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Biografie im Erinnerungsportal, kein Stolperstein vorhanden

Perla Sztal, geb. Rosenbaum, *1887

Ausweisung 1938 nach Polen, ermordet im besetzten Polen


Neuenstraße
Bremen-Mitte
ehemalige Straßenbezeichnung: Neuenstraße 65

Perla Sztal


Familienbiografie
Bernhard Sztal
Perla Sztal, geb. Rosenbaum

Bernhard (Beresch) Sztal wurde am 16.12.1881 in Kalisch (Kalisz)/Polen geboren. Er war der Sohn von Hirschel Sztal und Charna Fogel, geb. Bakel, und besaß die polnische Staatsbürgerschaft. Bis zu seiner Abschiebung nach Polen am 27.10.1938 lebte er über 14 Jahren in Bremen in der Neuenstraße 65. Zuvor hatte er von 1913 an seinen Wohnsitz in der Hemmstraße 131.

Bernhard Sztal heiratete in erster Ehe Carola Lange. Am 9.12.1912 wurde in Kalisch ihr Sohn Felix geboren. Wann die Heirat stattfand und wann sich das Paar trennte, ist nicht bekannt.

Am 22.5.1929 heiratete Bernhard Sztal in Bremen die Polin Perla Rosenbaum, geschiedene Lewkowicz. Sie wurde am 27.7.1887 in Konin geboren. 1928 war Perla nach Bremen gezogen; zuvor hatte sie in Nauen gelebt. Perlas Eltern waren Josef und Ernestina Rosenbaum, geb. Levczynski. Ihre Ehe mit Georg Lewkowicz blieb kinderlos.

Vom 16.4.1925 an war die Neuenstraße 65 inklusive des Hinterhauses, deren Eigentümer Bernhard Sztal war, sein Lebensmittelpunkt und der Sitz seines Geschäfts. Schon ab 1920 betrieb er ein Trödlergeschäft (Handel mit Kleidern). Durch seine Arbeit als selbständiger Kaufmann verfügte er über ein verhältnismäßig gutes Einkommen. So war es ihm möglich, sich zwei Häuser anzuschaffen.

Wie alle jüdischen Geschäftsleute wurde auch Sztal mit Beginn des NS-Regimes in seiner Arbeit behindert. Am 30.1.1936 bat er deshalb schriftlich darum, wieder in den „Bremer Nachrichten“ inserieren zu dürfen, da diese keine Anzeigen von Juden mehr annahmen.

Am 27.10.1938 erhielten Bernhard und Perla Sztal im Zuge der „Polenaktion“ ein sofortiges Aufenthaltsverbot für das Deutsche Reich. Sie wurden verhaftet und zwei Tage später an die polnische Grenze transportiert. Es ist davon auszugehen, dass sie über die Grenzstation Lissa (Lezno) abgeschoben wurden. Von dort konnten sie zu Verwandten nach Kalisch, dem Geburtsort von Bernhard, weiterreisen. Sein Sohn Felix lebte zu diesem Zeitpunkt bereits in Frankreich.

Bernhard Sztals Polizeiakte enthält den Vermerk: „Die Schlüssel der Wohnung wurden dem Händler Katz [Anm: Rudolf], wohnhaft Neuenstraße 17/19, übergeben. (…) Die Wohnung selbst befindet sich in einem tadellosen Zustand.“ Wie bei den anderen 80 im Zuge der „Polenaktion“ in Bremen Verhafteten kann davon ausgegangen werden, dass auch Perla und Bernhard Sztal die Nacht vom 27. auf den 28. Oktober im Untersuchungsgefängnis Ostertorwache festhalten wurden. Von dort wurden sie dann zum Bahnhof gebracht.

Am 25.4.1939 erhielt Bernhard Sztal auf Grund einer deutsch-polnischen Vereinbarung eine auf sechs Wochen befristete Ausnahme-Einreisegenehmigung, um sein Trödlergeschäft liquidieren und sich um die Versendung von Mobiliar nach Polen sowie den Verkauf von Haus und Inventar kümmern zu können. Am 3. Juni bat er um eine Verlängerung. Er habe „bei der Devisenstelle bereits einen Antrag zwecks Genehmigung seines Umzugsgutes zur Ausfuhr eingereicht“ und wolle die Verladung selbst überwachen. Am 17.6.1939 reiste Stahl wieder nach Polen aus. Sein Geschäft hatte er am 10.5.1939 abgemeldet. Während seiner Anwesenheit in Bremen wurde er von der Gestapo überwacht.

Was genau mit der Wohnungs- und Geschäftseinrichtung und dem Warenlager in der Neuenstraße 65 nach der Ausweisung geschah und ob geplündert wurde, ist schwer zu klären. Sohn Felix ging davon aus, dass Haus und Geschäft durch einen „Verwalter liquidiert und das Geld und später die Mieten an die Treuhandstelle-Ost abgeführt“ worden seien.

Die Nachbarin Louise Lennartz, die gegenüber in Nummer 30 wohnte, beschrieb in einer Aussage am 5.10.1966 das Haus von Bernhard Sztal so: „Er besaß ein großes Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und eine Küche in der 1. Etage des Hauses. Oben hatte er noch einige Räume. Was er darin stehen hatte, weiß ich nicht.“ In seiner Wohnung hätten damals nur er und seine Frau gelebt. Die Einrichtung beschrieb sie als „gut bürgerlich“. Auch ein Klavier, eine wertvolle Geige und einige weitere Musikinstrumente hätte es gegeben, da Sohn Felix sehr musikalisch gewesen sei.

Über das Warenlager sagte Lennartz, es sei „ein reich vollgestopftes Lager“ gewesen. Das Geschäft habe einen Verkaufsraum gehabt und ein kleineres Zimmer, das sowohl als Anprobierraum für die Kundschaft als auch als Lagerraum diente. Im Hof habe sich auch noch ein etwa vier mal zwei Meter großer Schuppen befunden, in dem Kleidungsstücke hingen, die weniger wertvoll gewesen seien.

Nachdem am 17.6.1939 Bernhard Sztals Sonderaufenthaltserlaubnis endgültig abgelaufen war und er nach Polen zurück musste, seien, so Louise Lennartz, „alle seine Sachen, einschließlich des Klaviers, (…) mit einem Lastwagen abgeholt worden“.

Nach der Ausweisung des Ehepaares Sztal wurde das Haus in der Neuenstraße 65 von der Treuhandstelle-Ost weiterhin vermietet. Unter den Mietern waren Arthur Wolf, seine Frau Ida, geb. Stahl und Tochter Gertrud. Sie betrieben im Vorderhaus einen Ausschank. Sie wurden am 18.11.1941 in das Ghetto Minsk deportiert.

Nach Angaben von Sohn Felix wohnten sein Vater und seine Stiefmutter nach der Ausweisung zunächst in Kalisch, dem Geburtsort des Vaters. Dann zogen sie nach Kutno. Darüber hätten sie ihn kurz nach Kriegsausbruch per Brief nach Paris informiert. Danach habe er nichts mehr von ihnen gehört.

Felix Stahl (im Gegensatz zu seinem Vater bevorzugte er die deutsche Schreibweise seines Nachnamens) besuchte in Bremen das Gymnasium und nahm an einem gesonderten Musikunterricht teil. Bis zum 5.6.1930 wohnte er in der Neuenstraße 65, dann zog er nach Berlin.

Bis 1934 war er als Musiker in Deutschland tätig. Stahl wurde dann als Jude aus der Reichsmusikkammer und aus der STAGMA ausgeschlossen, der staatlich genehmigten Gesellschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte. Seitdem war er erwerbslos. Am 26.4.1934 kehrte er nach Bremen zurück. Nach anderthalb Jahren (27.12.1935) zog Felix Stahl nach Den Haag. Im Juli 1941 wurde er in Chalon-sur-Saone festgenommen. Nach kurzer Haft im Militärgefängnis in Dijon wurde er „zur Verfügung der Gestapo, Leitstelle Karlsruhe“ im dortigen Gefängnis inhaftiert. Felix Stahl wurde dann in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht. Dort war er bis zum 2.5.1945 inhaftiert. Er spielte Klavier im Männerorchester und überlebte dank seiner musikalischen Begabung. Insgesamt war Felix Stahl 46 Monate in Haft.

Nach der Befreiung des KZ Auschwitz emigrierte er 1945 nach Schweden und arbeitete in Stockholm als musikalischer Leiter der Reuter u. Reuter Förligs AB. Außerdem war er als Komponist tätig. Zusammen mit seiner Frau Lisbeth besaß er eine Plattenfirma, die 1963 an Stickan Andersson, den späteren Manager der schwedischen Pop-Gruppe Abba verkauft wurde und den Namen Polar erhielt. Stahl schrieb Populärmusik und Filmmusik, oft nach Texten seiner Frau. Ein von ihm komponiertes Potpourri jüdischer Tanzlieder ist auf der 2001 veröffentlichten Compilation „Vorbei – Beyond Recall, Vol.2“ zu finden.

In Auschwitz, so berichtete er später, hätten ihm Mithäftlinge erzählt, dass sie zusammen mit seinem Vater in Polen in der Nähe von Kutno in einem Judenarbeitslager gewesen seien. Dort sei sein Vater den Strapazen des Lagers wohl erlegen. Sein Todesdatum konnte, wie auch das von seiner Stiefmutter Perla, nicht festgestellt werden.

Felix Stahl starb am 1.12.1974 in Stockholm.

Die Verlegung eines Stolpersteines in der Neuenstraße ist nicht möglich, weil die frühere Bebauung nicht mehr besteht.

Hans-Ulrich Brandt (2025)

Informationsquellen:
StA Bremen Akten 4,54-E4031, 4,54-Rü6280, 4,54-Rü6291; Einwohnermeldekartei; Polizeiliche Personenakte Nr. 242740
Arolsen Archives

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Polenaktion"