David Gutnik, *1873
deportiert 1941
ermordet in Minsk
Am Brill 18
Bremen-Mitte
David Gutnik
David Gutnik wurde am 15.2.1873 als Sohn von Abraham Gutnik und seiner Frau Sara Bassa, geb. Wachowsky, in Tschernobyl geboren. Er kam im Juni 1908 nach Bremen und lebte dort – mit einer kurzen Unterbrechung (Berlin) – bis zu seiner Deportation ins Ghetto Minsk 1941. Er hatte die russische Staatsangehörigkeit und wurde später als staatenlos geführt.
Er wohnte zunächst in der Admiralstraße 155, zog aber im Laufe seiner Aufenthaltszeit mehrfach um. Im Bremer Adressbuch findet sich erstmals 1913 ein Eintrag: Hutfilterstraße 18. Als Beruf ist „Zigarettenfabrikant“ angegeben. Diese Tätigkeit übte er bis 1921 aus.
Am 24.4.1912 heiratete David Gutnik in Bremen als Witwer in zweiter Ehe die am 9.4.1887 in Minsk geborene Enta Scheflian, genannt Henriette. Ihr Vater war der Möbelhändler Abraham Schm. Scheflian, ihre Mutter war Chana Sisse, geb. Lifschitz. Wann genau Henriette Scheflian Minsk verließ und nach Berlin zog, vermutlich zusammen mit ihren Eltern, ist nicht bekannt. Zur Zeit der Heirat lebte David Gutniks Frau noch in Berlin, zog aber bald darauf nach Bremen. Das Ehepaar lebte in getrennten Wohnungen. Während seine Frau in der Straße Häfen 40 wohnte (heute Auf den Häfen), lebte David Gutnik in der Jacobistraße 27.
Am 13.2.1913 kam ihre Tochter Anna Sylvia im Bremer Wöchnerinnen-Asyl in der Straße Am Schwarzen Meer 138 zur Welt. Diese kirchliche Einrichtung, geleitet von einer Oberin, stand allen Frauen offen, die aus finanziellen Gründen auf Hilfe angewiesen waren. Im Bremer Adressbuch von 1913 heißt es: „Aufnahme findet jede Ehefrau, innerhalb Bremens wohnende unbemittelte unentgeltlich.“ Wer aufgenommen werden wollte, hatte sich „möglichst vier Wochen vor der Niederkunft persönlich“ zu melden.
Am 3.5.1914 verließ Henriette Gutnik zusammen mit ihrer einjährigen Tochter Bremen. Die Ehe wurde im selben Jahr durch Beschluss der Zivilabteilung des Bezirksgerichts Kalisch (heute Polen) „aufgelöst“.
Am 24.8.1915 wurde David Gutnik erneut Vater einer Tochter: Frieda Dorothee Lucie. Die Mutter des Kindes war die aus Osterholz-Scharmbeck stammende Maria Wittkop/Wittkopf.
David Gutnik erkannte die Vaterschaft an. Bis zum 16. Lebensjahr zahlte er seiner Tochter eine jährliche Rente von 300 Mark. Auch scheinen Vater und Tochter in Kontakt geblieben zu sein. So schreibt Dorothee Wittkopf 1951 in einem Brief an das Landesamt für Wiedergutmachung: „… ich habe meinen Vater, solange er noch in Bremen war, immer unterstützt und wäre er zurückgekommen, so wäre er heute auch bei mir.“
Bis 1921 behielt David Gutnik die Berufsbezeichnung „Zigarettenfabrikant“ bei. Dann ließ er sich im Adressbuch als „Privatmann“ eintragen. Immer wieder wechselte er seinen Wohnsitz. So finden sich im Bremer Adressbuch bis 1925 mindestens fünf verschiedene Adressen.
Zwischen 1926 und 1928 zog David Gutnik nach Berlin. Der Grund dafür könnte gewesen sein, dass auch Henriette und die gemeinsame Tochter Anna vermutlich in Berlin lebten, zumal hier auch die Eltern von Henriette Gutnik lebten. So findet sich im Berliner Adressbuch von 1927 folgender Eintrag: Gutnik, Henriette, geb. Schefflian, Heimarb., N 113, Carmen Sylva-Str. 81 Gb. Erdg.
Nach zwei Jahren zog David Gutnik wieder nach Bremen zurück und war bis zum 1.9.1939 in der Straße Am Brill 18 gemeldet. Ab November 1928 betrieb er einen „Handel mit Tabakwaren“, den er am 13.2.1933 wieder abmeldete. Danach wurde er als „Arbeiter“ geführt. Am 1.9.1939 musste er zwangsweise in das im Schnoor gelegene Haus Hinter der Balge 10 umziehen. Die Israelitische Gemeinde Bremen hatte dies Haus zwar verkaufen müssen, konnte es aber zur Unterbringung von Gemeindemitgliedern weiterhin nutzen.
David Gutnik wurde am 18.11.1941 von Bremen aus in das Ghetto Minsk deportiert. Von den über 500 Deportierten sind nur sechs Männer zurückgekehrt; alle anderen – so auch David Gutnik – wurden ermordet. Sie starben entweder im Winter 1941/42 an Kälte und Hunger oder fielen einer der im Juli 1942 einsetzenden Massenerschießungen und -vergasungen zum Opfer.
Seiner geschiedenen Frau und Tochter Anna gelang 1939 die Emigration. Henriette Gutnik erreichte, von Berlin über Southampton kommend, an Bord der Aquitania am 17.2.1939 New York. Am 13.12.1939 stellte Henriette einen Antrag auf Einbürgerung, als Beruf gab sie „candy clerk“, also Süßwarenverkäuferin, an. Zu dem Zeitpunkt lebte ihre Tochter ebenfalls in New York. Henriette Gutnik wurde fast 96 Jahre alt. Sie starb im Februar 1983 in New York.
Henriette und Anna Gutnik galten bisher als von Bremen am 18.11.1941 gleichfalls in das Ghetto Minsk deportiert und dort ermordet. Durch aktuelle Recherchen konnte nachgewiesen werden, dass diese Annahme falsch war. Sie beruhte auf einer Fehlinterpretation der Bremer Einwohnermeldekarte.
Hans-Ulrich Brandt/Peter Christoffersen (2025)
Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E4836, StAB 4,60/5-394, StAB 4,60/5-14000, Einwohnermeldekartei
Bremer Adressbuch, Berliner Adressbuch
US-Certificate of Arrival vom 31.9.1939
US-Petition for Naturalization vom 13.12.1939
Rohdenburg, Günther/Sommer, Karl-Ludwig: Erinnerungsbuch für die als Juden verfolgten Einwohner Bremens, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wegen ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen Glaubensgemeinschaft oder nach Kriterien der nationalsozialistischen Rassegesetzgebung als Juden verfolgt wurden, Bremen 2006
Anmerkung:
Der für David Gutnik vor dem Haus Am Brill 18 gesetzte Stolperstein ist bei Bauarbeiten abhandengekommen. Eine Nachverlegung ist geplant.
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Minsk
Glossarbeitrag Entschädigung / Rückerstattung