Sie befinden sich hier | Kapitelüberschrift  Stolpersteine Biografie
Schriftgroesse verkleinern Schriftgroesse normal Schriftgroesse vergrössern
Diese Seite ausdrucken

Hans Mendelsohn, *1891

VERHAFTET 1944, ARBEITSERZIEHUNGSLAGER FARGE, NEUENGAMME,
CAP ARCONA, TOT 3.5.1945, LÜBECKER BUCHT


Waller Ring 138
Bremen-Walle

Verlegedatum: 20.09.2018

Hans Mendelsohn


Hans Mendelsohn, geb. 29.4.1891 in Jever, stammt aus einer weit über Jever hinaus bedeutsamen jüdischen Familie. Seine Eltern waren Ludwig und Anna Hedwig Mendelsohn, geb. Hertz. Wie auch sein Vater war er evangelischen Glaubens und am 22.11.1891 getauft worden. Er besuchte das Mariengymnasium in Jever. Ab 1915 war er Soldat und beendete den Ersten Weltkrieg als Leutnant und Batterieführer.

Am 26.3.1921 heiratete er im Standesamt Bremen Ruzena Weissenberger, geb. 17.6.1894 in Wien, kath. Glaubens. Das Ehepaar hatte zwei Kinder Anton Wilhelm (geb. 1922 in Jever) und Paul Christian (geb. 1926 in Jever). Letzterer verstarb 1938 im Kindesalter und wurde auf dem Friedhof in Bremen-Walle beigesetzt.

Seine Vorfahren gründeten 1863 in Jever das Textilhaus A. Mendelsohn am Kirchplatz 18, dessen Inhaber Hans Mendelsohn in dritter Generation war. Das Geschäft ging 1931/32 in Folge der Wirtschaftskrise in Konkurs und wurde verkauft. Seine Ehefrau Ruzena betrieb von 1926 bis 1933 in Jever ein Putzgeschäft.

Familie Mendelsohn wohnte ab dem 1.10.1933 in Bremen am Waller Ring 138. Ihr Wohnungsgeber war der Kapitän Heinrich Ahrens, der mit einer Christin jüdischer Herkunft verheiratet war und selbst im Haus wohnte. In Bremen baute sich Hans Mendelsohn eine neue Existenz als selbständiger Handelsvertreter auf. Im Mai 1935 musste er sich vor dem Amtsgericht Bremen einem Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung stellen, das mit einer Verurteilung abschloss. Im Juli 1938 wurde ihm die Reiselegitimationskarte entzogen. Er wehrte sich mit einem Schreiben an den Reichswirtschaftsminister vom 16.7.1938 dagegen und bat um eine Ausnahmegenehmigung. Diese wurde ihm vom Bremer Bürgermeister im September desselben Jahres jedoch verwehrt.Im Oktober 1938 besorgte er sich den vorgeschriebenen Anschlagzettel „Jüdisches Geschäft“, im November 1938 meldete er das Gewerbe ab.

Im Zuge der Reichspogromnacht 9./10.11.1938 wurde er verhaftet und tags darauf in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Am 12.12.1938 wurde er entlassen. Ab Oktober 1940 wies ihm das Arbeitsamt eine Stelle als ungelernter Arbeiter bei der Hans Mendelsohn Mineralwasser-Fabrik Haase & Förster zu. Diese konnte er bis zur Ausbombung des Betriebes Ende August 1944 beibehalten. Sein Bruttolohn betrug 0,90 RM/Stunde. Danach fand er Arbeit bei der Israelitischen Gemeinde Bremen.

Im Mai 1939 beantragte er einen Internationalen Führerschein mit der Begründung: „[...] da ich in Kürze meinen Wohnsitz nach England verlege, wo ich eine Stelle, wie mir am 16. d.M. mitgeteilt wurde, als Chauffeur erhalten habe [...].“ Dieser wurde ihm aber verwehrt, und er erhielt lediglich eine Bescheinigung, dass er einen Führerschein besessen habe. Das Originaldokument hatte er nach seiner Entlassung aus dem KZ abliefern müssen. Die Auswanderung wurde vermutlich durch den Ausbruch des Krieges vereitelt.

Hans Mendelsohn blieb zunächst von Verfolgungsmaßnahmen und Deportation verschont, da er sich in einer „privilegierten Mischehe“ befand. Am 1.6.1944 musste die Familie ihre Wohnung Waller Ring 138 auf Veranlassung des Gestapobeamten Siebert räumen. Nach Erinnerung seiner Frau Ruzena wurde dies damit begründet, dass alle Mischehen zusammenrücken müssten. Sie seien die ersten, weil sich der der SS angehörende praktische Arzt Dr. med. Seemann, Waller Ring 134, angeblich beschwert habe. Ihm könnten keine Juden in der Nachbarschaft zugemutet werden. Kurze Zeit später traf Hans Mendelsohn einen Bekannten aus der früheren Nachbarschaft auf der Straße, Ernst Lautenschläger. Er soll ihm gegenüber gesagt haben, „ [...] es käme noch eine andere Zeit und dann würde er mit Herrn Dr. Seemann abrechnen“. Dieser Ausspruch wurde der Gestapo zugetragen. Am 5.10.1944 musste er sich dort melden, wurde verhaftet und in das Arbeitserziehungslager (AEL) Farge eingewiesen. Die Verhaftung wurde vom Gestapobeamten Siebert damit begründet, er habe einen SS-Arzt bedroht.

Dr. Selmar (gen. Willi) Seemann hatte den Rang eines SS-Sanitäts-Obersturmführers, war seit 1933 Mitglied der NSDAP und der SS. Er erklärte im Spruchkammerverfahren, diesen Organisationen auf „Druck der Ärztekammer“ beigetreten zu sein. Noch bis 1932 bildete er Sanitäter im sozialdemokratischen Arbeiter-Samariterbund aus. Er soll auch in späteren Jahren die Behandlung von Regimegegnern nicht abgewiesen haben. Zudem betätigte er sich als Lagerarzt in den Zwangsarbeiterunterkünften Schwarzer Weg, Halmer Weg und Am Panzenberg. Von der Spruchkammer Bremen wurde er 1947 als
„Minderbelasteter“ klassifiziert und hatte eine Geldbuße von 6.000 RM an den Wiedergutmachungsfonds zu zahlen.

Im Lager traf Mendelsohn seinen ehemaligen Vermieter Heinrich Ahrens wieder, der als „jüdisch Versippter“ am 10.9.1944 in das AEL eingewiesen worden war, und gab ihm den Namen des vermeintlichen Denunzianten Dr. Seemann bekannt. Auch Mendelsohns Frau Ruzena blieb über den Krieg hinaus auf jenem Informationsstand. Das führte nach dem Krieg zur Beschuldigung Dr. Seemanns. Dieser musste sich in einem Verfahren wegen Denunziation zur Wehr setzen. Erst im Berufungsverfahren vom 20.12.1947 wurde er aufgrund eines abgelegten Eides entlastet. Von der Spruchkammer wurden Ernst Lautenschläger oder sein Bekannter, der Brauereivertreter Junge, der die Wohnung der Mendelsohns erhalten hatte, als Verursacher und Denunziant in Betracht gezogen, jedoch ohne dies abschließend klären zu können. Lautenschläger war u.a. mit dem Gestapobeamten Siebert, der im Judenreferat gearbeitet hatte, befreundet gewesen und wurde nach dem Krieg als Gestapospitzel angesehen.

Hans Mendelsohn blieb bis zum 22.11.1944 im AEL und wurde dann in das KZ Neuengamme verlegt. Nach kurzer Zeit wurde er bis April 1945 zum Kommando Kriegsmarinewerft Wilhelmshaven überstellt. Anschließend befand er sich wieder im Hauptlager Neuengamme. Ende April soll er im Zuge der Auflösung des Konzentrationslagers auf das in der Lübecker Bucht liegende Passagierschiff Cap Arcona verlegt worden sein. Bei einem britischen Luftangriff am 3.5.1945 – die Schiffe wurden als Truppentransporter angesehen – gerieten die Cap Arcona und die Thielbeck in Brand. Über 7.000 Häftlinge verbrannten, ertranken oder wurden erschossen, als sie versuchten, sich an das Ufer zu retten. Es überlebten nur etwa 450 Menschen. Es wird angenommen, dass Hans Mendelsohn sich unter den Opfern der Katastrophe befand.

Ruzena Mendelsohn wanderte 1947 mit ihrem Sohn Anton Wilhelm in die USA aus. Sie verstarb 1974 in Demarest, New Jersey.

An Hans Mendelsohn wird auch mit einem Eintrag seines Namens auf dem Denkmal für die ermordeten Juden Jevers von 1996 erinnert.

Peter Christoffersen (2019)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E3590
www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/geschichte
www.groeschlerhaus.eu/die-ermordung-der-juden-aus-jever/
Privatdokumente im Besitz des Groeschler Hauses, Jever

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Arbeitserziehungslager
Glossarbeitrag Neuengamme