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Walter Stempel, *1901

"Schutzhaft" 1938 Sachsenhausen, deportiert 1941
Ermordet in Minsk


Schillerstraße 14
Bremen-Mitte

Verlegedatum: 30.09.2014


Schillerstraße 14 - Weitere Stolpersteine:


Walter Stempel


Familienbiografie
Sali Stempel, geb. Kleinberg
Zerline Bollinger, geb. Stempel
Walter Stempel
Emmy Stempel, geb. Röttgen
Anneliese Röttgen

„Wir und auch die Generationen nach uns dürfen nicht vergessen, was hier passiert ist, auch wenn es schon uns unglaublich lange her erscheint. Wir wollen verantwortungs­bewusst mit unserem schrecklichen Wissen umgehen und uns gegen alle Formen von Gewalt und Ausgrenzung stellen.“ (Klasse 7b/2011 des Alten Gymnasiums bei der Über­nahme der Patenschaft für den Stolperstein für Anneliese Röttgen in der Bornstraße 53)

Sali Slata Stempel, geb. 10.12.1863 in Gura Humora (Bukowina), war die Tochter von Wolf und Erna Kleinberg, geb. Merdler. Sie war mit Leiser (gen. Louis) Stempel (1832 - 1916) verheiratet. Die Eheschließung fand 1885 in Gura Humora statt. Er war Inspektor von Beruf, der Arbeitsbereich ist nicht bekannt. Die Familie zog 1910 nach Bremen. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Zerline (geb. 18.1.1897 in Wien) und Walter (geb. 8.7.1901 in Wien). Sali Stempel wohnte ab 1931 mit ihrem Sohn in der Schillerstraße 14.

Zerline Stempel war Stenotypistin von Beruf. Sie heiratete 1931 den Juristen Dr. jur. Heino Bollinger (1893-1977). Kurz darauf trat sie zum evangelischen Glauben, dem Be­kenntnis ihres Ehemannes, über. Das Ehepaar wohnte am Bürgermeister-Smidt-Platz 16 (heute Gustav-Pauli-Platz). Am 17.10.1936 wurde die Ehe aufgrund einer psychischen Erkrankung Zerline Bollingers geschieden. Nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 galt sie trotz ihres Konfessionswechsels als Jüdin, ihre Einwohnermeldekartei vermerkt: „4 Großelternteile Jude - Rassenm. Jüdin“. Ab dem 17.3.1936 wohnte sie bei ihrer Mutter in der Schillerstraße 14.

Dr. jur. Bollinger war Syndikus der Gewerbekammer Bremen. Von 1921-1927 war er Ab­geordneter der Bremischen Bürgerschaft für die linksliberale DDP (Deutsche Demokra­tische Partei). Vermutlich im Zuge der Gleichschaltung wurde er am 12.4.1933 in den Ruhestand versetzt. Er setzte seine Ausbildung fort und legte 1936 in Hamburg die Gro­ße juristische Staatsprüfung ab, 1937 wurde er als Rechtsanwalt zugelassen. Nach dem Krieg wurde er in Bremen mit den Amtsgeschäften eines Oberstaatsanwalts und 1947 mit denen des Generalstaatsanwalts beauftragt.

Walter Stempel war nach einem Eintrag auf seiner Einwohnermeldekartei Vertreter. Von 1933 bis 1938 hatte er eine Gewerbe- und Warenvertretung angemeldet. 1923 bekam er die bremischen Bürgerrechte verliehen und 1932 ließ er sich taufen (evangelisch). Nach den Nürnberger Gesetzen galt er dennoch als Jude, auch seine Einwohnermeldekartei vermerkt: „4 Großelternteile Jude“. Er hatte einen Sohn, Heribert Riechers, der 1921 außerehelich geboren wurde. Er wuchs bei seiner Mutter auf und hatte kaum Kontakt zu seinem Vater. Im Zuge der Pogromnacht 1938 wurde Walter Stempel verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Sein Entlassungsdatum ist nicht bekannt.

Am 28.6.1939 heiratete er die Büroangestellte Emmy Röttgen, gesch. Schuler, geb. 24.10.1900 in Niedersprockhövel. Ihre Eltern waren der Viehhändler Nathan Röttgen (1882-1929) und Clara, geb. Meyer, die fünf Kinder hatten. Die Familie lebte seit etwa 1850 in Sprockhövel. Emmy hatte Kontoristin gelernt und war 1929 aus ihrem Heimatort nach Bremen gezogen. Zunächst war sie mit Karl Schuler verheiratet; am 8.3.1932 wurde die Ehe geschieden. Sie brachte am 3.12.1934 ein Mädchen zur Welt: Anneliese Röttgen. Der Kindesvater ist unbekannt. Als Emmy Röttgen im Februar 1935 Bremen vorüberge­hend verließ, brachte sie ihre Tochter bei der Familie Busche in der Bornstraße 53 unter, die hierfür ein Pflegegeld von 30 RM mtl. erhielt. Dort blieb Anneliese bis Juni 1940 und kam dann zu ihrer Mutter zurück. Mit ihrer Eheschließung zog das Ehepaar Stempel in das Gemeindehaus Kohlhökerstraße 6 um und wohnte im 2. Stock des Hauses. Die Mie­te betrug mtl. 48 RM.

Emmy Stempel arbeitete als Sekretärin im Bremer Büro des Hilfsvereins der Reichsverei­nigung der Juden in Deutschland, Abteilung Wanderung. Es war in der Kohlhökerstraße 6 – Gemeindehaus der Israelitischen Gemeinde ab 1938 – untergebracht. Hier informierte sie über Auswanderungsmöglichkeiten, gab Rechts- und Finanzberatung, bemühte sich um die Ausstellung bereinigter Führungszeugnisse und erledigte Vermögensangele­genheit für bereits emigrierte Juden im Ausland. Ihr Gehalt betrug 1941 mtl. 181,71 RM netto und war seit September 1939 auf ein „beschränkt verfügbares Sicherungskonto“ einzuzahlen. Die Beschränkungen waren so rigide, dass sie z. B. bei der Devisenstelle an­fragen musste, um über das gewährte Weihnachtsgeld von 30 RM (abzgl. 5,40 RM Lohn­steuer) verfügen zu dürfen.

Um ihr Einkommen aufzubessern, nahm die Familie Anfang 1940 die Sekretärin Dora Grüneberg in ihre Wohnung zur Pension gegen mtl. 60 RM auf. Durch die erhöhten Aufwendungen hierfür und die Zusatzkosten für eine Aufwar­tefrau nach Rückkehr der Tochter „Annelies“ gewährte die Devisenstelle dem Ehepaar nunmehr einen mtl. Freibetrag von 310 RM, über den verfügt werden konnte. Nachdem Frau Grüneberg Anfang 1941 wieder auszog, musste bei der Devisenstelle erneut nun um Genehmigung eines geringeren Freibetrages von 250 RM angefragt werden. Walter Stempel fand im ersten Halbjahr 1941 eine Beschäftigung bei der Firma Grüttert (Uhren und Goldwaren), Ostertorsteinweg 91, und verdiente 20 RM netto pro Woche. Ab dem 1. Juli wechselte er auf eine Stelle bei der Pharmazeutischen Fabrik Dr. Johannsen, Rem­bertistraße (Apotheker Bethke). Emmy Stempel war im Gegensatz zu ihrem Mann nicht völlig mittellos, in einer Vermögenserklärung vom 27.3.1941 führte sie ein Spargutha­ben von 1470 RM auf.

Die eigene Auswanderung mit Familie soll sie immer wieder zurückgestellt haben, um anderen Juden helfen zu können. Max Markreich merkte in seinen Erinnerungen an, dass sie durch einen „Gestapo-Kommissar“ geschützt gewesen wäre, aber aufgrund ih­rer umfangreichen Kenntnisse über die dortigen Vorkommnisse, schließlich „eliminiert“ werden sollte.

Am 18.11.1941 wurden Zerline Bollinger, Walter und Emmy Stempel und ihre sieben­jährige Tochter Anneliese von Bremen aus in das Ghetto Minsk deportiert und zu einem unbekannten Zeitpunkt ermordet.

Sali Stempel musste am 10.1.1942 ihre Wohnung verlassen und in das Jüdische Altersheim Gröpelinger Heerstraße 167 einziehen. Am 23.7.1942 wurde das Altersheim von den Behörden geräumt und alle Bewohner nach Theresienstadt deportiert, unter ihnen auch Sali Stempel. Am 26.9.1942 wurde sie in das Vernichtungslager Treblinka überstellt und dort ermordet.

Peter Christoffersen (2015)

Informationsquellen:

StA Bremen Einwohnermeldekartei, Personalakte 4,10 AKZ 63-2; 4,42/3-40
Hockamp, Karin: Die Toten werden Mahnung sein, Hg. Stadt Sprockhövel 2003
AK Antifaschismus Ennepe-Ruhr u. a.: Sprockhövel im Nationalsozialismus 1933-1945, ohne Jg. und Ort
Markreich, Max: Geschichte der Juden in Bremen und Umgegend; 2. Auflage, Bremen 2009
AK (Hrsg.): Lebensge­schichten; Helling, Wilfried: Gleichschaltung und Ausgrenzung, Der Weg der bremischen Anwaltschaft ins Dritte Reich, Bremen 1990
http://hsr-trans.zhsf.uni-koeln.de/volumes/bioweil/bremen.htm
www.altes-gymnasium.schule.bremen.de 5

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Theresienstadt
Glossarbeitrag Treblinka