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Sophie Kramer, geb. Glauber, *1891

ausgewiesen 1938 nach Polen
für tot erklärt


Westerstr. 28
Bremen-Neustadt


Westerstr. 28 - Weitere Stolpersteine:


Sophie Kramer


Familienbiografie
Sophie Kramer, geb. Glauber
Frieda Kramer
Marie Kramer

Sosie Kramer (genannt Sophie) wurde am 22.3.1891 in Lachowce/Galizien geboren. Sie war die Tochter von Mailech Glauber und seiner Frau Sara, geb. Salpeter. Sie kam 1920 über Hannover nach Bremen und heiratete am 9.5.1922 Zallel Kramer, genannt Erdstein. Das Ehepaar hatte vier Töchter: Feige (gen. Fanny, geb.1912), Sophie Jette (geb. 1920), Frieda (geb. 16.5.1922) und Marie (geb. 9.11.1924), von denen Fanny noch in Galizien geboren worden war, die anderen in Bremen. Alle besaßen die polnische Staatsangehörigkeit.

Bis zu seiner Trennung 1930/1931 führte das Ehepaar zuerst in der Albrechtstraße und später in der Westerstraße 28 gemeinsam einen sehr erfolgreichen Rohproduktenhandel. Der Betrieb hatte mehrere Angestellte. Nach der Trennung führte Sophie Kramer in der Westerstraße allein den Rohprodukten- und Kleinhandel mit Edelmetallen fort, den sie am 13.4.1931 für sich angemeldet hatte. 15-18 Kleinhändler und Straßensammler belieferten sie regelmäßig mit Metallen und Rohprodukten. Auf dem Grundstück in der Westerstraße befand sich ein größerer Lagerplatz, auf dem mindestens drei Arbeiter beschäftigt waren. Zur Firma gehörte auch ein Lieferwagen. Ihr Betrieb war 1935 in der Boykottliste der Kreisleitung der NSDAP aufgeführt. Spätestens ab 1937 muss ihr Geschäft rückläufig gewesen sein, da die Fachgruppe der Rohproduktenhändler ihre Mitglieder anwies, mit jüdischen Unternehmern keinen Handel mehr zu betreiben. Im Mai 1938 meldete sie ihr Gewerbe ab. Sie plante, "in nächster Zeit" auszuwandern.

Von Tochter Frieda ist bekannt, dass sie ab 1928 die Schule besuchte, zuletzt das Janson-Lyzeum in der Violenstraße. Nachdem ihre Schwester Jette 1938 aus Frankreich zurückgekehrt war, besuchten beide, um die Zeit bis zur geplanten Auswanderung zu überbrücken, Frischens Privathandelsschule in der Bredenstraße. Die Mutter verfügte über die erforderlichen Mittel, die Mädchen zeigten gute Leistungen und sollten das Abitur ablegen.

Unerwartet wurde Sophie Kramer als polnische Staatsangehörige am 28.10.1938 im Rahmen der Polenaktion (siehe Glossar) aus dem Deutschen Reich ausgewiesen. Sie befand sich im Kino und wurde daraus von der Polizei abgeführt. Außer einem Koffer durfte nichts mitgenommen werden. Auch ihre beiden Töchter Frieda und Marie sowie ihr getrennt lebender Mann Zallel Kramer wurden nach Polen abgeschoben. Die Wohnungen wurden bei allen Ausgewiesenen zunächst versiegelt.

Die Frauen zogen zu ihren Verwandten (Schwester von Sophie) nach Stanislawow (1938 Polen, heute Ukraine). Sophies früherer Ehemann Zallel kehrte in seinen Geburtsort Kalusz zurück, der von Stanislawow 30 Kilometer entfernt lag. Später zog auch er in das Haus seiner Schwägerin in Stanis-lawow. Versuche der Verwandten, das Ehepaar wieder zusammenzubringen, scheiterten.

Im Juli 1939 erhielt Sophie Kramer eine Einreiseerlaubnis für das Deutsche Reich mit Aufenthalts-erlaubnis für fünf Wochen in Bremen. Zahlreiche Ausgewiesene nutzten diese Möglichkeit, um ihren Besitz am bisherigen Wohnort zu verkaufen bzw. Möbel und Hausstand nach Polen zu überführen. Ihre in die USA ausgewanderten Kinder warnten die Mutter jedoch vor einer Rückkehr nach Deutschland, woraufhin sie den Einreisesichtvermerk verfallen ließ. Aus diesem Grunde baten die Kinder das US-Konsulat in Hamburg, die ihnen zugesandten USA-Einreisepapiere für ihre Mutter und Schwestern an das Konsulat nach Warschau weiterzuleiten. Durch die Besetzung Polens wurde vermutlich diese Fluchtmöglichkeit zunichte gemacht.

Das sich im gemeinsamen Besitz der Eheleute befindliche Grundstück in der Westerstraße 28 war mit Hypotheken belegt, die nach der Ausweisung des Ehepaares Kramer nicht mehr bedient wurden. Daraufhin beantragten Gläubiger die Zwangsversteigerung des Grundstückes. Sophie Kramer versuchte dies mit einem Brief vom 11.8.1939 aus Stanislawow zu verhindern, indem sie auf die Unmöglichkeit der Zahlung wegen der zwangsweisen Ausweisung hinwies. Der Rechtsanwalt einer Hypothekengläubigerin wies diese Einlassung am 15.2.1940 mit der Begründung zurück:

"[...]wird bemerkt, dass die Schuldner Juden sind und es im Interesse des deutschen Volkes liegt, dass grundsätzlich jüdischer Grundbesitz in arische Hände überführt wird. Es kommt weiter in Betracht, dass die Schuldner Polen und damit feindliche Ausländer sind, auf welche die deutschen Vollstreckungsschutzbestimmungen keine Anwendung finden dürfen."

Die Zwangsversteigerung fand am 24.9.1940 statt und ergab einen Erlös von 37.500 RM für das Grundstück. Das entsprach der Summe der Steuer- und Hypothekenschulden.

Die Behörden hatten dem Erwerber zur Auflage gemacht: "Den im Hause Westerstraße 28 wohnenden Juden muss der bisher bewohnte Wohnraum erhalten bleiben." In das durch Emigration und Ausweisung teilweise unbewohnte Haus waren nach der Räumung andere jüdische Bewohner eingewiesen worden. Es wurde von den Behörden als "Judenhaus" genutzt. Das Anwesen wurde 1944 bei einem Bombenangriff vollständig zerstört.

Der Neffe Zallel Kramers, Josef Seif, berichtete später nach seiner Emigration in die USA, dass sich für ihn die Spuren von Sophie und Zallel Kramer sowie deren Töchtern Frieda und Marie Ende 1942 verloren hatten, als er selbst nach Russland hatte flüchten müssen. Als er Ende 1945 nach Stanislawow zurückkehrte, fand er niemanden aus seiner Familie mehr vor.

Am 12.10.1941 gab es in Stanislawow eine Massenerschießung, deren Opfer etwa 10.000 Juden wurden. Im Februar/Mai 1943 wurden mit der Auflösung des Ghettos über 11.000 Juden erschossen. Als die Stadt im Juli 1944 befreit wurde, lebten von vormals mehr als 40.000 Juden nur noch 100 in der Stadt.
Die Tochter Fanny betrieb in der Westerstraße ein Geschäft mit Öfen und Herden sowie einen entsprechenden Reparaturbetrieb. Sie heiratete 1935 Philipp Goldstein (geb. 1908). Im August 1938 konnten beide in die USA emigrieren. Die Tochter Jette musste ihren Schulbesuch im April 1937 abbrechen und verbrachte ein knappes Jahr in Belfort an einer Privatschule, um Französisch zu lernen. Die erwünschte Ausbildung zur Auslandskorrespondentin konnte sie nach ihrer Rückkehr nach Bremen nicht fortsetzen. Sie emigrierte gleichfalls im August 1938 in die USA und heiratete dort David Weintraub.

Peter Christoffersen (2020)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E4289, 4,54-E10257, 4,54-E10258, 4,54-E10529, 4,54-E11884, 4,54-E11887, 4,54-E10914, 4,54-Ra2057, 4,54-Ra2154, 4,54-Rü6249, 4,54-Rü6250, 4,54-Rü6251, 4,75/12-2166, Einwohnermeldekartei

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Polenaktion"
Glossarbeitrag "Arisierung"