Ernst Sell, *1914
verhaftet 1936 KZ Buchenwald
tot 16.5.1944
Fährer Mittelstr. 6
Bremen-Vegesack
ehemalige Straßenbezeichnung: Mittelstr. 6
Ernst Sell
Ernst Sell wurde am 30.1.1914 in Fähr-Lobbendorf geboren, wo seine Eltern, der Maler Richard Sell und seine Ehefrau Hermine, in der Mittelstraße 6 eines der kleinen Arbeiterhäuser des Bau- und Sparvereins erworben hatten. Er war von Jugend an geprägt durch das vielfältige Engagement seiner Familie in SPD und Gewerkschaft, in Arbeitersport- und Arbeitergesangverein. Seine Mutter gehörte 1919 bei den ersten Gemeinderatswahlen mit Frauenbeteiligung zu den Kandidatinnen in Aumund. Der jüngere Bruder Hermann leitete die Aumunder Gruppe der SAJ (Sozialistische Arbeiterjugend), in der auch Ernst Mitglied war.
Der ältere Bruder Richard jun. und sein Schwager engagierten sich im „Reichsbanner”, einem überparteilichen, tatsächlich aber von Sozialdemokraten dominierten Bündnis in der Weimarer Zeit zum Schutz der Demokratie gegen ihre Feinde. Beide wurden deswegen nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 zusammen mit 29 weiteren Genossen, u. a. Wilhelm Ahrens (nach dem Krieg Ortsamtsleiter in Vegesack) und Willy Dehnkamp (später Senator für Bildung und Bremer Bürgermeister), verhaftet und 1935 im so genannten Reichsbanner-Prozess in Hamburg angeklagt wegen Hochverrats und Neubildung einer verbotenen Partei. Richard Sell erhielt ein Jahr Gefängnis.
Auch Ernst Sell, der inzwischen eine kaufmännische Lehre absolviert hatte, machte aus seiner politischen Gesinnung keinen Hehl. Im Pflichteinsatz beim Reichsarbeitsdienst in Rotenburg/Wümme wurde er denunziert, Anfang 1934 verhaftet und ins Blumenthaler Gefängnis gebracht, obwohl er damals schon gesundheitlich angeschlagen war. 1935 zu drei Jahren Haft verurteilt, kam er zunächst ins Zuchthaus Graz bei Breslau, wo er wieder schwer erkrankte und zeitweise ins Krankenhaus verlegt wurde.
Nach der Haftverbüßung nahmen ihn die Nazis in „Schutzhaft“ und verschleppten ihn ins KZ Sachsenhausen. Im Krieg gehörte er zu den Häftlingskommandos, die zur Beseitigung der Trümmer in den vom Luftkrieg zerstörten Städten und zum Bombenräumdienst gezwungen wurden. Anschließend verlegte man ihn ins KZ Buchenwald bei Weimar.
Ernst Sell erkrankte schwer an Tuberkulose. Eugen Kogon, selbst damals Häftling in Buchenwald, zitiert in seinem Buch die Devise des KZ-Kommandanten Karl Koch: „In meinem Lager gibt es nur Gesunde oder Tote!” Ernst Sell wurde jede ärztliche Hilfe verweigert, er verstarb am 17.5.1944. Die Eltern erhielten die Todesnachricht zusammen mit einer Rechnung über 65,40 Reichsmark für die Einäscherung.
Ingbert Lindemann (2013)
Informationsquellen:
Dehnkamp, Willy: Von unten auf. Die sozialistische Arbeiterbewegung in Bremen-Nord, Bonn 1986
Hundertmark, Willy: Eine Dokumentation für die Ausstellung Antifaschistischer Widerstand. „Antifaschistischer Widerstand 1933 - 1945“, Bremen: 28.4.-5.9.1974, 2. Aufl., Bremen 1980
Kogon, Eugen: Der SS-Staat,Frankfurtam Main 1946
Recherchen von Studienrat Detlef Stockinger und Schülern
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Schutzhaft"
Glossarbeitrag Politisch Verfolgte