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Erwin ter Berg, *1914

„SCHUTZHAFT“ 1938 SACHSENHAUSEN, DEPORTIERT 1941, Minsk
ermordet


Roßbachstraße 33
Bremen-Neustadt

Verlegedatum: 13.10.2020


Roßbachstraße 33 - Weitere Stolpersteine:


Erwin ter Berg


Familienbiografie
Erwin ter Berg
Lisa ter Berg

Die angesehene Kaufmannsfamilie ter Berg stammte ursprünglich aus Holland und war seit 1730 in Ritter-hude ansässig. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führten Hartog (Jg. 1886) und Paula (Jg. 1886) ter Berg hier ein Textilgeschäft in zweiter Generation.

In den 1930er Jahren war Hartog ter Berg Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Scharmbeck. Die ter Bergs hatten zwei Söhne: Erwin (geb. 9.9.1914 in Bremen) und Adolf Adrian (Jg.1917). Erwin ter Berg zog 1931 nach Bremen und arbeitete dort als kaufmännischer Angestellter. Von 1932 bis zum Sommer 1934 lebte er vorübergehend wieder in Ritterhude und kam dann erneut nach Bremen. Bis 1938 war er Reisender („mit eigenem PKW“) für die Kleiderfabrik Nathan & Co., Bremen. Mit der „Arisierung“ des Betriebes verlor Erwin ter Berg seine Stellung. In der Reichspogromnacht 1938 verhaftet, wurde er in das Konzen-trationslager Sachsenhausen deportiert. Erst am 27.1.1939 entließ man ihn.

Am 3.2.1939 heiratete er Lisa Lydia Herzberg (geb. 28.6.1918 in Bremen) und zog in das Haus der Schwiegereltern Oskar und Paula Herzberg in der Rossbachstraße 33. Oskar Herzberg hatte seine Position als Versicherungsinspektor aufgrund der antijüdischen Diskriminierungsmaßnahmen verloren und versuchte seit 1937 seinen Lebensunterhalt als Verkäufer zu bestreiten. Seine Frau Selma arbeitete als Schneiderin.

Erwin und Lisa ter Berg sowie seine Eltern forcierten ihre Auswanderungspläne. Seine Eltern hatten in der Reichspogromnacht Traumatisches erlebt. Nach der Verhaftung wurden sie von SA-Männern auf ein Feld geführt, wo sie angeblich erschossen werden sollten, aber nur ein Schreckschuss fiel und sie konnten wieder gehen. Danach wurde das elterliche Textilgeschäft „arisiert“. Die Eltern kamen im August 1939 nach Bremen, wo sie Bleibe im „Judenhaus“ in der Humboldtstraße 10, später in einem weiteren „Judenhaus“ in der Legion-Condor-Straße 1 (heute Parkstraße) fanden.

Anfang August 1939 schrieb Erwins ter Bergs Vater an seinen jüngeren Sohn in England: „Sämtliche Unterlagen und Genehmigungen habe ich in Händen und am Donnerstag dem 10. August wird der Lift verpackt [...].“ Noch am 23.8.1939 war man sicher, Deutschland verlassen zu können. Doch Erwin ter Berg, dessen Hausrat sich ebenfalls im Lift befand, hatte Schwierigkeiten, ein Visum für England zu erhalten. Er gedachte deshalb nach Liberia in Westafrika auszuwandern, über England, angeblich nur um seinen Bruder zu besuchen. Geplant war jedoch, den Besuch zu nutzen, um in England zu bleiben. Schließlich scheiterte die Emigration durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Die Spedition Friedrich Bohne verlud noch die Liftvans, und der Dampfer verließ mit Ziel England den Hafen, aber drei Tage vor Kriegsausbruchs musste das Schiff die Fahrt abbrechen und nach Deutschland zurückkehren. Die Liftvans wurden Anfang September 1939 in der Parkstraße bei Erwin ter Bergs Eltern abgeliefert.

Erwin ter Bergs Vater schätzte die Lage für seinen Sohn als gefährlich ein. Dieser hielt sich im Raum Fürstenwalde/Brandenburg auf, zunächst in Neuendorf. Vermutlich befand er sich dort in einer Hachschara-Ausbildung zur Vorbereitung auf eine Auswanderung nach Palästina. Im Landwerk Neuendorf arbeiteten Jugendliche und Erwachsene zwischen 16 und 40 Jahren. Sie übten sich in kollektiven Lebensformen und erlernten einen landwirtschaftlichen, gärtnerischen oder handwerklichen Beruf. Vom angrenzenden Flughafen Neuendorf wurden 1939 Luftangriffe gegen Polen geflogen. Es ist überliefert, dass die Repressalien gegen die jüdischen Bewohner im Landwerk mit Kriegs- beginn zunahmen. Kurzfristig befand sich Erwin ter Berg in „Schutzhaft“ in Beerwalde, einem Außenlager des KZ Sachsenhausen. Nach zwei Tagen wurde er am 25.11.1939 entlassen. Wieder zurück in Bremen wurde er offenbar zur Zwangsarbeit verpflichtet.

Erwin und Lisa ter Berg sowie deren Eltern Oskar und Selma Herzberg wurden 1941 zur Deportation aufgerufen. Sie mussten am 17.11.1941 das Haus in der Rossbachstraße 33 verlassen und sich zum angegebenen Treffpunkt begeben. Es war nur begrenztes Gepäck erlaubt. Am 18.11.1941 wurden sie in das Ghetto Minsk mit dem Zug deportiert wie auch Erwin ter Bergs Eltern. Im Zug befanden sich weitere Verwandte aus den Familien ter Berg und Herzberg. Keiner von ihnen hat überlebt. Sie erlagen entweder den Entbehrungen im Ghetto oder fielen einer der Massenmordaktionen zum Opfer, die Ende Juli 1942 begannen.

In Ritterhude erinnern Stolpersteine an die Eltern von Erwin ter Berg, und in Bremen wird seines Onkels Elias ter Berg und dessen Familie mit Stolpersteinen gedacht. Aus der weit verzweigten und großen Familie ter Berg haben nur Erwin ter Bergs Bruder Adolf Adrian und Lisa ter Bergs Schwester Irmgard Herzberg (verheiratete Ahrens) überlebt.

Kornelia Renemann (2020)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E4753, Einwohnermeldekartei; Archiv Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Aly, Götz: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933- 1945, Bd. 2, S. 391
Helas, Horst: Eine Fürstenwalder Geschichte, Rosa-Luxemburg-Stiftung –Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung – Seminarmaterialien
Kulturscheune Neuendorf im Sande e.V.: Pressemitteilung zur Ausstellung Landwerk Neuendorf, Jüdisches Hachschara- und Zwangsarbeitslager, Neuendorf im Sande 1932-1943, Neuendorf 2016
www.spurensuche-Bremen.de; www.spurensuche-kreis-osterholz.de; www.teufelsmoor.eu

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Minsk