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Beate Lundner, *1928

ausgewiesen 1938 nach Polen
ermordet in Auschwitz


Plattenheide 40
Bremen-Hemelingen


Plattenheide 40 - Weitere Stolpersteine:


Beate Lundner

Beate Lundner

Familienbiografie
Salomon Lundner
Chana Lundner, geb. Rosenberg
Israel Lundner
Beate Lundner
David Lundner
Ella Lundner

Salomon Lundner (geb. 16.8.1896 in Chrzanow/Westgalizien) war der Sohn von Juda und Sara Lundner, geb. Kühnreich (siehe Biografie in diesem Band), und das erste von zehn Kindern. Seine Eltern waren 1904 aus Chrzanow/Westgalizien nach Sebaldsbrück gekommen. Er besuchte ab 1910 die Handelsschule; aufgrund seiner Staatsangehörigkeit musste er mit 18 Jahren im österreichischen Heer am Ersten Weltkrieg teilnehmen.

Am 20.1.1923 heiratete er in Bremen Chana Ruchla (gen. Anna) Rosenberg (geb. 9.11.1900 in Chrzanow), Tochter von David und Yendla Rosenberg, geb. Wiener. Sie lebte seit Dezember 1922 in Bremen. In Sebaldsbrück wohnte bereits seit 1890 die Familie Berek Wiener, die aus Chrzanow stammte. Möglicherweise bestand hier ein verwandtschaftlicher Zusammenhang. Das Ehepaar Lundner bekam in Bremen vier Kinder: Israel (geb. 25.9.1927), Beate (geb. 27.8.1928), David (geb. 26.3.1932) und Ella (geb. 2.3.1933). Alle Familienmitglieder hatten die polnische Staatsangehörigkeit, nachdem der habsburgische Staat infolge des Ersten Weltkrieges zerfallen war.

Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete Salomon Lundner zunächst im Sackhandel seines Vaters, 1928 meldete er dann ein eigenes Sackhandelsgeschäft an. Das Sacklager befand sich auf dem Teerhof 17/19. Die Familie Lundner hatte sich im Sackgeschäft ihre Geschäftsgebiete aufgeteilt. Salomon hatte den Bereich Ostfriesland/Oldenburg und den Bezirk Hannover übernommen. Bis 1936 lag sein Jahresumsatz bei ca. 30.000 RM. Sein Bruder Arnold schätzte den damaligen Lagerbestand auf ca. 20.000 Säcke. Salomon Lundner soll sein Geschäft mit Erfolg geführt haben. Nahezu zeitgleich meldeten er, sein Vater und sein Bruder Isaak 1931 zusätzlich einen Wäscheversand an. Bereits 1929 erwarb er das Haus in der Plattenheide 40, dessen Wohnraum gutbürgerlich ausgestattet war. Für den Haushalt soll ein Dienstmädchen angestellt gewesen sein.

Salomon und Chana Lundner wurden mit ihren Kindern am 27./28.10.1938 verhaftet und in einer Gruppe von über 80 Deportierten in Fraustadt/Oberschlesien über die Grenze nach Polen abgeschoben („Polenaktion“). Aus der Familie Lundner waren 13 Personen dabei. Wie überraschend die Verhaftung kam, lässt sich einem Polizeiprotokoll vom 1.11.1938 entnehmen, das anlässlich der Versiegelung der Wohnung aufgesetzt wurde:

"Die bezeichnete Wohnung des Lundner wurde verschlossen vorgefunden u. [von ...] geöffnet.
Verderbliche Sachen wie Brot, Fisch, Obst u. Milch wurden der im gleichen Hause wohnenden
Ehefrau Krebs zur Verwertung bezw. Vernichtung übergeben. Diese versprach im erwähnten
Sinne handeln zu wollen. Auf dem Hofe zum Trocknen aufgehängte Wäsche u. andere noch
im Hausflur vorhandene Kleidungsstücke wurden im Keller bezw. in der Wohnung selbst un-
ter Verschluss gebracht."

Die Kinder Israel und Beate gingen in die Volksschule am Alten Postweg. Nach der Ausweisung waren ihre Namen in den Klassenbüchern durchgestrichen. Bei Israel gibt es einen Eintrag hinter seinem Namen: „Auf Anordnung der Behörde am 15.11.1938 aus d. Schule entfernt.“ Zwei frühere Mitschüler konnten sich noch an Israel und Beate erinnern: Israel soll „vom Schulhof weg“ von der Polizei mitgenommen worden sein. Auf seinen Einwand, er müsse noch seine Schulmappe holen, meinte der Hastedter Beamte, dass er die wohl nie mehr in seinem Leben benötigen würde.

Anna Lundner bekam im Juli 1939 eine sechswöchige Aufenthaltsgenehmigung für das Deutsche Reich, um die Abwicklung ihres Eigentums in die Wege leiten zu können. Am 25.7.1939 schloss sie den Vertrag über den Verkauf des Hauses ab, das zu einem halben Anteil auch ihr gehörte. Wie sehr sie unter Verkaufsdruck stand, bestätigte – wenn auch in anderer Absicht – der Anwalt des Käufers im späteren Rückübertragungsverfahren: Frau Lundner habe „förmlich darum gebettelt“, ihr das Haus abzukaufen. Mit dem Verkaufserlös trug sie die Hypotheken ab, der Restbetrag von 8.000 RM musste auf ein Sperrkonto eingezahlt werden. Es ist davon auszugehen, dass das Geld nach Kriegsbeginn vom Deutschen Reich konfisziert wurde.

Die Familie ist zu einem späteren, unbekannten Zeitpunkt in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet worden.

Die Künstlerin und Pädagogin Kim Böse lebte mehrere Jahre mit ihrer Familie in der ehemaligen Wohnung der Familie Lundner. Bei Renovierungsarbeiten stieß sie auf alte Wandfliesen aus der Vorkriegszeit, die den Anstoß gaben, weitere Spuren der Vergangenheit in der Wohnung (Böden, Fenster) historisch zuzuordnen. Mit einer Gruppe von Künstlern wurde 2013 mittels verschiedener Objekte und Medien ein temporäres Denkmal – „Zimmerdenkmal“ – erschaffen. Der mit „Versatzstücken versehene Ort“ sollte als eine Suche nach den Spuren der Familie Lundner und deren existenzielle Auslöschung verstanden werden, um „sich dem Unsagbaren ästhetisch zu nähern“.

Peter Christoffersen (2023)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E11812; 4,54-Ra2070; 4,54-Rü6277; 4,60/5-1224; Einwohnermeldekartei; Schulmuseum Bremen
Timm, Angelika u.a.: Hastedt, Bremen 1990, S. 256
Dünzelmann, Anne E.: Juden in Hastedt, Bremen 1995
Böse, Kim (Hrsg.): Zimmerdenkmal, Bremen 2013

Weitere Informationen:
Glossarartikel "Polenaktion"
Glossarartikel Auschwitz
Glossarartikel "Arisierung"