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Cäcilie Schweitzer, geb. Schweitzer, *1873

Eingewiesen 1943 Anstalt Hamburg-Langenhorn, verlegt 1943 jüdisches Krankenhaus Berlin
Tot 16.6.1943


Zeppelinstraße 36a
Bremen-Hemelingen

Verlegedatum: 29.05.2013


Zeppelinstraße 36a - Weitere Stolpersteine:


Cäcilie Schweitzer

Cäcilie Schweitzer

Familienbiografie
Cäcilie Schweitzer, geb. Schweitzer
Erwin Schweitzer

Minna Cäcilie Schweitzer wurde am 5.11.1873 in Berlin als Tochter von David Schweitzer und seiner Ehefrau Emma, geb. Richter, geboren. Am 16.3.1899 heiratete sie in Berlin-Charlottenburg Walter Schweitzer (geb. 1870 in Hamm). Seine Eltern waren Siegmund Schweitzer (1838-1898) und Ehefrau Anna, geb. Ebstein (1851-1899), die in Vegesack lebten und nicht mit der Berliner Familie Schweitzer verwandt waren. Das Ehepaar Walter und Cäcilie Schweitzer zog 1913 auch dorthin und wohnte dann ab Januar 1927 im eigenen Haus in der Zeppelinstraße 36a. Sie hatten zwei Kinder: Helmuth (geb. 1901 in Vegesack) und Erwin (geb. 10.8.1904 in Vegesack). Beide Söhne wurden im Alter von 13 Jahren getauft. Walter Schweitzer verstarb am 22.12.1935 in Bremen.

Die Familie war jüdischer Herkunft und evangelischen Glaubens. Bei Cäcilie Schweitzer gibt es auf der Einwohnermeldekartei einen handschriftlichen Zusatz zum Glaubensbekenntnis: „Die Schw. ist Jüdin!“ Die Mitteilung ging am 18.5.1943 von der Gestapo beim Einwohnermeldeamt ein mit dem Zusatz, dass sie schwer erkrankt in Hamburg im Krankenhaus und die Vornamensergänzung Sara „noch nicht angezeigt worden“ sei. Wann genau Cäcilie Schweitzer Bremen verließ und zu ihrem Sohn Helmuth nach Hamburg zog, ist nicht bekannt. Aufgrund ihrer schweren Parkinsonerkrankung brachte er sie in der Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn unter. Auf Veranlassung der Gestapo wurde sie am 16.6.1943 in das Jüdische Krankenhaus in Berlin verlegt, wo sie bereits am Tag ihrer Überführung verstarb. Ihr Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee.

Sohn Erwin Schweitzer wollte nach seiner Schulausbildung Goldschmied werden, was ihm sein Vater aber nicht erlaubte. So begann er am 1.7.1920 eine Lehre als Schiffsmakler, die er 1922 abschloss. Anschließend war er als Korrespondent mit kurzer Unterbrechung zehn Jahre bei der Bremer Firma Roehlig & Co beschäftigt. Vom 1.3.1934 bis zum 31.12.1934 arbeitete er als Verkaufsleiter bei der Firma J. Mayr in Kalkutta. Im Februar 1935 kehrte er wieder nach Bremen zurück und war bis Mitte Mai 1943 bei der Speditionsfirma Adolf Gruel beschäftigt.

Die Firma beauftragte ihn mit dem Ausbau der Übersee-Abteilung, deren Leitung ihm zugleich übertragen wurde. In den Jahren 1938 und 1939 wurde er nach England gesandt, um neue Geschäftsbeziehungen aufzubauen. Dies war möglich, da er bei den Behörden nicht als Jude registriert war und somit keinen Reisebeschränkungen unterlag. Gleichzeitig nutzte er die Zeit in England, um nun das Goldschmiedehandwerk zu erlernen. Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt kehrte er nach Bremen zurück. Nach Beginn des Krieges musste die Spedition die Überseeverbindungen aufgeben, so dass er das Speditionsgeschäft nun auf den Gütertransport über die Ostseehäfen auszurichten hatte. Der Firmeninhaber attestierte ihm hierbei ein „ausgezeichnetes Dispositionstalent“ und beurteilte ihn u.a. weiter als fleißig und zuverlässig. Ihm wurde großes Vertrauen in der Firma entgegengebracht.

Für alle unerwartet, kündigte Erwin im Mai 1943 seine Stellung. Der Firmeninhaber Gruel schrieb im Zeugnis, das er nach der Kündigung am 18.5.1943 verfasste: „Herr Schweitzer legt seinen Posten bei uns nieder, weil er nach seiner Erklärung durch unerwartete, völlig private Gründe dazu genötigt wird.“ Nach dem Krieg wurde aus der Firma berichtet, dass Erwin Schweitzer über die Gründe seiner Kündigung nie etwas habe verlauten lassen, er sei als ein sehr stiller, in sich gekehrter Typ in Erinnerung geblieben. Sein Schicksal erschloss sich der Firma erst im Juli aus einer öffentlichen Bekanntmachung in der Bremer Zeitung über den behördlichen Einzug des Vermögens der Familie Schweitzer.

Der Gestapo war erst relativ spät bekannt geworden, dass die Familie Schweitzer jüdischer Herkunft war. Obwohl dies für alle vier Großelternteile zutraf, wurde es im Fall des Sohnes Erwin fälschlicherweise nur für zwei Großelternteile angenommen und er damit als „Halbjude“ klassifiziert. Die Korrektur ist einem Vermerk auf seiner Einwohnermeldekarte zu entnehmen: „Schw. ist Jude - Mitt. der Gestapo vom 18.5.43.“ Dieses Datum korrespondiert weiter mit seiner Kündigung und mit der Handhabung, eine Deportation ca. drei Wochen vorher anzukündigen. Am 24.5.1943 zeigte er dann der Behörde seine Vornamensergänzung um „Israel“ an.

Erwin Schweitzer wurde von der Gestapo aufgefordert, sich am 9.6.1943 in Hamburg zur „Umsiedlung“ in das Ghetto Theresienstadt einzufinden. Er durfte einen Koffer mit Ausrüstungsstücken, vollständiger Bekleidung, Bettzeug, Matratze sowie Zahlungsmittel von 50 RM, mitzunehmen. Schriftlich musste er eine Aufstellung zurückgelassener Vermögenswerte im Büro der Reichsvereinigung der Juden abgeben. Er ließ sich von Karl Bruck („Vertrauensmann“ der Reichsvereinigung, Büro Bremen) beraten, was er an Gepäck mitnehmen solle. Sein Bruder begleitete ihn in Hamburg zum Bahnhof.

Am 9.6.1943 bestieg Erwin Schweitzer im Hamburger Hannoverschen Bahnhof den Transport 74-VI/7, der am 11.6.1943 in Theresienstadt eintraf. Der Transport bestand aus 81 Personen. Erwin schrieb seinem Bruder mehrere Karten aus dem Ghetto, die letzte am 19.4.1944. Am 15.5.1944 wurde er mit insgesamt 2.501 Personen aus dem Ghetto in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.

Das Kalendarium des KZ Auschwitz verzeichnet am 16.5.1944: "Mit einem RSHA-Transport kamen 2.503 Juden aus dem Ghetto Theresienstadt an. 707 Männer und Kinder, die mit den Nummern A-76 bis A-842 gekennzeichnet sind und 1736 Frauen und Kinder, die mit den Nummern A-15 bis A-999 und A-2000 bis A-2750 gekennzeichnet sind. Alle Neuankömmlinge sind im Familienlager Birkenau BIIb untergebracht." Damit verliert sich seine Lebensspur. Aus diesem Transport überlebten nur 134 Menschen, alle anderen wurden ermordet.

Nach Erwin Schweitzers Deportation und dem Tod seiner Mutter wurde das Haus in der Zeppelinstraße am 19.7.1943 von der Oberfinanzdirektion Weser-Ems beschlagnahmt. Weiter wurden der gesamte Nachlass und das sonstige inländische Vermögen der Familie nach einer Bekanntmachung in der Bremer Zeitung vom 23.7.1943 als „volks- und staatsfeindliches Vermögen“ zugunsten des Deutschen Reichs eingezogen.

Der ältere Sohn Helmuth Schweitzer, der durch seine Heirat mit einer Nichtjüdin in einer „Mischehe“ lebte, wurde am 14.2.1945 aus Hamburg gleichfalls in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Er erlebte die Befreiung 1945 und verließ das Ghetto am 30.6.1945. Er verstarb 1983 in Hamburg.

Erwin Schweitzers ehemaliger Arbeitgeber, die Firma Röhling & Co. Holding aus Bremen, übernahm die Patenschaft für die Stolpersteine in der Zeppelinstraße.

Peter Christoffersen (2023)

Informationsquellen:
Staatsarchiv Bremen, Akten 4,54-E4325; 4,54-E4324; 4,54-Ra702; 4,54-E609; Einwohnermeldekartei
Auskünfte Gisela Schuster (Enkelin Cäcilie Schweitzer)
ITS Digital Archives, Bad Arolsen; www.holocaust.cz; www.tenhumbergreinhard.de (Transportlisten)
Czech, Danuta: Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939-1945, Reinbek b. Hamburg 1989

Abbildungsnachweis: Privatbesitz

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Christen jüdischer Herkunft
Glossarbeitrag Theresienstadt
Glossarbeitrag Auschwitz
Glossarbeitrag "Arisierung"