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Anneliese Etzold, *1921

eingeweisen in die "Heilanstalt" Uchtspringe
tot 7.7.1943


Luisental 5/ neben Einfahrt Seniorenresidenz
Bremen-Horn-Lehe


Luisental 5/ neben Einfahrt Seniorenresidenz - Weitere Stolpersteine:


Anneliese Etzold

Anneliese Etzold

AAnneliese Etzold kam am 4.8.1921 als fünftes von sechs Kindern eines Schlossers und seiner Ehefrau im Bremer Stadtteil Walle zur Welt. Nach Angaben ihrer Mutter war Anneliese infolge einer Gehirnhautentzündung seit ihrem zweiten Lebensjahr geistig behindert und konnte kaum hören. Zwei Tage vor Heiligabend wurde die Sechsjährige 1927 im Haus Reddersen aufgenommen.

Anneliese war gerade 13 Jahre alt, als das Erbgesundheitsgericht ein Verfahren gegen sie einleitete. Obwohl sich der gutachtende Arzt und der Vater des jungen Mädchens gegen die frühe Durchführung der eingreifenden Operation stellten, erfolgte ihre Verurteilung durch das Erbgesundheitsgericht und Anfang Oktober 1935 ihre Einweisung in die Frauenklinik. Hier bat der zuständige Arzt um Aussetzung der Operation, da sich die Patientin in „äusserst dürftigem Ernährungs- und Allgemeinzustand“ befände. Erfahrungsgemäß sei die Gefahr einer „postoperativen Pneumonie“ gegeben. Da zu diesem Zeitpunkt mindestens fünfzehn Bremerinnen an den Operationsfolgen gestorben waren, lenkte der zuständige Amtsarzt ein und bat das Erbgesundheitsgericht, den Beschluss auszusetzen. Doch schließlich wurde auch sie zwangssterilisiert.

Als die NS-Gesundheitsbehörde das Haus Reddersen mit Beginn des Zweiten Weltkriegs auflöste, gehörte Anneliese zu den 74 „Reddersen-Kindern“, die in die Bremer Nervenklinik gebracht wurden. Während man die Jugendlichen in der „Pflege- und Erziehungsanstalt“ im Rahmen ihrer Möglichkeiten gefördert hatte, wurden sie in der Nervenklinik nach dem Grad ihres Pflegeaufwandes und ihrer Arbeitsfähigkeit beurteilt. Der Eintrag auf ihrem „Meldebogen“, auf dessen Grundlage die Organisatoren der Krankenmordaktion („Aktion T4“) 1940/1941 über Leben und Tod von mehr als 70.000 Psychiatriepatienten entschieden hatten, kam einem Todesurteil gleich: „Hauptsymptome: Vollkommener Ausfall der intellektuellen und moralischen Fähigkeiten“, schrieb der zuständige Arzt im Februar 1941. „Art der Beschäftigung: Arbeitet nicht, weil vollkommen verblödet.“ Es ist vielfach belegt, dass in der Bremer Nervenklinik Patienten, die nicht arbeiten konnten, schlechter versorgt wurden als arbeitsfähige. Laut überlieferter Gewichtskurve wog die junge Frau bei ihrer Aufnahme 45kg, zwei Jahre später nur noch 34 kg. Der Hinweis Anneliese Etzold, um 1935in ihrer Krankenakte, dass sie den „anderen Kranken das Brot“ stehle, ist durchaus nachvollziehbar als Reaktion auf die mangelhafte Ernährungssituation.

Am 26.8.1942 brachte man Anneliese Etzold zusammen mit 39 weiteren „Langzeitpatientinnen“ in die Landesheilanstalt Uchtspringe bei Stendal. Sie starb in Uchtspringe am 7.7.1943 kurz vor ihrem 22. Geburtstag. Die offizielle Todesursache lautete „Darmtuberkulose“. In Uchtspringe wurde vor allem durch Medikamentenüberdosierungen und Nahrungsentzug gemordet. Angesichts der dort herrschenden katastrophalen Zustände resümierte ein wissenschaftlicher Beitrag „Wir müssen also davon ausgehen, dass in Uchtspringe zu der Methode des medikamentösen Tötens die des Sterbenlassens hinzutrat.“

Gerda Engelbracht (2017)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,130-2, 1935/472, Akte des Erbgesundheitsgerichts
Archiv Klinikum Bremen-Ost, Krankenakte
Archiv Fachklinikum Uchtspringe, Krankenakte
Engelbracht, Gerda: Erinnerungsbuch für die Opfer der NS-Medizinverbrechen in Bremen, Bremen 2016
Roer, Dorothee: Psychiatrie in Deutschland 1933-1945. Ihr Beitrag zur „Endlösung der sozialen Frage“, am Beispiel der Heilanstalt Uchtspringe. In: Psychiatrie & Gesellschaftskritik 16, Heft 2, 1992
Synder, Kriemhild: Die Landesheilanstalt Uchtspringe und ihre Verstrickung in nationalsozialistische Verbrechen. In: Hoffmann, Ute (Hg.), Psychiatrie des Todes. NS-Zwangssterilisation und „Euthanasie“ im Freistaat Anhalt und in der Provinz Sachsen, Magdeburg 2001

Abbildungsnachweis: Privatbesitz

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Euthanasie" / Zwangssterilisation
Glossarbeitrag Haus Reddersen