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Sophie Flamm, *1915

ausgewiesen 1938 nach Polen
Schicksal unbekannt


Hastedter Heerstr. 407
Bremen-Hemelingen
ehemalige Straßenbezeichnung: Hastedter Heerstr. 481


Hastedter Heerstr. 407 - Weitere Stolpersteine:


Sophie Flamm

Sophie Flamm

Familienbiografie
Juda Flamm
Rifka-Laja Flamm, geb. Wandstein
Hanni Flamm
Sophie Flamm
Isidor Flamm
Netti Flamm
Charlotte Flamm

Abraham Juda Flamm war am 9.8.1877 in Jastkowice (Ostga-
lizien/Polen) unehelich als Sohn von Hanna Flamm geboren
worden. Er kam aus dem Karpatenvorland über Hannover um
1900 nach Sebaldsbrück und lebte zunächst in der Sebalds-
brücker Heerstraße 89, wo bereits die galizischen Familien
Singer und Wiener wohnten. Er gehörte der ostjüdischen Ge-
meinde in Sebaldsbrück an, bei deren Gottesdiensten er das
Amt des Schliach Zibbur (Vorsänger) ausübte. Max Markreich
(bis 1938 Vorsteher der Israelitischen Gemeinde Bremen) be-
zeichnete ihn als begnadeten Sänger.

Durch Vermittlung eines Schadchens (Heiratsvermittler)
heiratete er am 8.3.1908 in Leipzig Rifka-Laja (gen. Regina)
Wandstein. Sie wurde am 13.5.1884 in Wisnicz (Westgalizien/Polen) als Tochter von Mo-
ses Wandstein und seiner Ehefrau Sarah, geb. Seelenfreund, geboren. Ab 1904/1905
lebte sie in Leipzig, wo sie als Schirmnäherin arbeitete. Aus der Ehe gingen zehn Kinder
hervor. Die jüngste Tochter Minna starb im Kindesalter (1923-1928) an Diphtherie und
wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Hastedt beigesetzt.

Juda Flamm sammelte mit Pferd und Wagen Altgummi, unedle Metalle und Schrott. Er
tat dies offenbar mit so viel Erfolg, dass er 1920 das Grundstück Hastedter Heerstraße
481 (heute 407) erwerben und seinen Handel dorthin verlegen konnte. Er meldete 1920
einen Produktenhandel und 1922 zusätzlich den Handel mit Säcken an. Gelegentlich wur-
de er wegen Verstoßes gegen die Gewerbeordnung zu kleineren Geldbußen verurteilt,
u.a. wegen Schwarzhandels mit Eiern und Butter.

Ab 1933 wurde Juda Flamm rasch Opfer von Verfolgung und Ausgrenzung. Carl Katz
(Vorsteher der Israelitischen Gemeinde Bremen nach dem Krieg) führte dies auf sein
Aussehen zurück, das in manchem dem von der Nazipropaganda verbreiteten Klischee
über „den Juden“ entsprach. Er musste Anfeindungen erdulden und feststellen, dass
sich viele Kunden abwandten; schließlich kam 1937 sein Handel gänzlich zum Erliegen.

In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die Wohnung der
Familie Flamm völlig zerstört. Siegmund Flamm:
"Ich kann mich noch genau darauf besinnen, dass die Wohnung meiner Eltern in der berüch-
tigten Novembernacht von SA und SS-Leuten zerstört wurde. Sie brachen am frühen Morgen
des 10. November 1938 in unsere Wohnung ein und nahmen meinen Vater mit; er kehrte erst
abends wieder zurück. Dann zerschlugen sie unsere ganze Wohnung mit Äxten und Beilen."
Und eine Nachbarin berichtete nach dem Krieg: „Am 10.11.1938 hörten wir einen fürch-
terlichen Lärm. Wie sich nachher herausstellte, hatten dort die SS-Leute gehaust. Die
Gardinen hingen zerrissen vor den Fenstern, die Beleuchtungskörper waren herausge-
rissen, die Möbel rausgeworfen.“ Zwei weitere unmittelbare Nachbarn hatten 1963 bei
Nachfragen erhebliche Erinnerungslücken und wussten nichts mehr. Einer von ihnen:
„Kann Ihnen leider keine Auskunft über die Sachen des Juden Flamm mitteilen.“

Juda Flamm ist fälschlicherweise auf der Liste der am 10.11.1938 verhafteten und an-
derntags in das KZ Sachsenhausen deportierten Männer aufgeführt. Wie sein Sohn
Siegmund eidesstattlich aussagte, kam er bereits am Abend wieder zurück.

Vermutlich führten die sich verschlechternden wirtschaftlichen Verhältnisse dazu, dass
Juda Flamm die Hypotheken auf seinem Haus nicht mehr regelmäßig bedienen konnte.
1933, 1935 und 1937 wurden Zwangsversteigerungen angeordnet, konnten aber abge-
wendet werden. Am 8.6.1939 verkaufte er schließlich das zweistöckige Wohnhaus an ei-
nen Maurermeister. Mit dem Verkaufserlös konnte er die Hypotheken abzahlen, der Rest
von 3.350 RM musste auf ein Sperrkonto eingezahlt werden. Daraufhin will der Käufer
ihm angeblich „unter der Hand“ noch 1.000 RM gegeben haben.

In einem Schreiben an den zuständigen Senator vom 13.6.1939 bat Flamm um schnellst-
mögliche Genehmigung des Kaufvertrages, „da ich in aller Kürze Deutschland verlas-
sen muss“. Sein Notar ergänzte: „Nach einem mir vorgelegten Ausweisungsbefehl muss
Flamm bis spätestens 10.7.1939 das Deutsche Reichsgebiet verlassen haben.“ Die Mit-
glieder der Familie Flamm waren als polnische Staatsangehörige, mit Ausnahme von
zwei Kindern, von der „Polenaktion“ (27./28.10.1938) aus nicht bekannten Gründen ver-
schont geblieben.

Kurz nach Kriegsbeginn ordnete Reinhard Heydrich (Leiter Reichssicherheitshauptamt)
an, die noch in Deutschland verbliebenen männlichen „polnischen“ Juden zu verhaften.
Daraufhin wurde Juda Flamm – wie auch andere polnische Staatsangehörige in Bremen –
am 9.9.1939 in „Schutzhaft“ genommen und am 20.10.1939 in das KZ Buchenwald (lt.
Transportliste als Invalide) eingewiesen. Er erhielt die Häftlingsnummer 10490/3373.

Am 24.10.1940 wurde er in das KZ Dachau überstellt, wo er am 26.5.1941 angeblich an
„Versagen von Herz und Kreislauf“ verstarb. Seiner Ehefrau wurde die Urne zugesandt,
sie bestattete ihn auf dem Jüdischen Friedhof in Hastedt. Rifka-Laja Flamm musste
am 26.9.1939 das zwangsweise verkaufte Haus in der Hastedter Heerstraße verlassen
und fand im „Judenhaus“ im Kaufmannsmühlenkamp 5 (heute Daniel-von-Büren-Straße 54)
Unterkunft. Ihr Sohn Siegmund beschrieb sie als „sehr feine Frau, gut, religiös
und sehr gutmütig“. Mit ihr zogen auch ihre Töchter Hanni und Charlotte und ab September
1939 auch Netti in den Kaufmannsmühlenkamp.

Tochter Frieda Hanni Flamm (geb. 18.7.1912 in Bremen) war als Haushaltsgehilfin tätig
und von 1933 bis zum Sommer 1938 ununterbrochen in Stellung. Stationen waren
Cuxhaven und Leipzig. Seit Sommer 1939 lebte sie wieder in Bremen. Vom 12.8.1940 bis zum
24.11.1941 wurden erneut Beiträge zur Rentenversicherung abgeführt. Vermutlich arbeitete
sie in der Zeit im Jüdischen Altersheim in Gröpelingen, da dessen Anschrift als ihr letzter
Wohnsitz angegeben ist.

Netti Flamm (geb. 14.10.1919 in Bremen) war gleichfalls als Haushaltsgehilfin tätig. 1935
arbeitete sie einige Monate bei der jüdischen Familie Lustgarten, als deren Tochter Edith
geboren wurde. Von April 1936 bis Februar 1939 lebte sie in Hamburg und war dort bis
April 1938 beschäftigt. In der Zeit vom 13.6.41 bis 24.11.1941 wurden wieder Sozialver-
sicherungsbeiträge abgeführt, die Arbeitsstätte ist nicht genannt.

Charlotte Flamm (geb. 10.7.1921 in Bremen) war ebenfalls als Haushaltsgehilfin tätig.
Sie war vom 5.3.1939 bis zum 17.11.1941 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Auch
ihr Wohnsitz war ab Januar 1940 das Jüdische Altersheim.

Rifka-Laja Flamm und ihre Töchter Hanni, Netti und Charlotte wurden am 18.11.1941 in
das Ghetto Minsk deportiert. Dort wurden sie ermordet: Sofern sie nicht den unmensch-
lichen Lebensbedingungen im Ghetto erlagen, fielen sie einer der Massenmordaktionen,
die Ende Juli 1942 begannen, zum Opfer.

Die Schicksale der weiteren Kinder:

Sophie Flamm (geb. 1.9.1915 in Bremen) besuchte neben der öffentlichen Schule
die Religionsschule der Israelitischen Gemeinde Bremen. Zum Ende des Schuljahres
1929/30 wurde sie als „fleißige Schülerin“ der Klasse V prämiert. Sie war ab 1931 als
Haushaltsgehilfin beim Großhandelskaufmann Alfred Grünberg (Kohlhökerstraße 6)
bis kurz vor dessen Auswanderung 1938 beschäftigt und wohnhaft. Am 27./28.10.1938
wurde sie verhaftet und in einer Gruppe von über 80 Deportierten in Fraustadt/Oberschlesien
über die Grenze nach Polen abgeschoben („Polenaktion“). Sie lebte anschließend in Krakau,
wo sie als Pflegerin registriert war. Vom 24.7.1939 bis 23.8.1939 erhielt sie
eine Aufenthaltserlaubnis, um nach Bremen zurückkehren zu können. Ihre Bemühungen, vom
amerikanischen Konsulat in Hamburg eine Einwanderungsgenehmigung zu bekommen,
schlugen fehl. Am 7.9.1939 erteilte ihr die Gestapo erneut ein Aufenthalts-
verbot für das Reichsgebiet, und sie musste in das nun besetzte Polen zurückkehren.
Danach verliert sich ihre Lebensspur.

Isidor Flamm (geb. 3.1.1918 in Bremen) feierte am 10.1.1931 seine Bar Mizwa, wie im
Jüdischen Gemeindeblatt bekanntgegeben wurde. Als Ausländer mit polnischer Staats-
angehörigkeit wurde er von der Polizeibehörde ständig überwacht. So verzeichnete sei-
ne Polizeiakte, dass er am 13.9.1934, aus Urfeld bei Köln kommend, wieder zu seinen
Eltern zog. Angeblich wollte er eine Lehrstelle als Schuster antreten. Das zerschlug sich
vermutlich, da er dann bei seinem Vater arbeitete, bis er ab dem 3.1.1936 bei dem Roh-
produktenhändler Beiser eine Stelle bekam. Nach seiner Versicherungskarte hat er bis
April 1938 Beiträge abgeführt. Wie seine Schwester Sophie wurde er am 27./28.10.1938
nach Polen ausgewiesen. Dort verliert sich seine Lebensspur.

Samuel (Schmuel) Flamm (geb. 1909 in Bremen) ging 1928 für neun Monate nach Berlin, um
dort Arbeit in seinem Beruf als Kürschner zu suchen. Da er als staatenlos galt, erhielt
er für Berlin keine Aufenthaltsgenehmigung. Er versuchte dann nach Bremen zurückzukehren,
aber auch hier verweigerte man ihm eine Aufenthaltsgenehmigung. Durch den Einsatz des damaligen
Rabbiners Dr.Felix Aber wurde ihm schließlich der Aufenthalt wieder bewilligt. 1931 gründete er
ein Sackgeschäft. Am 29.6.1934 verließ er Bremen, um nach Hamburg-Blankenese zu ziehen. In der
dortigen Hachschara-Ausbildungsstätte, wo er die Hamburgerin Else Cibulski kennenlernte, bereitete
er sich auf seine Emigration nach Palästina vor. Das Paar heiratete 1936 und verließ Deutschland
am Tag nach der Eheschließung. In Palästina lebten sie zunächst in einem Kibbuz und zogen später
nach Netanya, wo sie einen Gemüsehandel betrieben. Aus der Ehe gingen drei Söhne hervor.

Jacob Flamm (geb. 1914 in Bremen) absolvierte nach der Volksschule eine Ausbildung
in einer Jutesackgroßhandlung und war von 1932 bis 1938 Inhaber eines eigenen Sack-
geschäfts unter der Adresse seines Vaters. Er hatte sich ab 1933 alle drei Monate bei der
Gestapo zu melden. 1935 wurde er von zwei Brüdern aus der Nachbarschaft, die der SS
angehört haben sollen, brutal zusammengeschlagen. Spätere Beeinträchtigungen sei-
nes Hör- und Sehvermögens führte er auf diese Tat zurück. Am 15.10.1938 wanderte er
in die USA aus. Aus Hamburg kommend traf er am 27.10.1938 mit der „St. Louis“ in New
York ein. Er heiratete 1963 und hatte einen Sohn. Am 26.7.1972 verstarb er in Atlanta.
Max Flamm (geb. 1911 in Bremen) konnte durch Vermittlung des Rabbiners Dr. Leopold
Rosenak auf Schiffen mit koscherer Küche arbeiten. 1929 tauchte er in den USA nach
vermutlich illegaler Einreise unter. Er starb am 28.7.1943 in New York bei einer Kesselex-
plosion in einer Farbenfabrik. Er war mit Hannah Frieda Emmer verheiratet. Ihre gemein-
same Tochter wurde nach seinem Tod am 25.10.1943 geboren und erhielt den Namen
Maxine.

Siegmund Flamm (geb. 1923 in Bremen) konnte seine Schulausbildung nicht beenden; auch seine
Versuche, eine Handelsschule zu besuchen, scheiterten an der herrschenden Ausgrenzung
der Juden. Er fand schließlich eine Stelle in einem Abbruchunternehmen. Am 1.9.1939 wurde
er verhaftet und wie sein Vater am 9.9.1939 – im Alter von 16 Jahren – in das KZ Buchen-
wald deportiert. Hier hatte er Schwerstarbeit im Steinbruch zu leisten. Nach zwei Jahren
hatte er das Glück, als Maurer eingesetzt zu werden. Am 11.4.1945 erlebte er seine Befreiung durch
US-amerikanische Truppen. Er gehörte dann einer Gruppe von ehemaligen KZ-Häftlingen an, die
Beweise über Morde während des Evakuierungsmarsches vom 7.4.1945 zusammentrugen und
nach verscharrten Leichen suchten. Nach seiner Rückkehr lebte er kurze Zeit in Hamburg, wo er
zeitweise dem Alkohol verfiel. Anschließend zog er dann zur Ehefrau seines Onkels Samuel Wandstein
(ermordet in Polen), die in Bremen lebte. Anscheinend hatte er keine Informationen über den
Verbleib seiner Familie, denn am 15.6.und 21.9.1945 gab er in der deutsch-jüdischen Zeitung
Der Aufbau in New York jeweils eine Anzeige auf, in der er nach seinen Geschwistern suchte. Sie
erschienen unter der Rubrik „Das erste Lebenszeichen“ und „Juden aus Buchenwald suchen“. 1946
emigrierte er in die USA und zog 1952 nach Miami, wo er als Goldschmied arbeitete. Er heiratete
nach jüdischer Sitte die Witwe seines verstorbenen Bruders Max. Er verstarb am 4.2.1973.

Wien 1991
Ein Bremer Ehepaar wurde in Wien auf der Straße angesprochen. Schmuel (Samuel)
Flamm und seine Frau Else, auch auf Urlaub in der Donaumetropole, waren auf die
norddeutsche Sprachfärbung der beiden aufmerksam geworden. Es stellte sich später
heraus, dass eine von Flamms Schwestern mit der Mutter des Bremer Ehemannes zu-
sammen in Hastedt zur Schule gegangen war. Die Ehepaare befreundeten sich. Schmuel
Flamm: „Sie haben mir den Glauben an die Deutschen wiedergegeben.“

Peter Christoffersen (2023)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E10573; 4,54-E10474; 4,54-E11143; 4,54-E9233; 4,54-Ra 2025; 4,13/1-R1.f Nr.123; Einwohnermeldekartei
Timm, Angelika et al.: Hastedt, Band 4, Bremen 1990, S. 259
Dünzelmann, Anne E.: Juden in Hastedt, Bremen 1995, S. 138-141
Markreich, Max: Geschichte der Juden in Bremen und Umgegend, Bremen 2009, S. 214
Jüdisches Gemeindeblatt 7/1930
Gedenkstätte Buchenwald (Hrsg.): Konzentrationslager Buchenwald 1937-1945, Göttingen 1999, S. 229
Der Aufbau 1945, New York (Leo-Baeck-Institut); Bericht Marita Meyer, geb. Müller

Abbildungsnachweis: Privatbesitz

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Ostjüdische Gemeinde
Glossarbeitrag Novemberpogrom
Glossarbeitrag "Schutzhaft"
Glossarbeitrag "Judenhäuser"
Glossarbeitrag "Polenaktion"
Glossarbeitrag Minsk