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Ilse Neugarten, *1936

deportiert 1941
ermordet in Minsk


Elsasser Str. 114
Bremen-Schwachhausen


Elsasser Str. 114 - Weitere Stolpersteine:


Ilse Neugarten


Familienbiografie
Melitta Neugarten, geb. Cohen
Ilse Neugarten

Melitta Neugarten kam am 10.8.1911 in Neustadtgödens zur Welt. Sie war die ältere Tochter von Heymann (Heimann) Cohen (geb. 1883 in Neustadtgödens) und Hedwig Cohen, geb. Levi (geb. 1883 in Nordhausen). Die jüngere Tochter Inge wurde am 26.4.1921 in Streek bei Varel geboren. Am 31.1.1935 heiratete Melitta Neugarten in Oldenburg den Viehhändler Siegfried Neugarten (geb. 16.3.1887 in Mengede/Dortmund). Das Ehepaar ließ sich in Zeven nieder. Hier wurde am 14.1.1936 Tochter Ilse geboren.

Mit seinem Bruder Erich betrieb Siegfried Neugarten das größte Viehhandelsgeschäft am Ort und eine Schlachterei (Freibank) in der Langen Straße 32/Ecke Kirchhofsallee. Familie Neugarten war angesehen und die Brüder hatten einen guten Ruf als Geschäftspartner. Im Zevener Schützenverein war Siegfried Neugarten aktives Mitglied. Im Jahr 1935 wurde ihm die Konzession für den Schlachtbetrieb entzogen. Das Gewerbe wurde per 31.10.1937 abgemeldet.

Die Brüder Neugarten unterstützten die Einrichtung eines Synagogenraumes. Erich Neugarten stellte das Wohnzimmer seines Hauses zur Verfügung, und Siegfried Neugarten stiftete Geld für die Ausstattung. Am 28.2.1937 fand die feierliche Einweihung dieses Betsaales statt. In der Reichspogromnacht 1938 wurde er zerstört.

Siegfried Neugarten wurde am 13.9.1937 wegen „Rassenschande“ festgenommen. Offenbar war er denunziert worden, eine sexuelle Beziehung zu einer „arischen“ Frau zu haben, was seit Erlass der Nürnberger Gesetze strafbar war.

Zunächst wurde er in Zeven verhört und von der Gestapo nach Wesermünde gebracht. Dort legte er – unter Umständen, die nicht zu ermitteln sind – ein Geständnis ab und wurde in das Gerichtsgefängnis in Bremervörde eingewiesen. Das zuständige Landgericht Stade verurteilte ihn zu drei Jahren Haft, die er im Zuchthaus Hameln verbüßen musste. Am 30.1.1941 wurde er nach Wesermünde entlassen. Seine Pläne, nach Haiti auszuwandern, hatten sich inzwischen zerschlagen.

Über die Ereignisse nach seiner Entlassung ist wenig bekannt. Belegt ist lediglich, dass im November 1941 sein Konto bei der Sparkasse Zeven gelöscht wurde. Er wurde in das Ghetto Minsk deportiert, wo er von einem Soldaten aus Zeven angeblich gesehen wurde. Ob die Deportation am 18.11.1941 war, oder zu einem anderen Zeitpunkt, ist unklar. Siegfried Neugarten wurde ermordet.

Vor dem Hintergrund der Verhaftung von Siegfried Neugarten – in der örtlichen Zeitung wurde darüber berichtet – und schwieriger Lebensbedingungen zogen Melitta und Ilse Neugarten am 22.4.1938 von Zeven nach Oldenburg um, wo Melittas Eltern Hedwig und Heymann Cohen seit 1927 lebten. Im Zuge der Judenvertreibung aus Oldenburg mussten sowohl Melitta und Ilse Neugarten als auch die Eltern Cohen im März 1940 die Wohnung in der Donnerschweer Straße 120 wieder verlassen. Diese Anordnung betraf auch Melittas Schwester Inge, verheiratete Rosenbach (genannt Parnes) und deren Ehemann Julius Rosenbach (Parnes, geb. 1913 in Altenburg/ Thüringen). Die sechs Familienmitglieder zogen von Oldenburg nach Bremen, wo sie seit dem 26.3.1940 in der Faulenstraße 26/28 gemeldet waren. Nach nur wenigen Monaten, am 31.12.1940, waren das Ehepaar Cohen sowie Melitta und Ilse Neugarten gezwungen, in das „Judenhaus“ Elsasser Straße 114 umzuziehen.

Das Ehepaar Rosenbach (Parnes) musste, nach einem kurzen Zwischenaufenthalt im „Judenhaus“ Wilhelmshavener Straße 3 (heute Hauffstraße 2), ebenfalls im „Judenhaus“ Elsasser Straße 114 auf engstem Raum leben.

Melitta und Ilse Neugarten wurden – gemeinsam mit den Ehepaaren Cohen und Rosenbach (Parnes) sowie den anderen Bewohnern des „Judenhauses“ Elsasser Straße 114 am 18.11.1941 in das Ghetto Minsk deportiert. Sie wurden ermordet: Sofern sie nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto erlagen, fielen sie einer der Massenmordaktionen zum Opfer, die Ende Juli 1942 begannen.

Die Namen Siegfried, Melitta und Ilse Neugarten sind auf einem Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof in Zeven aufgeführt. Siegfrieds Bruder Erich veröffentlichte am 15.2.1946 in der deutsch-jüdischen Zeitung „Aufbau“ (New York) eine Todesanzeige für die ermordeten Mitglieder der Familie Neugarten. Für Inge und Julius Rosenbach (Parnes) wurden Stolpersteine in Bremen, Hauffstraße 2 verlegt.

Barbara Ebeling (2017)

Informationsquellen:
StA Bremen Einwohnermeldekartei
Obenaus, Herbert (Hrsg.): Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Göttingen 2005, S.1601 ff.
Paulsen, Jörg: Erinnerungsbuch, Ein Verzeichnis der von der nationalsozialistischen Judenverfolgung betroffenen Einwohner der Stadt Oldenburg, Bremen 2001
www.kivian.de/Projektseiten/juedisches_leben/webroot/index.php?go=themen_familie_siegfried_neugarten
www.GedenkstättenvereinSandbostel.de: Volland, Klaus „vertrieben-deportiert-ermordet“, Vortrag vom 19.5.2011
Sperling, Ronald: Die jüdische Gemeinde in Zeven, Vortrag vom Januar 2011
www.wikipedia.org/wiki/Jüdischer Friedhof_(Zeven)
www.gelderblom-hameln.de-zuchthaus
www.its-arolsen-org.
Staatsanwaltschaft Stade, Auskunft vom 20.10.2016

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Judenvertreibung Ostfriesland / Oldenburg
Glossarbeitrag Rassengesetzgebung
Glossarbeitrag Minsk