Agnes Hirschberg, geb. Ballin, *1869
Deportiert 1942 Theresienstadt
ermordet
Faulenstraße 45
Bremen-Mitte
Verlegedatum: 30.09.2014
Faulenstraße 45 - Weitere Stolpersteine:
Agnes Hirschberg
Familienbiografie
Agnes Hirschberg, geb. Ballin
Irma Hirschberg, geb. Hirschberg, gesch. Laufer
Ilse Laufer
Der biografischen Annäherung an einen Teil des kurzen Lebens von Ilse Laufer schienen aufgrund des letzten Eintrags auf ihrer Einwohnermeldekartei enge Grenzen gesetzt zu sein. Als 10-jähriges Mädchen verzog sie 1937 nach Hamburg, so der Eintrag. Warum zieht ein kleines jüdisches Mädchen nach Hamburg – allein?
Keyla Zwy Hirschberg, Agnes genannt (geb. 10.4.1869 in Aurich), war die Tochter von Hermann Ballin und seiner Ehefrau Julia, geb. Hoffmann. Sie heiratete 1899 in Hamburg Hermann Hirschberg (geb. 1868 in Barsinghausen). Das Ehepaar wohnte seit 1906 in Bremen, von 1915 bis 1935 in der Faulenstraße 4/8. Sie bekamen eine Tochter, Irma Henriette (geb. 1899 in Barsinghausen). In den 1920er Jahren betrieb Hermann Hirschberg eine Buch- und Zeitschriftenhandlung in der Faulenstraße. Er verstarb am 12.8.1933. Sein Grabstein ist auf dem jüdischen Friedhof in Bremen-Hastedt erhalten geblieben.
Irma Hirschberg, Verkäuferin von Beruf, heiratete 1925 Leon Laufer (1900-1945). Sie bekamen am 14.7.1926 eine Tochter, Ilse Juliane. 1932 wurde die Ehe geschieden, Irma Laufer nahm wieder ihren Mädchennamen an. Ihre Meldekarte verzeichnet zahlreiche Wohnungswechsel in der Stadt; zeitweise wohnte sie bei ihren Eltern. 1930 wohnte sie mit ihrem Ehemann in einer Dreizimmerwohnung mit Küche in der Doventorstraße, die Miete betrug 38,50 RM, sein Monatsverdienst als Getreidehändler lag um 250 RM.
Durch ihre Heirat hatte sie die polnische Staatsangehörigkeit erworben und damit die deutsche verloren. Auf Betreiben ihres Mannes wurde das Ehepaar mit Tochter am 2.4.1931 wieder eingebürgert. Doch 1934 wurde die Einbürgerung für alle widerrufen, da sie als Ostjuden angesehen wurden und somit „art- und blutsfremd“ seien. Irma Hirschberg, die inzwischen geschieden war, wurde damit erneut zur Polin trotz ihrer deutschen Herkunft. Wenige Monate später gelang ihr die erneute Wiedereinbürgerung. Auch Leon Laufer wurde wieder eingebürgert, da er in Magdeburg geboren war und es Ausnahmeregelungen für Juden aus bestimmten „östlichen Ländern“ gab.
Im April 1937 trennte sie sich von Tochter Ilse, die vermutlich in ihrer geistigen Entwicklung zurückgeblieben war. Sie konnte sie in Hamburg in einem jüdischen Kinderheim unterbringen. Ab dem 14.7.1939 wechselte Ilse in das jüdische Kinderheim in Beelitz/ Brandenburg.
Das Beelitzer Kinderheim wurde 1908 zur Unterbringung, Erziehung und Ausbildung geistig zurückgebliebener, jedoch bildungsfähiger Kinder gegründet. Bis 1933 blieb es die einzige jüdische Einrichtung, die Hilfsschulkinder aufnahm; maximal 60 Plätze standen zur Verfügung. Ihr Leiter war bis zur Schließung Sally Bein. Die Central-Verein-Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 20.10.1938 über das 30jährige Bestehen der Einrichtung und hob hervor: „Das Erziehungsziel des Heims, die Kinder durch liebevolle Fortbildung von Geist und Körper der menschlichen Gemeinschaft ebenbürtiger zu machen, wird im gesamten Anwesen offenbar“.
Ab 1937 setzten insbesondere der Landrat in Belzig und der Bürgermeister in Beelitz alles daran, „dass das Judenheim als solches aus Beelitz verschwindet“. Die Kinder seien „wegen ihrer vollständigen geistigen Minderwertigkeit keinen Pfifferling mehr wert“, ihr Anblick sei für werdende Mütter eine „Gefahr“. Ihr Gesang, das „Plärren aus 50-60 Judenkehlen“, zerreiße den „stillwaltenden Zauber der Heimat“. Der Israelitische Gemeindebund als Grundstückseigentümer wehrte sich dennoch geschickt gegen den Versuch einer erpressten Veräußerung, zumal kein anderer Ort bereit war, die Einrichtung aufzunehmen. Erst mit der Umsetzung der „Endlösung der Judenfrage“ in Deutschland zeichnete sich das Ende des Heimes ab. Die Gestapo setzte nun den zwangsweisen Verkauf durch die Reichsvereinigung der Juden durch, damit die NSDAP dort eine BDM-Haushaltungsschule einrichten konnte. Sie sicherte die vorherige Räumung der Anstalt zu.
In Vorbereitung der Deportationen mussten für die Kinder Vermögenserklärungen abgegeben werden. Sally Bein füllte sie für seine Schützlinge aus und unterschrieb sie am 6.4.1942 in diesem Fall mit dem Zusatz „für die Heimschülerin Ilse Sara Laufer, die zur Ausfüllung des Fragebogens nicht befähigt ist. Der Unterhalt für die Heimschülerin Ilse Sara Laufer ist bisher von der Jüdischen Kultusvereinigung zu Berlin..., Wohlfahrts- und Jugendpflegestelle, gezahlt worden.“ Die noch vorhandene Akte endet mit dem behördlichen Vermerk von März 1943, dass keine verwertbaren Vermögensgegenstände festgestellt werden konnten. Zu diesem Zeitpunkt war Ilse Laufer bereits tot.
Am 14.4.1942 wurde die erste Gruppe mit 24 Kindern und Jugendlichen, zwei Erziehern, der Köchin und einer Kindesmutter zur Deportation zusammengefasst. Unter ihnen war auch die 15-jährige Ilse Laufer. Der 13. Berliner Transport mit insgesamt 940 Menschen erreichte am 16.4. das Ghetto Warschau. Dort verliert sich ihre Lebensspur.
Am 2.6.1942 wurde die zweite und letzte Gruppe mit 23 Kindern und mehreren Erwachsenen deportiert, unter ihnen der Leiter Sally Bein mit seiner Ehefrau und Tochter. Als Ziel des 14. Berliner Transports, dem die Gruppe aus Beelitz angeschlossen war, wurde Generalgouvernement angegeben. Das Gedenkbuch des Bundesarchivs führt Sobibór als Deportationsziel auf.
Im November 1939 zog Irma Hirschberg zu ihrer Mutter in den Warnkengang 7. Beide wechselten am 18.11.1939 in das Haus Warnkengang 9. Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurde Irma Hirschberg in das KZ Ravensbrück eingewiesen, über den Grund ihrer Internierung gibt es keine Hinweise. Von dort kam sie vermutlich im Rahmen einer „Säuberungsaktion“ in das Vernichtungslager Bernburg/Saale, wo sie am 18.3.1942 ermordet wurde.
Agnes Hirschberg wurde am 23.7.1942 zusammen mit den Bewohnern des jüdischen Altersheims nach Theresienstadt deportiert. Dort erlag sie nur wenige Monate später am 7.10.1942 den Entbehrungen.
Leon Laufer, der in zweiter Ehe mit einer Nichtjüdin verheiratet war, wurde am 6.9.1944 von der Gestapo verhaftet, weil er als Jude in einem öffentlichen Luftschutzbunker gesessen und damit einem „Arier“ den Platz weggenommen habe. Er wurde noch am selben Tag in das Arbeitserziehungslager Farge verbracht und am 22.12.1944 in das KZ Neuengamme überstellt. Sein Todestag ist nicht bekannt.
Peter Christoffersen (2015)
Informationsquellen:
StA Bremen 4,13/6-120 Nr. 33/1931, Einwohnermeldekartei, Akte 4,54-E996
Gedenkstätte Ravensbrück (Hg.): Gedenkbuch für die Opfer des Konzentrationslagers Ravensbrück 1939-1945, Berlin 2005
www.ravensbrueckblaetter.de/alt/archiv/115/10_115.html
www.holocaust.cz (Todesfallanzeige Agnes Hirschberg); Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Pr.Br.Rep.36A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg Nr. 4723)
Paetz, Andreas: Die Israelitische Erziehungsanstalt für geistig zurückgebliebene Kinder in Beelitz, in: Sieglind Ellger-Rüttgardt (Hrsg.): Verloren und Unvergessen, Weinheim 1996, S. 311–334
CVZ, Nr. 42 vom 20.10.1938 (in: Internetarchiv jüdischer Periodika - www.compactmemory. de)
www.statistik-des-holocaust.de (Transportlisten Berlin)
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Theresienstadt
Glossarbeitrag Ravensbrück