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Elisabeth Hering, *1884

verhaftet 1943
ermordet 1944 in Auschwitz


Am Wall 170
Bremen-Mitte


Am Wall 170 - Weitere Stolpersteine:


Elisabeth Hering


Walter Steinberg
Elisabeth Hering

Walter Steinberg wurde am 7. Juli 1871 in Verden geboren. Sein Vater Diedrich Steinberg besaß eine „Manufacturwaarenhandlung und Herrenkleiderfabrik“ sowie ein Bankge­schäft. Außerdem war er als „königl. Preuss. Lotterie-Einnehmer“ tätig. 1912, nach dem Tod des Vaters, übernahm Walter Steinbergs jüngerer Bruder die väterlichen Betriebe.

Walter Steinberg ging nach Bremen, als Kaufmann und selbständiger Schneidermeis­ter (Gewerbeanmeldung 1899). 1900 wird er im Bremer Adressbuch als Herrengarde­robengeschäft in der Obernstraße erwähnt, 1915 mit einem Herrenmodegeschäft in der Sögestraße. Die Geschäfte des als klein und lebhaft beschriebenen Mannes liefen ausgezeichnet. Der Künstler Heinrich Vogeler behauptete, er habe um 1922 ein Porträt des reichsten Schneiders von Bremen gemalt.

Ein Teil der vornehmen Bremer Gesell­schaft ließ regelmäßig bei ihm arbeiten. Der elegante und gebildete Herrenschneider besaß in Bremen drei Häuser. Sein Atelier in der Bischofsnadel ähnelte einem vorneh­men Salon. Über dreißig Angestellte arbeiteten zeitweilig für ihn in der Werkstatt in der Falkenstraße. Seit 1926 gehörte Walter Steinberg ein Sommerhaus mit Tennisplatz in der Hembergstraße in Worpswede. Mittels Ratschlägen einiger Kunden vermehrte er sein Vermögen durch Börsengeschäfte.

Sein ganzer Lebensstil atmete die Atmosphäre von Wohlhabenheit, Kultur und Ge­schmack. Seine Privatwohnung Am Wall 170 war mit wertvollem und elegantem Mobi­liar ausgestattet, die Wände buchstäblich mit Ölgemälden bedeckt. Eine Anzahl seiner Gemälde stand im Schlafzimmer, Küche und sogar Badezimmer, weil an den Wänden kein Platz mehr war. Mit Begeisterung förderte er die Worpsweder Künstlerszene, indem er Ölgemälde z. B. von Mackensen, Overbeck, Modersohn und Paula Modersohn-Becker erwarb. Ein Zeitzeuge gab später zu den Akten, dass über 200 Gemälde aus dem Besitz Walter Steinbergs für 40.000,-- RM versteigert worden seien. Er sammelte nicht nur zeit­genössische Kunst, sondern pflegte auch Kontakte mit Worpsweder Malern, vor allem Albert Schiestl-Arding, dessen Bilder nach 1933 als „entartet“ bezeichnet werden.

Walter Steinbergs Lebensgefährtin Elisabeth (Else) Hering war die Tochter eines Berg­manns, das dritte Kind von sieben (geb. 30.5.1884 in Gelsenkirchen). Nach der Rasseleh­re der Nationalsozialisten war sie „Arierin“, d. h. keine Jüdin. Zu Beginn der 1920er Jahre kam sie nach Bremen. Laut Adressbuch 1925 führte sie ein „Korsettgeschäft“ Am Wall 148, ab 1932 wenige Häuser weiter Am Wall 170.
Vermutlich seit 1933 war sie die Lebensgefährtin von Walter Steinberg. Nach den Nürn­berger Gesetzen von 1935 lebten sie in „Rassenschande“. Trotzdem haben beide nie er­wogen sich zu trennen. Das Paar pflegte einen großbürger­lichen Lebensstil. Offensichtlich waren sie sowohl in Bremen als auch in Worpswede integriert und geschätzt.

Nach 1933 war Walter Steinberg systematisch Anfeindungen und Verfolgungen ausgesetzt. Infolge dessen entwickelten sich die Geschäfte rückläufig. Walter Steinberg verkaufte 1938 das Geschäft und das Geschäftshaus Bischofsnadel 12 an die Firma Funk und Horst. Im Jahr 1939 verkaufte er das Grundstück Am Wall 170/Ostertorwallstraße 68a an seine Lebensgefährtin Elisabeth Hering. Der Verkauf des Worps­weder Anwesens an seine Lebensgefährtin scheiterte, weil die Behörden den Vertrag nicht genehmigten. Daraufhin soll eine Schenkungsurkunde zu Gunsten von Elisabeth Hering ausgestellt worden sein, die kurze Zeit später nicht mehr auffindbar war. Einen Monat nach seiner Deportation in das Ghetto Theresienstadt am 23.7.1942 wurde das Grundstück zu Gunsten des Deutschen Reiches eingezogen und der Worpsweder Gemeinde übertragen.

In der Pogromnacht vom 9. auf den 10.11.1938 wurde Walter Steinberg verhaftet und über das Zuchthaus Oslebshausen am 11./12.11.1938 in das KZ Sachsenhausen über­stellt. Von dort kehrte er nach mehreren Wochen zurück. Eine Auswanderung kam für ihn in Anbetracht seines Alters nicht in Frage.

1942 richtete er sich im Keller seines Hauses einen Raum her, in dem er aus Angst vor der Gestapo auch schlief. In seinen Anzugstaschen soll sich ständig Gift befunden haben. Er rechnete mit seiner Verhaftung. Am 10.7.1942 wurde ihm, so wie vielen anderen eben­falls, per Brief die bevorstehende Deportation angekündigt und gleichzeitig rückwir­kend zum 1.3.1942 sein Restvermögen beschlagnahmt. Im Ghetto Theresienstadt soll er sich im Alter von 71 Jahren am 19.8.1942 das Leben genommen haben.

Elisabeth Hering führte ihr Geschäft fort, bis sie 1942/43 denunziert wurde. Bei einer Kontrolle waren sieben Personen angetroffen worden, darunter ein „Voll- und ein Halb­jude“. Man warf ihr vor: verbotene Versammlungen in ihrer Wohnung, Umgang mit Ju­den, Spionage und Devisenvergehen. Verhaftet 1943, wurde sie nach Auschwitz depor­tiert und starb dort am 28.9.1944. Ihr Vermögen wurde eingezogen.

Kornelia Renemann (2015)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E11284, 4,54-E9848, Einwohnermeldekartei
Lehmensiek, Anning: Juden in Worpswede, Bremen 2014

Abbildungsnachweis: Privatbesitz

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Theresienstadt