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Elsegrete Schmedes, *1917

eingewiesen 9.12.1943 in die "Heilanstalt" Meseritz
ermordet 18.1.1944


Paschenburgstr. 4
Bremen-Schwachhausen

Elsegrete Schmedes

geb. 30.11.1917

Elsegrete Schmedes wurde am 30.11.1917 als zweites von drei Kindern eines Studienrats und seiner Ehefrau geboren. Im März 1941 wandte sich der Vater schriftlich an einen Oberarzt der Bremer Nervenklinik mit der Bitte um Aufnahme der Tochter, die an der „Littleschen Krankheit“ (einer spastischen Zerebralparese) litt. Ausführlich schilderte er dem Arzt, den er persönlich kannte, den Gesundheitszustand der Tochter. In seinem Brief wird zudem deutlich, mit welchen Zweifeln und Sorgen die Eltern kämpften, als sie sich entschlossen, Elsegrete in eine Pflegeeinrichtung zu geben.

Die Krankheit habe sich ganz allmählich bis auf den heutigen Zustand ausgebildet, schrieb der Vater in seinem ausführlichen Brief. Als Kind habe sie sich ganz normal, „wenn auch in allen Bewegungen etwas schwerfällig“ entwickelt, „[...]konnte gehen und laufen und ging zur Schule. Vom 7. Jahre an aber verschlimmerte sich das Leiden“. Seine Tochter sei ansonsten körperlich und geistig normal entwickelt. „Sie ist aber nicht in der Lage, ihre Gliedmaßen zu gebrauchen, da sie bei der geringsten Beanspruchung derselben sämtliche Muskeln verkrampft. - Sie stellt die Füße nach innen, und die rechte Hand hat sie dauernd zur Faust geballt.“ Sie könne nicht stehen und gehen[...].

„[...] nur mit den größten Schwierigkeiten und mit Unterstützung eines kräftigen Menschen. - Sitzen kann sie nur in einem Stuhl mit hoher Rückenlehne und Armstützen […]. - Lesen und schreiben kann sie, d. h. sie hat dazu die geistigen Fähigkeiten; aber das Schreiben ist unmöglich, weil sie keinerlei freie und ungezwungene Bewegung mit ihrer Hand machen kann und das Lesen, weil sie die Blätter des Buches beim Lesen einfach zerreißt, wenn sie umschlagen will. Unter diesen Umständen muß meine Tochter natürlich in jeder Beziehung gepflegt und gewartet werden; sie muß angezogen, gewaschen, gekämmt und gefüttert werden […]. Nach diesen Schilderungen werden Sie sich ein Bild von der Krankheit meiner Tochter machen können; Sie werden auch erkennen, daß meine Frau ein furchtbar schweres Los in der Pflege und Wartung der Tochter hat […]. Meine Frau ist auf dem besten Wege ihre Gesundheit zu schädigen und bei der ungeheuren Belastung zu verzweifeln. - Immer haben wir den Gedanken, unsere Tochter fortzugeben, verworfen, trotzdem uns dies sehr oft schon geraten wurde. Wir wollten sie selbst pflegen, so lange wie möglich. Nun aber ist der Zeitpunkt da, wo es eben nicht mehr geht! Und da wende ich mich nun vertrauensvoll an Sie mit der Bitte, meine Tochter in Ihre Anstalt aufzunehmen; wir möchten sie nicht gern nach Rotenburg oder Bethel bringen, weil wir sie doch öfter mal besuchen wollen.“

Offensichtlich erklärten sich die Ärzte der Bremen Nervenklinik bereit, die 23-Jährige aufzunehmen, denn knapp drei Wochen nach seinem Bittbrief brachte sie der Vater persönlich zur Aufnahme. Über ihr Leben in der Anstalt sind nur wenige Informationen überliefert. Die körperlich kräftige Patientin sei durch ihr Nervenleiden „völlig hilflos, aber klar und orientiert“, notierten die Ärzte im Jahr 1943 in der Krankenakte. Sie stehe „viel mit ihrem Stuhl im Freien“, werde auch häufiger spazieren gefahren. Gerne lasse sie sich „Erzählungen für junge Mädchen“ vorlesen und sei „mit dem im Rahmen der Abteilung Gebotenen an Anregung, durch Schauen und Unterhaltung, im Ganzen zufrieden“.

Beim Besuch der Eltern, die sie regelmäßig zweimal wöchentlich besuchten, klage sie jedoch oft über die durch ihre Krankheit hervorgerufenen Entbehrungen, sodass diese sie jedes Mal bedrückt verlassen würden. Nach der Bombardierung der Bremer Klinik wurde die junge Frau am 9.12.1943 zusammen mit 306 anderen Patienten in die Tötungsanstalt Meseritz-Obrawalde gebracht, wo sie am 18.1.1944 im Alter von nur 26 Jahren starb.

Verfasserin:
Gerda Engelbracht (2017)

Informationsquellen:
Archiv Klinikum Bremen-Ost, Krankenakte

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Euthanasie" / Zwangssterilisation