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Margin Oliver (Oliwer), geb. Jäger, *1879

deportiert 1942 nach Theresienstadt
ermordet 1944 in Auschwitz


Geestemünder Str. 22
Bremen-Walle


Geestemünder Str. 22 - Weitere Stolpersteine:


Margin Oliver (Oliwer)


Familienbiografie
Hersch Oliwer
Margin Oliwer

Hersch Oliwer – genannt Emsig– wurde am 21.6.1882 in Uniz (Russisch-Polen) geboren. Er war Kaufmann und führte einen Sackhandel und ein Textilwarengeschäft im Kauf­mannsmühlenkamp 5 (heute Daniel-von-Büren-Straße 54). Die Ehefrau Margin Oliwer wurde als Marym Jäger am 28.6.1879 in Sniatyn (Galizien) geboren. Marym ist vom aramäischen Miriam gleich Maria abgeleitet. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, die beide in Bremen geboren wurden: Lotte, geb. 20.10.1911, und Heinrich, geb. 9.3.1916.

Hersch Oliwer hatte die polnische Staatsangehörigkeit und wurde am 28.10.1938 im Zuge der Polenaktion nach Polen abgeschoben. Seine Ehefrau Margin war von der Abschie­bung nicht betroffen. Hersch Oliwer kehrte wie etliche der Abgeschobenen für kurze Zeit nach Bremen zurück, um das Geschäft auflösen zu können. Am 9. 9.1939 wurde er wegen des Kriegsbeginns am 1. September in „Schutzhaft“ genom­men und in das KZ Buchenwald eingeliefert, von dort im Oktober 1942 in das KZ Auschwitz überstellt. Er wurde am 16.11.1942 ermordet.

Nach Geschäfts- und Wohnungsaufgabe Kaufmannsmühlenkamp 5 musste Margin Oli­wer in das „Judenhaus“ Geestemünder Straße 22 einziehen. Am 23.7.1942 wurde sie in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Von dort kam sie am 23.10.1944 in das Vernich­tungslager Auschwitz-Birkenau und wurde ermordet.

Ursprünglich hatten Hersch und Margin Oliwer die Absicht, in die USA auszuwandern. Sie führten dieses Vorhaben aber nicht mehr aus, weil sie sich um ihren seit August 1936 inhaftierten Sohn Heinrich kümmern wollten. Die in den USA lebende Tochter Lotte hat­te bereits die erforderlichen finanziellen Mittel (Affidavit) bereitgestellt.

Die Tochter Lotte (nach Heirat Lotti Wolf ) war wohl im väterlichen Geschäft als Kontoris­tin tätig. Sie emigrierte am 12.9.1937 in die USA, wo sie unter schwierigen Bedingungen ein neues Leben beginnen konnte.

Der Sohn Heinrich Oliwer war von der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 an ein entschiedener Gegner des Nazi-Regimes und gehörte einer Widerstandsgruppe an. Die Gruppe wurde denunziert und am 3.8.1936 verhaftet. Ermittelt wurde damals ge­gen eine Gruppe von insgesamt 108 Leuten, darunter Heinrich Lührs, Klaus Bücking, Hermann Meyerhof, Berta Dannat, Lutz Bücking, Walter van Perlstein und andere. Die Zusammenkünfte waren illegal und bildeten den Beginn von Heinrichs „marxistischer Schulung“. Die der SPD und KPD nahestehende Gruppe traf sich nach dem Verbot bei­der Parteien unter konspirativen Umständen.

Über 18 Monate musste Heinrich unter härtesten Bedingungen im Zuchthaus Oslebs­hausen in Einzelhaft zubringen. Er wurde monatelang durch die Gestapo verhört. Auf seiner Häftlingskleidung war er mit einem „A“ als (politischer) Aktivist gekennzeichnet. Mit den politischen Häftlingen hatten die Vollzugsbeamten hart umzugehen.

Anfang 1938 fand der Prozess gegen Lührs u. a. statt. Heinrich Oliwer wurde wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu drei Jahren Zuchthaus unter Anrechnung der Un­tersuchungshaft verurteilt. Er musste seine Strafe im Zuchthaus Oslebshausen absitzen und wurde am 4.8.1939 entlassen. Kurz vor Kriegsbeginn (1. 9.1939) konnte er auf Ver­mittlung eines holländischen Freundes nach London flüchten. Seine Eltern sahen ihn zum letzten Mal auf einem Bahnsteig des Bremer Bahnhofs, bevor er den Frühzug nach London via Hoek van Holland bestieg. Ein letztes Telefonat mit den Eltern führte er von Holland aus: „Ich rief: ‚Ich bin frei!‘ Ich konnte es kaum glauben. ‚Schsch‘, sagten sie, ‚sei vorsichtig, was du sagst.“

Im Zweiten Weltkrieg diente Heinrich Oliwer, nun Henry Oliver, bei der Royal Air Force. Er heiratete 1941. Ein Jahr später wurde der Sohn Peter, nach Kriegsende wurden der Sohn Jonathan und die Tochter Cecilia geboren. Nach dem Militärdienst studierte er an der London School of Economics. Von 1947 bis 1981 nahm er leitende Funktionen im Management großer britischer Konzerne ein. 1967 heiratete er ein weiteres Mal. Er starb 1989.

Günter Kleinen (2015)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E1058, Einwohnermeldekartei
Rohdenburg/Sommer (Hrsg.): Erinnerungsbuch für die als Juden verfolgten Einwohner Bremens, Bremen 2006
Wollenberg, Jörg: Nazi-Jahre 1933-1939 - Erinnerungen von Henry Oliver, in: Arbeiterbewegung und Sozialgeschichte 21/22, 2008, S.19-46

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Polenaktion
Glossarbeitrag "Schutzhaft"
Glossarbeitrag "Judenhäuser"
Glossarbeitrag Theresienstadt
Glossarbeitrag Auschwitz