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Henriette Ginsberg, geb. geb.Heimbach, *1883

deportiert 1941
ermordet in Minsk


Parkstr. 5
Bremen-Schwachhausen


Parkstr. 5 - Weitere Stolpersteine:


Henriette Ginsberg


Familienbiografie
Hermann Ginsberg
Henriette Ginsberg, geb. Heimbach

Hermann Ginsberg wurde am 8.7.1875 in eine alteingesessene Viehhändlerfamilie in Rahden im westfälischen Kreis Lübbecke hineingeboren. Er war das älteste der drei Kinder von Louis Ginsberg, Jg. 1852, und seiner Frau Henny Berghausen, Jg. 1855. Hermann und sein Bruder Julius traten in die Fußstapfen des Vaters und wurden Viehhändler. Beide blieben in Rahden ansässig, wo sie sich eine berufliche Existenz schufen und Familien gründeten.

Am 20.8.1909 verheiratete sich Hermann Ginsberg mit Henriette (Jettchen) Heimbach, traditionsgemäß am Wohnort seiner Braut, in Münster. Dort war diese am 21.3.1883 als siebtes von 13 Kindern des Viehhändlers Isidor Heimbach, Jg. 1852, und seiner Frau Julie, geborene Löwenstein, Jg. 1847, zur Welt gekommen.

Von ihren Eltern ist überliefert, dass sie sehr auf eine gute Ausbildung all ihrer Kinder bedacht waren. So etwa finanzierten die Eltern Henriette nach Abschluss ihrer Schulzeit von September 1898 bis Oktober 1899 den Aufenthalt in einem Pensionat in Osnabrück. Ein solcher diente in der Regel der Ehevorbereitung und war schwerpunktmäßig auf die Führung eines gutbürgerlichen Haushalts ausgerichtet. Eine eigenständige Berufstätigkeit hat Henriette Ginsberg wie die meisten bürgerlichen Frauen ihrer Generation nicht ausgeübt.
Hermann und Henriette Ginsberg hatten fünf Kinder, die zwischen 1910 und 1914 in Rahden geboren wurden. Doch nur die drei Söhne Hans Herbert, Jg. 1911, Ewald Werner, Jg. 1912, und Wilhelm (Willi) Heinz, Jg. 1913, erreichten das Erwachsenenalter, zwei Töchter verstarben im Säuglingsalter.

Hermann Ginsberg lernte im Geschäft seines Vaters und machte sich im Jahr 1909 mit einem Viehgroßhandel mit Zucht- und Schlachtvieh, verbunden mit einer Schlachterei, in Rahden selbständig. Das Geschäft lief offenbar gut, denn schon 1918 konnte er seinem Cousin Max Ginsberg dessen neuerbautes Haus in der dortigen Bahnhofsstraße abkaufen.

1928 zogen Henriette und Hermann Ginsberg mit ihrem jüngsten Sohn Willi nach Diepholz, wo sie einen weiteren Viehhandelsbetrieb eröffneten. Hier wohnte bereits Henriettes ältere Schwester Sophie, die mit Unterstützung ihrer Söhne den Viehhandelsbetrieb ihres 1920 verstorbenen Gatten Hermann Ginsberg fortführte, einem namensgleichen entfernten Verwandten von Henriettes Mann. Auch der gemeinsame Bruder Alfred Heimbach betrieb bis zu seinem Tod im Jahre 1930 dort einen Viehhandel. Es bot sich also die Möglichkeit intensiver familiärer Kooperation im Viehhandel. Die Eheleute Ginsberg kamen zunächst bei Henriettes Schwester in der Grafenstraße 23 unter, von wo aus sie 1931 in die Hindenburgstraße umzogen, später dann noch einmal in die Langestraße.

Während die beiden älteren Söhne das Elternhaus unmittelbar nach der Beendigung ihrer Schulzeit verließen, war der Jüngste offenbar für die Übernahme des väterlichen Betriebes vorgesehen: Willi Ginsberg assistierte zunächst beim Vater in Rahden, danach erlernte er in Dortmund das Metzgerhandwerk und arbeitete nach Beendigung seiner Lehre ab 1930 im väterlichen Betrieb in Diepholz, wo er vor allem als Aufkäufer von Vieh tätig war.

Zeugen bestätigten später übereinstimmend, dass Hermann Ginsbergs Viehhandelsbetrieb „in einem guten Ruf gestanden“ habe; er sei ein erfahrener und vertrauenswürdiger Kaufmann gewesen, der mit seiner Familie von dem Ertrag seiner beiden Geschäfte „gut habe leben können“. Dies änderte sich, als ab 1933 die Nationalsozialisten alles daran setzten, den jüdischen Viehhandel zu zerschlagen, der traditionell der bedeutendste Berufszweig der Juden auf dem Lande war.

Politisch sollte dies mit einer Kombination von antisemitischer Hetze, Schikanen, Boy- kottmaßnahmen und gesetzlichen Einschränkungen erreicht werden. Doch die Marktstellung der jüdischen Viehhändler war seit Generationen gefestigt, sie ließen sich nicht so einfach wie politisch gewollt durch „arische Viehverteiler“ ersetzen: Nicht wenige Bauern hielten anfangs noch an den langjährigen Geschäftsbeziehungen zu ihren vertrauten Handelspartnern fest, und sei es heimlich. Politisch wurde darauf mit einer Intensivierung der antisemitischen Boykottmaßnahmen reagiert, was im ländlichen Raum zu einem Klima gegenseitiger Bespitzelung und Denunziation führte. Dies gipfelte in der öffentlichen Bloßstellung von Bürgern, die nach wie vor mit Juden handelten, in den „Stürmer-Kästen“, die an zentralen Stellen in vielen Dörfern und Kleinstädten aufgestellt wurden. Parallel zu diesen Maßnahmen wurde den Juden 1935 die Teilnahme an Viehmärkten untersagt und der Schlachtviehhandel kontingentiert, 1937 durften Juden kein Vieh mehr ankaufen, sondern nur noch das verkaufen, was sie bereits besaßen. 1938 schließlich wurde ihnen jeglicher Viehhandel verboten.

Hermann Ginsberg verlor seine Existenzgrundlage. Der Betrieb in Diepholz warf im Jahr 1935 nur noch einen spärlichen Gewinn ab, in den Jahren 1936 und 1937 wurde er schon nicht mehr zur Gewerbesteuer veranlagt, weil er keine nennenswerten Gewinne mehr erzielte. Das Geschäft in Rahden hatte er bereits 1936 aufgeben müssen, zwei Jahre später stellten Hermann und Willi Ginsberg auch den Diepholzer Betrieb ein.

Ginsbergs meldeten sich im Februar 1938 nach Hamburg ab, wo Henriettes älteste Schwester Johanna Meyer lebte. Eine Bleibeperspektive scheinen sie dort nicht gesehen zu haben, denn schon im September des gleichen Jahres zogen sie nach Bremen zu Henriettes Schwester Sophie Ginsberg in die Parkstraße 5, wohin diese bereits 1936 von Diepholz verzogen war. Dort war nach der Emigration des Sohnes und der vierköpfigen Familie der Tochter im Frühsommer 1938 wieder mehr Platz, sodass sie Schwester und Schwager ein freigewordenes Zimmer zur Untermiete überlassen konnte. Ginsbergs waren inzwischen völlig verarmt. Mitbewohner des Hauses berichteten später, dass sie in den Bremer Jahren im Wesentlichen vom Verkauf ihrer Möbel und Wertgegenstände gelebt hätten.

Am 1.11.1941 wurden sie in das „Judenhaus“ Keplerstraße 36 eingewiesen, wohin sie, wie eine Mitbewohnerin später berichten sollte,„infolge des Platzmangels nur eine Bettstelle, einen Kochtopf, ein Essbesteck und einen Teller“ hätten mitnehmen können. Nur drei Wochen später wurden sie am 18.11.1941 ins Ghetto Minsk deportiert. Unter den 443 Bremer Juden dieses Transportes waren auch Henriette Ginsbergs Schwester Sophie und Hermann Ginsbergs verwitwete Schwester Johanna Horwitz sowie deren gemeinsame Nichte Hannelore Ginsberg. Sofern sie dort nicht schon vorher den Entbehrungen erlegen waren, ist davon auszugehen, dass sie bei einer der Massenmordaktionen, die im Juli 1942 einsetzten, ermordet worden sind.

Auch Herman Ginsbergs Geschwister, die Rahdener Ginsbergs, wurden Opfer der Shoah: Johanna mit ihm zusammen in Minsk und Julius mit seiner zweiten Frau im Ghetto Warschau; von seinen vier Kindern aus beiden Ehen überlebte keines. Alle drei Söhne von Henriette und Hermann Ginsberg haben ihr Leben durch Emigration retten können. Hans Ginsberg, von Beruf Elektrotechniker, emigrierte schon 1935 nach Palästina und wanderte von dort 1958 in die USA aus. Mitte der 1960er Jahre ließ er sich dann dauerhaft in Middletown/NY nieder, wo bereits etliche überlebende Verwandte der Familie mütterlicherseits eine neue Heimat gefunden hatten.

Ewald Ginsberg, der kaufmännischer Angestellter geworden war, konnte nach Australien auswandern, wo er auch nach Kriegsende blieb.

Willi Ginsberg war politisch engagiert gewesen, als Mitglied des Reichsbanners Schwarz- Rot-Gold (SPD) war er nach einer Auseinandersetzung mit Nazis in Bremen tagelang in Polizeigewahrsam. Zuvor war er schon 1935 und 1936 jeweils für mehrere Monate in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert gewesen. Im Anschluss an die Reichspo- gromnacht 1938 war er wie die meisten jüdischen Männer Bremens für mehrere Monate in das KZ Sachsenhausen eingewiesen worden. Wie alle Inhaftierten, darunter sein Cousin Walter Ginsberg, wurde auch er bei seiner Entlassung aufgefordert, Deutschland umgehend zu verlassen. Am 28.4.1939 gelang ihm die Emigration nach England, von wo aus er nach Kriegsende über Schweden in die USA auswandern konnte.

Verfasserin:
Christine Nitsche-Gleim (2017)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E10108, 4,54-E10107, 4,54-Rü5476, Einwohnermeldekartei
Kurth, Hilmar: “Wenns Judenblut vom Messer spritzt.....“ Judenverfolgung im Raum Sulingen-Diepholz-Twistringen-Bas- sum-Hoya, in: Focke, Harald/Greve, Hermann/Kurth, Hilmar: Als die Synagogen brannten, Sulingen 1988
Liebezeit, Falk/Major, Herbert: Auf den Spuren jüdischer Geschichte in Diepholz, Diepholz 1999

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Arisierung"
Glossarbeitrag "Judenhäuser"
Glossarbeitrag Minsk