Rosa Weiss, geb. Bernstein, *1884
deportiert 1941
ermordet in Minsk
Brahmsstr. 3
Bremen-Schwachhausen
Brahmsstr. 3 - Weitere Stolpersteine:
Rosa Weiss
Familienbiografie
Ludwig Weiss
Rosa Weiss, geb. Bornstein
Ludwig Weiss wurde am 8.2.1881 in Sulmierzyce (Sulmierschütz), Provinz Posen, geboren als Sohn von Hermann Weiss (geb. 1858) und Ernestine Weiss (geb. 1854). Er war das dritte von fünf Kindern. Er besuchte die Schule in Sulmierzyce und absolvierte danach eine kaufmännische Lehre. Von Breslau kommend arbeitete er ab 16.8.1907 als Handlungsgehilfe in Geestemünde in der Lederhandlung Adolf Meibergen. Seine Anschriften wechselten mehrfach, offensichtlich lebte er zur Untermiete. Am 2.1.1909 zog er nach Bremerhaven um, in die Keilstraße 19. Hier war er als selbstständiger Händler gemeldet, und zwar als „Schuhagenturwerkstatt pp.“ und „Trödler pp“. Anfang Juli 1911 meldete er diese Gewerbe ab und verlegte seinen Wohnsitz nach Zwickau.
Rosa Bornstein wurde am 26.1.1884 in Brätz/Kreis Tirschtiegel geboren. Über ihre Familie und ihre Kindheit und Jugend ist nichts weiter bekannt. Von Berlin kommend war sie ab 27.5.1905 in Bremerhaven gemeldet, lebte aber in den Jahren 1905 und 1906 auch kürzere Zeit in Lehe/Preußen. Sie arbeitete als Verkäuferin in dem 1903 gegründeten Bremerhavener Kaufhaus Schocken. Ab 1.11.1910 wohnte auch sie in der Keilstraße 19, allerdings bei einem anderen Vermieter als Ludwig Weiss. Von dort aus meldete sie sich am 30.8.1911 ebenfalls nach Zwickau ab.
Es ist nicht klar, ob Ludwig und Rosa Weiss während ihres Aufenthaltes in Zwickau geheiratet haben, eventuell erst später am 17.11.1911. Ihre Spur findet sich bereits ab 26.9.1911 wieder, von dem Zeitpunkt an waren sie in Varel/Kreis Friesland gemeldet.
Ludwig Weiss eröffnete dort ein Kaufhaus, zunächst als Filiale der Einkaufszentrale Schocken. In der Vareler Zeitung „Der Gemeinnützige“ vom 13.9.1911 erschien folgende Anzeige: „Voranzeige! Am 1. Nov. cr. eröffnet die Einkaufszentrale J. Schocken Söhne, Zwickau i. S. unter der Firma Kaufhaus Ludwig Weiss im Meinenschen Hause, Schloßstr. 8 (vormals Detmold Tasse) ihr zwanzigstes modernes Zweiggeschäft.“ Angeboten wurden u.a. Kurzwaren, Bänder, Besätze, Futterstoffe, Strümpfe, Handschuhe, H. u. D. Artikel, Schreibwaren, Seifen, Bürsten, Lederwaren.
In den ersten Jahren in Varel verfügte Ludwig Weiss noch nicht über viel Eigenkapital. Zeugen berichteten, dass er im Sommer als zusätzliche Einnahmequelle jeden Tag mit einem Handwagen ins Nordseebad Dangast gefahren sei, um dort Zigaretten und andere Kleinwaren zu verkaufen. Im April 1914 konnte er sich immerhin schon leisten, das Eigentum an dem o. g. Grundstück zu erwerben. Ludwig Weiss musste dann – ebenso wie seine beiden Brüder Simon (1878-1917) und Leo (1879-1917) – als Soldat im Ersten Weltkrieg dienen.
Nach seiner Rückkehr machte er sich als Kaufmann selbständig. Ein undatiertes Foto zeigt ihn vor seinem Wohn- und Geschäftshaus an der Ecke Schlossstraße/Kirchhofstraße (ab 1934 Hindenburgstraße), das sechs große Schaufenster hatte. Schrittweise erweiterte er das Warensortiment und nahm verschiedene Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen vor. Wegen seiner preisgünstigen Angebote wurde das Kaufhaus schon nach wenigen Jahren eine begehrte Einkaufsquelle für Menschen mit mittlerem und geringem Einkommen. Rosa Weiss arbeitete ganztägig im Geschäft; sie betreute die Gardinen-, Lederwaren- und Spielzeugabteilung. Insgesamt sollen 15 Verkaufskräfte fest angestellt gewesen sein, und in Stoßzeiten kamen Aushilfskräfte hinzu.
Im ersten Stock über den Geschäftsräumen bewohnte die Familie eine 6-Zimmer-Wohnung. Für den Haushalt war eine Gehilfin eingestellt worden. Seit dem 3.2.1921 lebten auch die Eltern von Ludwig Weiss in dem Haus ihres Sohnes, denn sie waren finanziell auf seine Hilfe angewiesen. Ludwigs Vater starb am 30.8.1925 und ist auf dem jüdischen Friedhof in Varel bestattet. 1929 verließ seine Mutter die Stadt, um mit ihren Verwandten in Breslau zu leben.
Das Ehepaar Weiss konnte sich aufgrund seiner guten finanziellen Situation Reisen auch ins Ausland leisten. Beide waren aktive Mitglieder des jüdischen Gemeindelebens in Varel: 1924 wurde Ludwig Weiss Beisitzer im Synagogenbeirat, Rosa Weiss leitete 1932 den Israelitischen Frauenverein.
In Varel wurden ihre beiden Kinder geboren: Erich (später Gideon) am 14.9.1912 und Ruth am 31.7.1914. Erich besuchte bis März 1929 die Realschule in Varel. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre und arbeitete in den Jahren 1932/1933 im elterlichen Geschäft, das er später übernehmen sollte. Ruth absolvierte die jüdische Elementarschule und anschließend bis 1932 die Realschule in Varel. Sie war als Buchhalterin und Kassiererin im elterlichen Geschäft tätig.
Die NSDAP wurde in Varel schon im Jahr 1928 aktiv. Bereits 1929 erfassten und fotografierten SA-Männer namentlich bekannte Kunden des Kaufhauses Weiss. Im März 1933 berichtete eine örtliche Zeitung von „Terrorakten“ angeblich unbekannter Täter in Varel, so wurden u. a. mehrfach Scheiben des Kaufhauses Weiss eingeschlagen. Es gab Boykottposten vor dem Warenhaus, und Kunden wurden am Betreten des Geschäftes gehindert. Die Erträge des Geschäftes gingen ab 1933 stark zurück. Die Schikanen gegen die Mitglieder der Familie Weiss wurden auf vielfältige Art und Weise fortgesetzt; Ziel war, die Familie aus dem Ort zu vertreiben. Ludwig Weiss fand noch im November 1935 die Kraft, sich bei der Stadtverwaltung über die gegen ihn bzw. sein Kaufhaus gerichteten Aktionen zu beschweren.
Er hoffte allerdings vergeblich auf eine für ihn positive Antwort. Der Tochter Ruth Weiss wanderte am 1.5.1934 nach Palestina aus und der Sohn Erich am 18.7.1936.. Erich hatte sich schon ab 1933 auf die Auswanderung vorbereitet, indem er sowohl das Elektriker- wie das Weberhandwerk erlernte.
Die Lebensbedingungen von Rosa und Ludwig Weiss wurden derart unerträglich, dass sie am 19.2.1936 Varel verließen. Ludwig Weiss hatte am 15.2.1936 sein Geschäft an Erhardt Hirsch – „arisch“ und Mitglied der NSDAP – verpachtet. Für Lager und Inventar sollen 30.000 Reichsmark angesetzt worden sein; ob der Betrag jemals ausgezahlt worden ist, bleibt ebenso unbekannt wie die vereinbarte Pachthöhe. Die Öffentlichkeit wurde in der Vareler Zeitung vom 11.2.1936 unter der Überschrift „Jetzt arisches Geschäft“ über den Inhaberwechsel informiert.
Ab 6.3.1936 war das Ehepaar Weiss in Bremen, Brahmsstraße 3, gemeldet. Im Jahr 1937 besuchten beide Eltern ihre Kinder in Palästina. Die Gründe, warum dieser Aufenthalt nicht genutzt wurde, in dem für sie sicheren Land zu bleiben, sind unbekannt. In der Reichspogromnacht 1938 wurde Ludwig Weiss verhaftet, im Zuchthaus Oslebshausen festgehalten und dann in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt. Ein Mithäftling erklärte später an Eides statt, dass Ludwig Weiss am Morgen des 14.11.1938 tot auf seinem Schlafplatz gefunden und noch auf den Appellplatz mitgeschleift worden war, damit beim Appell die Gesamtzahl der Häftlinge stimmte. Seine Entlassung aus dem Konzentrationslager war für den 23.11.1938 vorgesehen, sein Name wurde in der entsprechenden Liste durchgestrichen.
Seine Witwe Rosa Weiss verkaufte am 15.12.1938 das Geschäftshaus in Varel an den bisherigen Pächter. Sie hatte sich nach dem Tod ihres Ehemannes entschieden, doch gemeinsam mit ihrem Sohn Erich (Gideon) in Palästina zu leben. Sie ließ deshalb im August 1939 Umzugsgut verladen und im Hafen von Triest einlagern. Im September 1939 verfügte der Oberfinanzpräsident Weser-Ems gegen sie eine „Sicherungsanordnung“ über ihr Vermögen. Von diesem Zeitpunkt an konnte sie über nur noch 375 Reichsmark monatlich frei verfügen. Alle darüber hinausgehenden Ausgaben mussten von der Finanzverwaltung freigegeben werden. Im November 1940 beantragte sie die Freigabe von Geldern von ihrem Sperrkonto für „Umzugskosten“. Die Gründe für das Scheitern ihres Planes, nach Palästina auszuwandern, sind nicht bekannt.
Rosa Weiss wurde am 30.4.1941 in das „Judenhaus“ General-Ludendorff-Straße 27 (heute Bürgermeister-Smidt-Straße) eingewiesen. Nachdem sie einen Deportationsbescheid erhalten hatte, beantragte sie auf Bitte der ehemaligen jüdischen Gemeinde am 13.11.1941 bei der Finanzverwaltung die Freigabe von 2.250 Reichsmark. Dieser Betrag floss in einen Sonderfonds, aus dem Gemeinschaftsanschaffungen zur Mitgabe nach Minsk getätigt wurden. Das Antragsschreiben ist ebenso wie die am nächsten Tag erfolgte Genehmigung über 2.050 RM in den Unterlagen erhalten geblieben. Am 18.11.1941 wurde Rosa Weiss in das Ghetto Minsk deportiert. Sie wurde ermordet: Sofern sie nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto erlag, fiel sie einer der Massenmordaktionen zum Opfer, die Ende Juli 1942 begannen.
Im Jahr 2009 wurde in der Stadt Varel diskutiert, eine Straße, die den Namen des ehemaligen führenden Vareler NSDAP-Repräsentanten Friedrich Wegener trug, umzubenennen. Dieses wurde zwar vom Stadtrat einstimmig beschlossen, doch kam der unter anderem eingebrachte Vorschlag für eine Ludwig-Weiss-Straße nicht zum Zuge.
Barbara Ebeling (2017)
Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E4157, Einwohnermeldekartei
Stadtarchiv Varel, Auskunft v. 16.07.2013
www.buergerinfo.varel.de
www.varel.de/dokumente
Archiv der Gedenkstätte Sachsenhausen
Nordwestzeitung, Ausgaben vom 17.4.2009 und 16.5.2009
Obenaus, Herbert (Hrsg.): Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Göttingen 2005, S.1500
Brahms, Rudolf: Geschichte einer ungeliebten Minderheit, die Entwicklung der jüdischen Gemeinde in Varel von ihren
Anfängen im 17. Jahrhundert bis zu ihrem Untergang in nationalsozialistischer Zeit, Oldenburg 2006
Frerichs, Holger (Schlossmuseum Jever, Arbeitskreis Juden in Varel): Dokumentation über Ludwig und Rosa Weiss (bisher unveröffentlicht), Auskunft vom 28.6.2017
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Judenhäuser"
Glossarbeitrag Sachsenhausen
Glossarbeitrag Minsk