Günther Alexander, *1922
Heimatort unfreiwillig verlassen, 1939 Hamburg, 1942 Bücken Deportiert 1942 Ghetto Warschau
???
Hannoversche Straße 69
Bremen-Hemelingen
ehemalige Straßenbezeichnung: Langenstraße 69
Verlegedatum: 07.06.2012
Hannoversche Straße 69 - Weitere Stolpersteine:
Günther Alexander
Familienbiografie
Levy Alexander
Iwan Alexander
Frieda Alexander, geb. Magnus
Günther Alexander
Inge Rose Alexander
Levy Alexander wurde am 26.1.1860 in Hemelingen als erstes
von sechs Geschwistern geboren. Seine Eltern waren Joseph
Alexander (1832-1879) und dessen Ehefrau Sophie, geb. Men-
del (1835-1921). Die Familie Alexander zählte zu den ältesten
jüdischen Familien in Hemelingen und Hastedt. Der Großva-
ter Hesekiel Jacob (1758 in Holland geboren) war bereits 1785
nach Hastedt gezogen.
Levy Alexander lebte zunächst als Schlachtermeister und Vieh-
händler in Hemelingen, Langenstraße 16, und spätestens seit
1913 im eigenen Haus in der Langenstraße 69 (heute Han-
noversche Straße). Er heiratete Rosa Flörsheim (geb. 1862 in
Meerholz/Gelnhausen). Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Iwan
(geb. 6.2.1893) und Selma (geb. 1894).
Nach dem Tod seiner Ehefrau (1924) zog er 1928 nach Verden,
Johanniswall 11, zu seiner Tochter Selma, die mit dem nieder-
ländischen Viehhändler Lhoman (gen. Leo) Braaf verheiratet
war. Mindestens bis August 1938 war dieser noch in Verden
als Viehhändler tätig. Die Familie Braaf verließ im Januar 1939
Verden und siedelte zunächst nach Bellingwolde/Provinz Gro-
ningen und später nach Winschoten über. Nur wenige Monate
später zog auch Levy Alexander am 25.7.1939 zu ihnen in die
Niederlande.
Sein Sohn Iwan wuchs im elterlichen Haus in Hemelingen auf
und wohnte dort bis 1942. Er war gleichfalls Viehhändler und
Schlachter von Beruf und nahm als Soldat am Ersten Weltkrieg
teil. Am 5.12.1920 heiratete er Frieda Magnus (geb. 1.1.1895 in Bücken/Hoya), Toch-
ter von Max (Moses) Magnus (gest. 1940) und seiner Ehefrau Minna, geb. Jacobson
(gest. 1938), wohnhaft in Bücken. Das Ehepaar Alexander bekam zwei Kinder: Günther
(geb. 6.4.1922 in Bremen) und Inge Rose (geb. 27.11.1924 in Bremen). Der Sohn zog
1939 nach Hamburg und kehrte erst 1942 wieder zu seinen Eltern zurück.
Tochter Inge Rose kam 1931 bei ihrer Tante Selma Braaf in Verden in Pflegschaft. Dies
wurde nachträglich am 10.12.1938 vertraglich geregelt – vermutlich im Hinblick auf die
anstehende Auswanderung. Inge war Ostern 1931 in die Nicolai-Schule in Verden einge-
schult worden und wechselte zum Schuljahr 1935/36 auf die Oberschule für Mädchen
(Am Wall). In einem Schulbeobachtungsbogen von 1936 wird sie als „sehr strebsam“ be-
zeichnet. Sie musste aufgrund ihres Fortzugs die Schule in der 8. Klasse abbrechen. Sie
war die letzte jüdische Schülerin auf einer Oberschule im Landkreis Verden. Mit ihren
Pflegeeltern verließ sie am 18.1.1939 Verden.
Iwan Alexanders Schwiegervater Max Magnus verstarb 1940 in Bücken. Über seine Be-
erdigung berichteten Augenzeugen:
"Der Trauerzug zum jüdischen Friedhof in Hoyerhagen war ein Spießrutenlaufen für die weni-
gen Angehörigen. Die Nachbarn wagten nur in der Dunkelheit im Trauerhaus zu kondolieren
und vom Fenster ihrer Wohnung aus den armseligen Trauerzug zu geleiten. Die Hitlerjugend
lärmte vor dem Trauerhaus und bewarf den Sargwagen."
Nachdem Iwan Alexander seiner Existenzmöglichkeiten beraubt worden war, verließ er
mit seiner Ehefrau am 15.1.1942 Bremen und zog nach Bücken in ihr Elternhaus (Oster-
torstraße 11). Im Laufe desselben Jahres wurden beide verhaftet und in das Sammella-
ger Ahlem bei Hannover eingewiesen. Von der Internierungszeit in Ahlem berichtete ein
Augenzeuge: Eine Bücker Nachbarin, die in Hannover in Stellung war, konnte sie dort
besuchen und unter dem Decknamen „deine Tante Sophie“ Post von Frieda Alexander
empfangen. Die letzte Karte war kurz: „Wir verreisen. Komm doch noch einmal!“ Aber ihr
Besuch kam zu spät. Bis auf eine alte ungarische Jüdin waren alle abtransportiert. Noch
einmal gelang es Frieda Alexander, auf der Fahrt nach Osten eine Karte an ihre Nachba-
rin zu schicken. Das Ehepaar Alexander wurde am 2.3.1943 über Berlin in das Vernich-
tungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort vermutlich gleich am Ankunftstag
(3.3.1943) ermordet.
Das Haus in der Langenstraße in Bremen-Hemelingen wurde am 4.6.1943 vom Deut-
schen Reich eingezogen und bereits ab Juli an einen Schlachtermeister weitervermietet.
Am 22.4.1945 wurde es durch Bomben zerstört.
Günther Alexander wurde noch vor seinen Eltern 1942 verhaftet und in das Sammella-
ger Ahlem bei Hannover eingewiesen. Ein Augenzeuge berichtete:
"Sohn Günter war durch die Isolierung, Diffamierung und die Angst seelisch so fertig, dass
er trotz seiner erst zwanzig Jahre wie ein alter Mensch zitterte. Er wurde hier in Bücken „ab-
geholt“. Als ihm beim Abführen das Schnürband riss und er es mit seinen zittrigen Händen
zusammenbinden wollte, schlugen seine Peiniger brutal auf ihn ein. Auch er kam nie zurück."
Er wurde aus dem Sammellager Ahlem am 31.3.1942 mit weiteren 1.015 Menschen in
das Ghetto Warschau deportiert. Die Menschen mussten etwa sechs Stunden bei strö-
mendem Regen im Freien auf dem Bahnhof Hannover-Linden warten, bis sie dann in
aller Eile in den Zug gedrängt wurden. An seinen Amtskollegen in Münster meldete der
Oberfinanzpräsident in Hannover: „Die abgeschobenen Juden haben am 2. April die
Reichsgrenze überschritten.“ Adam Czerniaków vom Warschauer Judenrat verzeichne-
te in seinem Tagebuch: „Gegen Morgen wurden etwa 1.000 Deportierte aus Hannover,
Gelsenkirchen usw. hergeschafft. [...] Alte Leute, viele Frauen, kleine Kinder.“ Mit dem
Transport nach Warschau verliert sich die Lebensspur von Günther Alexander.
Am 10.5.1940 wurden die Niederlande von der Deutschen Wehrmacht besetzt, womit
die Verfolgung der dortigen Juden begann. Anfang Oktober 1942 gab es eine große Raz-
zia in den Bezirken Groningen und Drenthe. Dabei wurden auch Inge Rose und Selma
Braaf in Winschoten verhaftet. Der Tag der Verhaftung von Lhoman Braaf ist nicht be-
kannt. Zwischen dem 3. und 5.10.1942 trafen sie im Sammel- und Durchgangslager
Westerbork ein. Am 2.11.1942 wurden sie nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Levy Alexander wurde erst Anfang November 1942 verhaftet und nach Westerbork ge-
bracht. Seine Deportation nach Auschwitz im Alter von 82 Jahren fand am 20.11.1942
statt, am 23.11.1942 wurde er dort ermordet.
Peter Christoffersen (2023)
Qellen:
StA Bremen 4,54-Ra2004, Einwohnermeldekartei, Adressbuch Hemelingen
Auskunft Archiv Kamp Westerbork
Schröder, Werner/Woock, Joachim: „Stolpersteine“, Biografien aus Verden, Verden 2009
Deuter, Hermann/Woock, Joachim (Hrsg.): Es war hier, nicht anderswo!, Bremen 2016
Gemeinde Winschoten Sterbeurkunde Levy Alexander
Mallus-Huth, Heike/Huth Hans: “Wann wird man je versteh’n ...“ - Der Weg der Hoyaer Juden bis 1942, in: Jüdische Bibliothek, Band 4, Mannheim 1992, S. 37f.
Reyer, Herbert: Die Deportation der Hildesheimer Juden in den Jahren 1942 bis 1945, in: Hildesheimer Jahrbuch 74
(2002), S. 159
Obenaus, Herbert (Hrsg.): Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Göttingen
2005, S. 374
www.joodsmonument.nl; www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_nwd_420401.html
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Arisierung"
Glossarbeitrag Westerbork
Glossarbeitrag Auschwitz