Leopold Sinasohn, *1877
Pogromopfer
erschossen 10.11.1938
Ritterhude, Dorfstraße 62
Bremen-Burglesum
ehemalige Straßenbezeichnung: Platjenwerbe 47
Leopold Sinasohn

Leopold Sinasohn wurde am. 22.1.1877 als Sohn des Kaufmanns Emanuel Sinasohn und seiner Ehefrau Anna, geb. Mendershausen, in Naumburg/Saale geboren.
Nachdem seine Eltern von Naumburg nach Berlin gezogen waren, erlernte er dort das Mechanikerhandwerk. Anschließend fuhr er mehrere Jahre zur See, bevor er seinen Militärdienst in Frankfurt an der Oder leistete.
1909 heiratete er die nichtjüdische Emma Königsmark (1888-1933) aus Parey bei Magdeburg. Mit ihr zog er 1911 nach Kiel, als er dort eine Anstellung als Elektromonteur bei der Siemens-Schuckert-Werke AG gefunden hatte. Noch im gleichen Jahr versetzte ihn die Firma in ihre Abteilung „Schiffbau“ bei der Werft „AG Weser“ in Bremen, wo er zum Obermonteur und Mitglied des Technischen Büros avancierte und mit der Montageaufsicht beim Einbau elektrischer Anlagen auf Kriegs- und Handelsschiffen betraut wurde.
Das Ehepaar Sinasohn wohnte in der näheren Umgebung der Werft in Gröpelingen, die Söhne Paul und Waldemar wurden hier geboren. 1914 zog die Familie nach Platjenwerbe im Kreis Osterholz; das Dorf wurde zu ihrem Heimatort. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs zur Marine einberufen, kehrte Leopold Sinasohn schon 1917 in seine Firma zurück, vom Kriegsdienst dank seiner hohen Qualifikation freigestellt.
Durch Fleiß und Sparsamkeit konnten die Sinasohns ein Grundstück in Platjenwerbe erwerben und ein Haus in der Dorfstraße 62 bauen. Die Familie fühlte sich bis in die NSZeit hinein von der Dorfgemeinschaft „völlig akzeptiert“. In der dörflichen Umgebung wurde Leopold Sinasohns fachliche Qualifikation bald bekannt, und man nahm sie gern in Anspruch. Platjenwerbe verdankte ihm zum Teil seine Elektrifizierung; Reparaturen führte der hoch geachtete Mann meist kostenlos in Nachbarschaftshilfe aus. Die Söhne wurden im Sinne ihrer evangelischen Mutter christlich erzogen. Im Dorf spielten Paul und Waldemar, in späterer Zeit auch ihr nachgeborener Bruder Karl-Heinz, eine überragende Rolle als Vereinssportler, ihre Eltern nahmen am gesellschaftlichen Leben des Ortes ebenso regen Anteil.
Als Emma Sinasohn 1929 schwer nierenkrank wurde, änderte sich das bis dahin frohe Leben im Hause Sinasohn. Am 17.2.1933, kurz nach dem Machtantritt der Nazis, entließ man Leopold Sinasohn aus seiner Firma, angeblich wegen „Arbeitsmangels“; im Oktober des gleichen Jahres starb seine Frau. Trauer, Existenzangst und die Sorge um die Zukunft seiner von den NS-Rassengesetzen bedrohten Söhne verdüsterten seine letzten Lebensjahre. Sein 1912 geborener Sohn Paul, der Berufssoldat werden wollte, wurde als „Halbjude“ aus der Wehrmacht entlassen; auch durften weder er noch sein 1913 geborener Bruder Waldemar ihre aus nichtjüdischen Familien stammenden Verlobten heiraten.
In der Reichspogromnacht 1938 drang ein SA-Trupp aus dem benachbarten Lesum in Leopold Sinasohns Haus ein und tötete ihn mit mehreren Schüssen. Seine Leiche wurde auf einer Wiese in der Umgebung des Dorfes verscharrt und nach ihrer Entdeckung und Untersuchung eingeäschert. Erst zwei Wochen danach erhielten die Angehörigen die Urne mit den sterblichen Überresten des Vaters, die der Pastor Paul Abert auf dem Grab Emma Sinasohns beisetzte – heimlich, weil der Lesumer Friedhofsverwalter dies nicht dulden wollte. Die Empörung in Platjenwerbe über die Ermordung Leopold Sinasohns verstummte schnell.
Die Verfolgung der Familie Sinasohn hatte damit kein Ende gefunden. Bis Kriegsschluss waren Paul und Waldemar Sinasohn in Arbeitslagern interniert. Beide überlebten, ihr Bruder Karl-Heinz kehrte als schwerverletzter Soldat zurück. In Platjenwerbe erinnert der Leopold-Sinasohn-Weg an das Schicksal des Pogromopfers.
Rolf Rübsam (2013)
Siehe auch:
Leopold Sinasohn - Spurensuche
Auch seine Söhne Paul und Waldemar blieben nicht von Verfolgungen verschont. Siehe hierzu:
Paul Sinasohn - Spurensuche
Waldemar Sinasohn - Spurensuche
Informationsquellen:
Familiendokumente und -fotos, Zeitzeugenberichte
Rübsam, Rolf: Sie lebten unter uns. Zum Gedenken an die Opfer der „Reichskristallnacht“ 1938 in Bremen und Umgebung, Bremen 1988
ders., „Spurensuche in Platjenwerbe“ (Dokumentation der Veranstaltungen der Ev. Kirchengemeinde Ritterhude vom 6.-17.11 1988)
Abbildungsnachweis: Staatsarchiv Bremen
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Rassengesetzgebung
Glossarbeitrag Novemberpogrom