremen wohnhaft war, lebte er im Hause seiner Eltern. Vom 1.5.1930 bis zum 20.12.1931 wohnte er in Berlin. Dort hatte die Firma seines Vaters auch eine Zweigstelle.

Er verließ Bremen endgültig im März 1939 und gab als neuen Wohnort London an. Entweder wollte er damit seinen Verbleib verschleiern, um sich seinen Verfolgern zu entziehen, oder die Auswanderung wurde nicht weiter verfolgt. Er zog vermutlich direkt nach St. Jakob bei Salzburg, wo er im November 1939 nach einer Hausdurchsuchung durch die Gestapo aktenkundig wurde. Dort betrieb er mit einem Freund (Rossing aus München) eine Pension.

Max Kossel war homosexuell. Am 12.5.1936 wurde er in Lindau/Bodensee angezeigt, sich mit dem Spenglergehilfen Jakob S. geküsst und gegenseitig körperlich berührt zu haben. Das erfüllte den Tatbestand des § 175 StGB. Vom Amtsgericht Lindau wurde er daraufhin am 4.6.1936, anstatt zu einer Gefängnisstrafe von 20 Tagen, zu einer Geldstrafe von 100 RM verurteilt.

Am 25.11.1939 fand eine Durchsuchung seiner Wohnung durch die Gestapo statt, die in seiner Abwesenheit anlässlich einer Reise durchgeführt wurde. Grund dürften Hinweise auf homosexuelle Kontakte gewesen sein. Der Oberstaatsanwalt Salzburg vermerkte:

„In der ganzen Umgebung des Schlosses St. Jakob war seine homosexuelle Neigung ein ‚offenes Geheimnis‘, wie Bürgermeister und Zellenleiter angeben. Auch seine Beziehungen zu Rossing deuten darauf hin, denn dieser hatte nach den Erhebungen in München auch Umgang mit ähnlichen Elementen.“

Den Nachweis sexueller Handlungen gelang den Behörden nicht. Die denunziatorischen Aussagen des Personals waren nicht ausreichend:

„Das Dienstmädchen und die Wirtschafterin bemerkten mehrmals ein vollständig zerwühltes Bett, nachdem der Beschuldigte sich am hellen Nachmittag mit ständig wechselnden Männern in seinem Schlafzimmer eingeschlossen hatte.“

Zu seiner sofortigen Verhaftung am 27.11.1939 führte vielmehr ein unabgesandter Brief vom 13.11.1939, der bei der Hausdurchsuchung in einer Schublade gefunden wurde. Er war an seinen Freund Ernst Ortmann in Berlin gerichtet. Nur wenige Tage nach dem Anschlag Georg Elsers auf Adolf Hitler im Bürgerbräukeller in München schrieb er ihm: „Ein drittes Mal verfehlt die auf Hitler gerichtete Bombe hoffentlich nicht ihr Ziel.“ Weiter bezeichnete er die NSDAP als Pöbel, äußerte sich abfällig gegenüber „Persönlichkeiten des Staates“ und über BDM-Angehörige. Die Opposition zum NS-Regime entsprach seinem Denken, da er sich bereits in Bremen oft gegenüber einer Mitarbeiterin sehr kritisch und offen über die Nationalsozialisten und ihre „rassischen Verfolgungen“ ausgesprochen hatte. Da der aufgefundene Brief weder abgeschickt noch einer Öffentlichkeit bekannt war, waren die Tatbestände des Heimtückegesetzes nicht erfüllt.

Die Untersuchungshaft, die vom 6.1.-8.3.1940 angeordnet worden war, wurde wegen Einstellung des Verfahrens aufgehoben. Dies war dem Bemühen seines Rechtsanwalts Dr. Otto Riedl aus München zu verdanken.

Das Bekanntsein Max Kossels als Homosexueller in der kleinen Ortschaft St. Jakob mag auch mit seinem Auftreten zu tun gehabt haben. Bei der Haftentlassung wurden ihm 2 Armbanduhren, 5 Ringe, 3 Paar Manschettenknöpfe, 1 Anhänger mit Kette, 3 Anhänger, 1 Nadel, 2 Krawattennadeln und 1 Zigarettendose zurückgegeben. Auch in Bremen wurde über Max Kossel eine Polizeiakte (Nr. 184494) vermutlich spätestens nach seiner Verurteilung in Lindau geführt. Nach der Verhaftung in Salzburg erhielt seine Bremer Einwohnermeldekarte einen Vermerk, dass bei einer Wiederanmeldung sofort eine Meldung an die Kripo zu erfolgen habe.

Nach der Aufhebung der Untersuchungshaft wurde er umgehend von der Gestapo Salzburg wieder in „Schutzhaft“ genommen. Dieses Verfahren war gegenüber Homosexuellen üblich, auch wenn keine Verfahren anhängig waren. Am 24.5.1940 wurde er in das KZ Dachau überstellt und am 16.8.1940 von dort in das KZ Mauthausen eingewiesen.

Der Rechtsanwalt Dr. Riedl bemühte sich weiter engagiert, ihn aus dem Konzentrationslager herauszubekommen. Er sprach mehrfach bei der Gestapo in Salzburg und im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin vor. Dort wurde ihm schließlich eine baldige Entlassung Kossels bis Ende Oktober in Aussicht gestellt.

Mit Datum vom 16.9.1940 erhielt Dr. Riedl einen Brief aus dem KZ Mauthausen/Gusen. Darin schilderte Max Kossel besorgt seine finanzielle Situation und hatte einen Zahlungsbefehl beigelegt. Er benötige unbedingt eine Bürgschaft aus Berlin. „Sie müssen es erreichen! Wenn nicht, keine Rettung meiner Sachen möglich. [...] Es ist sehr dringend. Lassen Sie mich nicht im Stich.“

Das KZ Gusen war ein 1939 aufgebautes Nebenlager des KZ Mauthausen. In Gusen gründete die SS ihr erstes Großunternehmen, die Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH (DESt.). Die schwere Arbeit in den Steinbrüchen, die primitiven Verhältnisse in den Lagerunterkünften und die Brutalität der deutschen „Berufsverbrecher“ als Kapos ließen es zu einem Konzentrationslager für Häftlinge werden, deren Rückkehr von der Gestapo als „nicht erwünscht“ galt.

Dort verstarb Max Kossel am 21.10.1940. Als Todesursache wurde eine eitrige Entzündung am rechten Unterschenkel angegeben, die zu einer tödlichen Sepsis führte. Dr. Riedl begab sich sofort nach der per Telegramm erhaltenen Todesnachricht in Begleitung der Geschwister Paul Heinz und Marlo nach Mauthausen, um die Todesumstände vom Lagerkommandanten zu erfahren. Vermutlich konnten sie seine Leiche sehen, da die Mutter Max Kossels berichtete, dass seine Geschwister ihn aufgrund seines körperlichen Zustandes „zuerst nicht erkannt haben“. Die Leiche wurde im Krematorium Mauthausen eingeäschert und die Urne am 5.11.1940 dem Friedhofsamt Bremen übersandt.

Käte Kossel, seine Mutter, versuchte ab 1950 eine Entschädigung zu erlangen. Die Bremer Wiedergutmachungsbehörde lehnte dies mit der Begründung ab, dass seine KZ-Internierung nicht mit seiner Gegnerschaft zum NS-Regime in Verbindung gebracht werden könne. Eine Inhaftierung aufgrund des Verstosses gegen den § 175 StGB (Unzucht zwischen Männern) war nicht entschädigungswürdig.

Der § 175 StGB hatte auch nach der NS-Zeit bis 1994 uneingeschränkt Bestand, und Max Kossel galt insofern als Krimineller. Erst 2017 erfolgte die Rehabilitierung der nach §175 StGB verurteilten Männer durch den Deutschen Bundestag.

Peter Christoffersen (2017)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E4510, Einwohnermeldekartei
Archive KZ Dachau und KZ Mauthausen

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Verfolgung Homosexueller
Glossarbeitrag "Schutzhaft"