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Oskar Goldberg, *1883

Berufsverbot 1933 Verhaftet 1939
KZ Sachsenhausen, tot 13.1.1940


Rudolf-Hilferding-Platz 1
Bremen-Mitte


Rudolf-Hilferding-Platz 1 - Weitere Stolpersteine:


Oskar Goldberg

Oskar Goldberg
„Liebe Selma! Liebe Alma! Erschrickt nicht: ich bin hier Sonntag abend polizeilich fest­genommen worden und werde vermutlich längere Zeit in Haft bleiben“, meldet sich am 8.11.1939 Oskar Goldberg aus dem Polizeigefängnis Kaldenkirchen. Es ist das letzte Lebenszeichen, das Frau und Tochter in Bremen von ihm erhielten. An der niederländi­schen Grenze bei Kaldenkirchen/Venlo hatte seine Flucht in die Niederlande ein jähes Ende gefunden.

Oskar Goldberg wurde am 28.3.1883 in Bremen geboren und war seit 1909 mit Selma, geb. Voigt, (1886-1951) verheiratet. Ihre Tochter Alma wurde 1911 geboren. Auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933 war er als Obersteuersekretär zum 1.1.1934 aus dem Staatsdienst entlassen worden und zwar zu­nächst ohne Anspruch auf Ruhegehalt und spätere Hinterbliebenenbezüge. Die Entlas­sung nach 23-jähriger Tätigkeit in der bremischen Finanzverwaltung war für die Familie vor allem finanziell ein harter Schlag. Weder seine Teilnahme am 1. Weltkrieg als Soldat, noch die Ehe mit seiner katholischen Frau hatten ihm Schutz vor der Entlassung gewäh­ren können.

Ein winziges Ruhegehalt wurde dem Fünfzigjährigen schließlich gewährt. Hatten seine Dienstbezüge im Dezember 1933 noch 400,67 RM betragen, musste die Familie ab 1934 mit monatlich 158,08 RM auskommen, ab November 1934 sogar mit nur noch 110,67 Reichsmark.
Der Versuch, freiberuflich als Steuerberater und Buch­halter für jüdische Kunden zu arbeiten, wurde ihm untersagt. Der zweiundzwanzigjährigen Alma fiel ab 1934 der Unterhalt der Familie zu. Doch auch sie konnte nicht mehr in ihrem erlernten Beruf als Kon­toristin arbeiten. Nach den Nürnberger Gesetzen als „jüdischer Mischling“ eingestuft, verlor sie schließlich auch ihre Stelle beim Flugzeughersteller Weser-Flugzeugbau im April 1939 „aus rassischen Gründen“. Sie hatte Glück und konnte unmittelbar danach als Kassiererin im „Astoria“ arbeiten, bis zu dessen Zerstörung im Oktober 1944.

Die verzweifelte wirtschaftliche Lage mag ein zusätzlicher Grund für den Entschluss Os­kar Goldbergs gewesen sein, das Land illegal zu verlassen. Er machte sich im September 1939 mit kleinem Gepäck auf den Weg zu Verwandten nach Köln, um von dort seine Fluchthelfer zu treffen, die ihn über die grüne Grenze ins niederländische Venlo bringen sollten. Geplant war, sich in den Niederlanden mit seinem Bruder, Dr. Hugo Goldberg, zu treffen. Doch der Versuch, in der Nacht die Grenze zu passieren, scheiterte.„Ich bekam am Sonntag [am 5.11.1939, d. Verf.] von Hugo Bescheid, daß ich abgeholt würde. 2 mir gänzlich unbekannte Leute haben mich hierher geleitet. Man hat mich dann in der Dunkelheit auf freiem Felde mein Schicksal überlassen“, berichtete er in sei­nem letzten Brief. „Ich bitte dich nun herzlichst, liebe Selma, schleunigst beim jüdischen Hilfsausschuß in der Kohlhökerstraße. 6 [...] meine Auswanderung auf gesetzlichem Wege zu betreiben. Dieser Schritt ist bei der gegebenen Sachlage unbedingt erforder­lich.“

Im Gefängnis, schrieb er weiter, gebe es Verpflegung und es dürften sogar Bücher gelesen werden. Nicht einmal im Entferntesten scheint er geahnt zu haben, in welch bedrohlicher Gefahr er sich tatsächlich befand. Sorge bereiteten ihm vielmehr sein in Köln zurückgelassenes Kissen und seine Reisedecke. Diese, so schärfte er der Familie ein, sollten auf dem Postwege zurückgefordert werden. Dass er mit der genauen An­gabe von Adresse und Namen seine Verwandten in Köln und die Fluchthelfer in Gefahr brachte, scheint ihm gar nicht in den Sinn gekommen zu sein. „Weiteres“, schreibt er, „ist nicht zu veranlassen. Wie ihr euch denken könnt: Ich fühle mich sehr unglücklich u. bin körperlich ganz zerschlagen. Auf meine älteren Tage hätte ich mir ein besseres Los gewünscht. Regt Euch beide, meine liebe Selma u. meine liebe Alma nur nicht zu sehr auf. Wir müssen nun alles in Gottes Hand legen. Ich hätte einen solchen Versuch nicht machen dürfen.“

Zwei Monate später, am 12.1.1940 traf abends um zehn Uhr in der Lützower Straße ein Telegramm aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen ein: „Ehemann an Körper­schwäche verstorben“. Mit einer schriftlichen Genehmigung der Bremer Gestapo in der Tasche machten sich Mutter und Tochter am übernächsten Tag auf den Weg ins Konzen­trationslager, um den Toten zu sehen. „Bei dem Anblick des Toten fiel uns auf, dass unser lieber Pappi eines gewaltsamen Todes verstorben war. Sterbeurkunde anbei.“ Mit diesen Worten endet der handgeschriebene Lebenslauf für Oskar Goldberg, den seine Witwe im September 1946 ihrem Antrag auf Ausstellung eines Verfolgtenausweises beigefügt hatte.

Ob und wo Oskar Goldberg begraben werden konnte, ist unbekannt. Die Lützower Stra­ße 101 im Bremer Westen, die letzte Adresse der Familie, wurde im August 1944 durch Bomben völlig zerstört und nicht wieder aufgebaut. Der Stolperstein liegt deshalb heu­te vor dem Haus des Reichs, am Rudolf-Hilferding-Platz, dem heutigen Sitz der Bremer Finanzverwaltung. Er soll damit auch an alle Bremer Beamten erinnern, die während der Zeit des NS-Regimes aus dem Staatsdienst entlassen wurden.

Gundula Rentrop (2015)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E676, 4,54-E9596

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Rassengesetzgebung
Glossarbeitrag Sachsenhausen