Ruth Kaufmann, geb. Oswald, *1908
FLUCHT 1936 FRANKREICH, INTERNIERT DRANCY,
DEPORTIERT 1943, ERMORDET IN AUSCHWITZ
Frühlingstraße 12
Bremen-Mitte
Verlegedatum: 03.03.2014
Frühlingstraße 12 - Weitere Stolpersteine:
Ruth Kaufmann
Familienbiografie
Julius Kaufmann
Ruth Kaufmann, geb. Oswald
Das Schicksal von Ruth und Julius Kaufmann ist ein Beispiel dafür, dass eine frühzeitige Auswanderung in eines der angrenzenden Hauptfluchtländer wie Holland, Belgien oder Frankreich nicht unbedingt mit einer Lebensrettung gleichzusetzen war. Wer nach der Besetzung kein geeignetes Versteck finden konnte, kein Einreisevisum nach Übersee oder keine Passage bekam und nicht über ausreichende finanzielle Reserven verfügte, war irgendwann dem Zugriff der Nationalsozialisten ausgeliefert.
Das jüdische Ehepaar Ludwig Oswald (1875-1964) und Saline Ries (1874-1934) hatte fünf Kinder: Hans (geb. 1903), Fritz (geb. 1905), Manfred (geb. 1907) sowie die Zwillinge Ruth und Ernst (geb. 4.12.1908 in Bremen). 1910 erwarben sie das Haus in der Frühlingstraße 12. Ludwig Oswald führte ein äußerst erfolgreiches Zucht- und Milchviehhandelsgeschäft mit überdurchschnittlichem Umsatz. Seine Geschäftspartner waren vorwiegend im Rhein- und Ruhrgebiet ansässig, wo er u. a. große Zuchtbetriebe belieferte. Seine Söhne Hans und Ernst traten nach ihrem Schulabschluss in das Geschäft des Vaters ein. Ab 1937 wurde ihm seine geschäftliche Tätigkeit untersagt. Im Zuge der Pogromnacht 1938 wurden er und sein Sohn Ernst im KZ Sachsenhausen interniert. Ludwig Oswald wurde nach zwei Wochen wieder entlassen, sein Sohn Ernst im Februar 1939.
Ruth Kaufmann war 1927 für sechs Monate nach Montreux abgemeldet. Am 25.12.1936 emigrierte sie nach Tours/Frankreich. Dort heiratete sie Julius Kaufmann (geb. 17.2.1899 in Jülich). Ob beide sich schon vorher kannten oder sich erst in Tours kennengelernt haben, ist nicht bekannt.
Julius Kaufmann kam aus Jülich und war der Sohn von Simon Kaufmann und Bertha, geb. Kaufmann (1860-1942). Er hatte drei Geschwister: Sally (geb. 1892), Irene (geb. 1893) und Selma (geb. 1896). Sein Vater handelte mit Eisen und Metallen (en gros), seine Mutter war Inhaberin einer Modehandlung in Jülich in der Marktstraße 23. Um 1910/1911 muss die Familie Jülich verlassen haben, da sie in der Folgezeit nicht mehr in den Adressbüchern vermerkt ist. Der neue Wohnort ist nicht bekannt. Vermutlich floh Bertha Kaufmann 1936/1937 mit ihren Kindern Julius und Irene nach Tours.
Am 27.6.1940 wurde Tours von der Deutschen Wehrmacht besetzt. Das Ehepaar konnte flüchten; ihr letzter bekannter Aufenthaltsort war Bellac in der Nähe von Limoges, das sich in der unbesetzten Zone befand. Ob sie dort wohnten oder nur aufgegriffen wurden, ist nicht bekannt.
Am 26.8.1942 begann in der zone libre die Verhaftung der jüdischen Emigranten durch das Vichy-Regime. Bei der ersten Verhaftungswelle im Limousin war das Ehepaar Kaufmann höchstwahrscheinlich noch nicht dabei, da diese Gruppe mit den Transporten Nr. 26 und 27 bereits am 29.8.1942 nach Auschwitz deportiert wurde. Sie kamen vermutlich zu einem späteren Zeitpunkt in das Sammellager Drancy. Mit dem Transport Nr. 47 wurden beide am 11.2.1943 nach Auschwitz deportiert. Der Transport mit 998 Menschen erreichte am 13.Februar das Vernichtungslager. Nach der Selektion wurden 143 Männer sowie 53 Frauen in das Lager eingewiesen. Die übrigen 802 Menschen wurden in den Gaskammern getötet, unter ihnen vermutlich auch das Ehepaar Kaufmann.
Ludwig Oswald, Vater von Ruth, flüchtete am 9.3.1940 in die USA, ihrem Zwillingsbruder Ernst gelang am 27.10.1939 die Ausreise über Antwerpen nach New York, und Bruder Hans konnte bereits im Juli 1938 mit seiner Ehefrau in die USA emigrieren. Über das Schicksal der Brüder Fritz und Manfred ist nichts bekannt. Bertha Kaufmann und ihre Tochter Irene wurden unter dem Namen Coffman mit dem Transport Nr. 45 am 11.11.1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ihr letzter Wohnort war Tours.
Peter Christoffersen (2015)
Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E11328, 4,54-E11064, 4,54-E10132, 4,54-E9846, Einwohnermeldekartei
Geburtseintrag Julius Kaufmann, Standesamt Jülich 18/1899
Adressbücher Jülich
www.geschichtswerkstatt-dueren.de
Spelthahn, Heinz u. a.: Entrechtet – entwurzelt – ermordet, Buch der Erinnerung an die Juden des Jülicher Landes, Jülich 2006
www.memorialdelashoah.fr
www.ajpn.org/commune-Bellac-87011.html (Bellac en 1939-1945)
Czech, Danuta: Kalendarium der Ereignisse in Auschwitz-Birkenau , Reinbek b.Hamburg 1989
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Drancy
Glossarbeitrag Auschwitz