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Karl Geist, *1908

Seit 1933 verschiedene Haftanstalten, zuletzt "Schutzhaft" Sachsenhausen
tot 18.5.1942


Bürgermeister-Smidt-Straße 40
Bremen-Mitte
ehemalige Straßenbezeichnung: General-Ludendorff-Straße 40

Verlegedatum: 30.09.2014

Karl Geist


Es ist nicht bekannt, welche Farbe der Winkel auf der KZ-Häftlingskleidung von Karl Geist hatte. Vermutlich war er schwarz, die Kennzeichnung der als „Asozial“ bezeichneten Häftlinge. Hierunter wurden die „Ge­meinschaftsfremden“, u. a. Bettler, Landstreicher und Nichtsesshafte, zusammengefasst und in „Schutzhaft“ genommen. Nach dem Krieg setzte sich ihre Diskri­minierung fort, indem dieser Gruppe der Opferstatus verweigert wurde und sie von Entschädigungsleistun­gen ausgeschlossen blieben.

Karl Geist wurde am 11.1.1908 in Frankfurt a. M. als Sohn von Theresia Geist (später Wolff) geboren, Vater unbekannt. Sein Glaubensbekenntnis war römisch-ka­tholisch. Er wuchs ab 1916 bei seiner Tante Kathari­ne Probst, geb. Geist, und ihrem Ehemann Josef Probst auf. Sie wohnten in der Gro­ßen Hundestraße 32/33 (heute Lloydpassage). Sein Onkel arbeitete als Chauffeur beim Norddeutschen Lloyd.

Als Theresia Geist 1917 Karl Wolff heiratete, nahm sie ihren Sohn kurzzeitig zu sich. 1922 zog das Ehepaar nach Frankfurt a. M. und ein Jahr später nach Wien. Karl Geist blieb bei seiner Tante in Bremen, da er hier seine Schule abschließen sollte. Seit ihrem Fortzug aus Bremen hatte die Mutter vermutlich keinen Kontakt mehr zu ihrem Sohn. Im November 1934 verstarb sein Onkel und im April 1935 seine Tante. Theresia und Karl Wolff wurden 1933 in München verhaftet, da sie beim Verteilen von Flugblättern aufgeflogen waren. Sie wurde nach wenigen Tagen wieder freigelassen und flüchtete im Juli 1933 nach Hol­land. Karl Wolff wurde von einem Sondergericht zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Er flüchtete nach seiner Entlassung 1934 zu seiner Frau nach Holland, wo das Ehepaar auch nach dem Krieg wohnen blieb.

Durch die Vermittlung seines Onkels erhielt Karl Geist 1923 eine Stelle als Magazinar­beiter beim Norddeutschen Lloyd. Bereits 1925 wurde er vom Amtsgericht Bremen we­gen Betrugs zu 30 RM Jugendstrafe verurteilt. Es ist anzunehmen, dass er in dieser Zeit auch seine Beschäftigung verlor und Bremen verließ. Vermutlich ohne Arbeit wurde er von 1926 bis 1937 mehrfach wegen Bettelns, Landstreicherei oder Betrugs zu mehreren Tagen bzw. Wochen Haft verurteilt. Seine Stationen waren Winsen, Füssen, München, Demmin, Marktheidenfeld, Ratingen, Hamm, Cuxhaven und Mannheim.

Obwohl seine Verwandten inzwischen nicht mehr lebten, kehrte er im Mai/Juni 1937 – von Stubbendorf/Rostock kommend – nach Bremen zurück. Er wohnte im Fremdenheim des Vereins für Innere Mission in der Georgstraße 21 (heute Bürgermeister-Smidt-Stra­ße). Am 23.6.1937 meldete er sich nach Frankfurt a. M. ab, wo auch Verwandte seiner Mutter wohnten. Im Oktober 1937 wurde er wieder wegen Landstreicherei in Mannheim zu sechs Wochen Haft verurteilt, zugleich wurde die Unterbringung in ein „Arbeitshaus“ angeordnet. Ab dem 27.12.1937 befand er sich wieder in Bremen „ohne feste Wohnung“.

Vom 19.3. bis zum 18.5.1940 fand er dann erneut Unterkunft im Fremdenheim des Ver­eins für Innere Mission, in der „Herberge zur Heimat“. Sie hatte eine Kapazität von 100 Betten und war durchschnittlich mit 80 - 90 Personen täglich belegt. Die Herberge wur­de längerfristigen Bewohnern als auch täglich wechselnden Besuchern zur Unterkunft bereitgestellt. 1943 war das Heim mit ca. 70 ausländischen (Zwangs)Arbeitern belegt. Am 6.10.1944 wurde das Gebäude durch Bomben vollständig zerstört. Ab Mai 1940 verliert sich kurzzeitig die Spur von Karl Geist. Am 12.2.1941 wurde er in das KZ Sach­senhausen als „Schutzhäftling“ eingewiesen und erhielt die Häftlingsnummer 35864. Er kam am 22.12.1941 in den Krankenbau und verstarb dort am 18.5.1942.

Karl Geists Mutter war nach dem Krieg fest davon überzeugt, dass ihr Sohn aus politi­schen Gründen von den Nationalsozialisten verfolgt worden war. Sie ging davon aus, dass er seit November 1934 in einem KZ interniert gewesen war. Auch die Vorlage von anders lautenden Dokumenten der Wiedergutmachungsbehörde erschütterten ihren Glauben nicht. In einem Brief vom 22.11.1958 schrieb sie: „Ich glaube sicher, das mein Sohn als politisch verdächtigt gefangen genommen wurde, weil er doch die ganzen Jahre, anscheinend auf der Flucht vor den Nazis gewesen ist, andernfalls wäre er in Bre­men geblieben, denn Arbeit gab es in Deutschland in 1934/35 genug, er hätte sich ein Zimmer in Privat gesucht und brauchte nicht bei der Inneren Mission zu übernachten. Ich denke, dass er nach seiner Verhaftung in Bremen, nochmals frei kam oder geflüchtet ist und sich darum immer versteckt aufhalten musste und später haben sie ihn wie­der gefangen genommen und ins Konzentrationslager gesteckt, anders kann ich es mir nicht erklären.“

Karl Geist wurde als „Asozialer“ in das Konzentrationslager eingewiesen und verlor dort sein Leben. Eine Entschädigungszahlung stand seiner Mutter nach der damaligen Rechtslage nicht zu. Das Landesamt für Wiedergutmachung Bremen führte in seinem Ablehnungsbescheid vom 4.6.1963 aus: (Es lässt sich) „nicht erkennen, daß Geist wegen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus verhaftet worden ist, vielmehr ist die Annahme gerechtfertigt, daß die Einweisung in das Konzentrationslager wegen seines asozialen Verhaltens erfolgte. Der Antrag war daher abzulehnen.“

Peter Christoffersen (2015)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E1098, Einwohnermeldekartei, Auszug aus dem Strafregister vom 17.12.1958 in Entschädigungsakte
Auskunft Archiv Gedenkstätte Sachsenhausen
StA Bremen 4,130/1 254, 3-V.2.-Vereine Nr. 453;
Distel,Barbara: Kriminel­le und „Asoziale“ als Häftlingskategorien, in: Benz u. a. (Hrsg.): Nationalsozialistische Zwangslager, Dachau

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Schutzhaft"
Glossarbeitrag Sachsenhausen