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Carl Nolte, *1903

EINGEWIESEN 1939 NERVENKLINIK, „VERLEGT“ 9.12.1943 HEILANSTALT MESERITZ-OBRAWALDE,
ERMORDET 27.12.1943


Zum Sebaldsbrücker Bahnhof 37
Bremen-Hemelingen

Verlegedatum: 30.09.2021

Carl Nolte


Zwischen 1930 und 1931 ließ das Amt für Wohnungs- und Siedlungsbau Häuser für kinderreiche Familien in der Hastedter Heerstraße (heute Zum Sebaldsbrücker Bahnhof ) nach Plänen des Bremer Architekten Carl Eeg bauen. Als Karl Christian Heinrich Nolte am 30.11.1931 zusammen mit seiner Frau Eudoxia in die Hastedter Heerstraße 573 einzog, gehörten sie zu den ersten Bewohnern der Neubausiedlung.

Karl Nolte, geboren in Bremen am 13.3.1903, war zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt. Seine Frau und er waren seit sechs Jahren verheiratet. Sie war einige Jahre älter, stammte aus Galizien, einer Region im heutigen Polen und der Ukraine. Aus ihrer ersten Ehe hatte sie drei Kinder mitgebracht, die inzwischen im Jugendalter waren.

Etwa zum Zeitpunkt des Umzugs bemerkte Karl Nolte erste Krankheitsanzeichen: Seine Beine fühlten sich schwach an, plötzlich konnte er nicht mehr gehen. Auch das Reden fiel ihm immer schwerer, seine Aussprache wurde undeutlicher. Schließlich konnte er seiner Arbeit als Bauarbeiter nicht mehr nachgehen.

Im Mai 1939 wurde Karl Nolte mit Verbrennungen am Ellenbogen in die Krankenanstalt in der St.-Jürgen-Straße aufgenommen. Beim Rauchen war ihm die Pfeife aus der Hand gerutscht und in den Jackenärmel gefallen. Die Brandverletzungen am Arm wurden im Krankenhaus behandelt. Als diese weitgehend abgeheilt waren, beantragten die Ärzte eine Verlegung in die Bremische Heil- und Pflegeanstalt in Osterholz zur neurologischen Begutachtung. Sie vermuteten eine Multiple Sklerose, was von den Psychiatern der Heilund Pflegeanstalt bestätigt wurde. Da die Krankheit inzwischen stark fortgeschritten war, verblieb Karl Nolte in der Anstalt.

Multiple Sklerose galt als ein organisches Nervenleiden. Im Nationalsozialismus unterschied die Psychiaterie zwischen „Nervenleiden“ und „Geisteskrankheit“. Geisteskrankheiten wurden in der Regel als erblich bedingt und als Ausdruck von Minderwertigkeit gedeutet, während Nervenleiden auf organische Ursachen zurückgeführt wurden. Für die Patienten war diese Unterscheidung folgenschwer.

Als das Wohlfahrtsamt im September 1941 bei der Bremer Nervenklinik anfragte, ob eine Rentenerhöhung von sechs Reichsmark an Herrn Nolte ausgezahlt werden solle, antwortete Direktor Dr. Kaldewey: „Nolte ist zwar durch sein organisches Nervenleiden Ausschnitt aus dem Meldebogen von Karl Nolte (5.3.1943) körperlich schwer siech, aber psychisch geordnet, so daß die Auszahlung des Betrages als Taschengeld eine Erleichterung und Annehmlichkeit für ihn bedeuten würde.“ Auch auf dem am 5.3.1943 bearbeiteten Meldebogen – der nach dem Ende der „Aktion T4“ weiterhin von den Heil- und Pflegeanstalten auszufüllen war – wurde bei Karl Nolte die Unterscheidung zwischen Geisteskrankheit und Nervenleiden hervorgehoben.

Trotzdem bewahrte diese Diagnose ihn nicht vor dem Abtransport in die Tötungsanstalt Meseritz-Obrawalde. Denn als es nach einem Bombentreffer im November 1943 darum ging, die Nervenklinik zu räumen, war in erster Linie das Kriterium der Arbeitsleistung bedeutsam. Einige Patienten, die beim Aufräumen und im Betrieb der Klinik mithelfen konnten, verblieben in Bremen. Karl Nolte, laut Krankenakte ein „anspruchsloser, freundlicher Patient“, wurde zugleich aber auch als „körperlich hilflos“ und „sehr pflegebedürftig“ beschrieben. So war er einer von 307 Patienten, die am 9.12.1943 mit dem Zug von Bremen nach Meseritz-Obrawalde in die Provinz Posen deportiert wurden. Nur zweieinhalb Wochen nach der Aufnahme in Obrawalde starb Karl Nolte dort am 27.12.1943 im Alter von 40 Jahren, angeblich an „Erschöpfung“.

Hedwig Thelen (2023)

Informationsquellen:
Archiv Krankenhaus-Museum Bremen, A 303/24
StA Bremen Einwohnermeldekartei
Schwarzwälder, Herbert: Das Große Bremen-Lexikon Band 1, Bremen 2003, S. 219
Thalenhorst, Carl: Bremen und seine Bauten 1900-1951, Bremen 1952, S. 290, 344f, 387f., 416

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Heilanstalten"