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Max Nadel, *1911

ausgewiesen 1938 nach Polen
Schicksal unbekannt


Hauffstr. 2
Bremen-Walle
ehemalige Straßenbezeichnung: Wilhelmshavener Str. 3


Hauffstr. 2 - Weitere Stolpersteine:


Max Nadel



Familienbiografie
Naftali Nadel
Golda Nadel, geb. Stark
Judith Nadel
Max Nadel

Naftali Nadel (genannt Treff) wurde am 22.3.1882 in Dukla, Bezirk Jaslo in Galizien geboren. Bereits seine Eltern Joan und Regine Nadel wurden Treff genannt, ohne dass hierfür aus Quellen eine Erklärung hervorgeht. Im Jahr 1907 heiratete er in Liskow, Bezirk Sanok nach jüdischem Recht Golda (Golde) Stark. Die standesamtliche Trauung erfolgte im August 1911.

Golda Nadel wurde am 29.3.1882 als Tochter des Kaufmanns Ephraim Stark und seiner Ehefrau Sara, geb. Lau, in Liskow geboren. Sie besuchte die Volksschule. Aus ihrer Ehe mit Naftali Nadel gingen fünf Kinder hervor: Dvora (geb. 1909 in Sanok), Max (geb. 1911 in Liskow), Fanny (geb. 1913 in Sebaldsbrück), Marie (geb. 1917 in Bremen) und Judith (geb. 1922 in Bremen). Alle Mitglieder der Familie besaßen die polnische Staatsangehörigkeit.

Naftali Nadel kam als Jugendlicher nach Deutschland. Er ging zunächst nach Hamburg- Harburg, dann zog er nach Bremen, zunächst in den Stadtteil Horn, später nach Sebaldsbrück. Golda war ab 1915 in Horn gemeldet. Die genauen Anschriften sind nicht bekannt. Mit dem Hinweis vom „Militär Österreich kommend“ war Naftali Nadel ab 1917 mit seiner Familie in Bremen-Walle, Wilhelmshavener Straße 3 (heute annähernd Hauffstraße 2) gemeldet. Zunächst betrieb er hier ein Lebensmittelgeschäft, ab 1919 meldete er ein Gewerbe für Kurz-, Weiß- und Wollwaren an. Er war so erfolgreich, dass die Häuser Wilhelmshavener Straße 3 sowie Spichernstraße 16 in der Doventorsvorstadt erworben werden konnten.

In dem mehrstöckigen Haus Wilhelmshavener Straße 3 lebte die Familie in einer komfortablen Fünf-Zimmer-Wohnung. Drei weitere Zimmer wurden möbliert oder leer vermietet. Zusätzliches Einkommen erzielte Naftali Nadel durch den Verkauf von Textilien in Bremen und den umliegenden Landgebieten. Während seiner Abwesenheit führte seine Ehefrau das Geschäft. Auch sonst arbeitete sie im Laden mit. Für den Haushalt war eine Hilfe angestellt. Er war großbürgerlich ausgestattet, und es gab zahlreiche Bücher religiösen Inhalts, aber auch Belletristik und deutsche Klassiker. Den Töchtern wurde eine großzügige Mitgift bei ihren Eheschließungen zugeeignet bzw. in Aussicht gestellt (Dvora Kupferberg 1930, Fanny Wagschal 1934).

Aufgrund der Boykottmaßnahmen gegen Juden verschlechterte sich die Lage der Familie ab 1933 zusehends. Am 7.12.1936 musste das Geschäft geschlossen werden. Am selben Tag meldete Naftali Nadel ein Hausierhandelsgewerbe für Kurz- und Weißwaren an, das er aber bereits wenige Monate später wieder abmelden musste.

Die Tochter Marie hatte Anfang 1933 eine Ausbildung in der Buchdruckerei H. Klingenberg, Bremen, begonnen, die sie nach Ablauf des ersten Lehrjahres abbrechen musste, angeblich weil sie Jüdin war. Sie wurde dann als „Hausgehilfin“ bezeichnet und war mit wenigen Unterbrechungen bei ihren Eltern gemeldet.

Der Sohn Max absolvierte eine Lehre als Buchhalter und Expedient bei der Firma Bernhard Thiesing (Bremen, Schwalbenstraße 16, ohne Gewerbeangabe), in der er zunächst noch weiterarbeiten konnte. Anschließend war er Filmvorführer bei Simon Horwitz, der mehrere Kinos besaß. Nach der „Arisierung“ der Kinos 1936 arbeitete er bei dem Kaufmann Hersch Oliver.

Am 27.10.1938 erhielten Naftali, Golda, Max und Marie Nadel das Verbot, sich im deutschen Reichsgebiet aufzuhalten, bis zum 29.10.1938 mussten sie nach Polen ausreisen (siehe Glossar). Max war auf seiner Arbeitsstelle verhaftet worden. Marie schilderte nach Kriegsende die Ereignisse so:

"Ich kam abends um 11.00 Uhr in unsere Wohnung und fand meine Eltern bereits nicht mehr vor. Mein Bruder war ebenfalls nicht gekommen. Vor der Tür standen Beamte der geheimen Staatspolizei, die auf mich gewartet hatten. [...] Man sagte mir, ich solle mitkommen, es sei nur zum Verhör."

Im Untersuchungsgefängnis sah sie ihre Mutter und am Bahnhof ihren Vater und Bruder wieder. In Fraustadt (heuteWschowa/Polen) musste sie den Zug verlassen und wurde danach – begleitet von deutschen Polizeibeamten in Zivil – in Lissa (heute Leczno/ Polen) abgesetzt. Sie gelangte nach Krakau, wo sie ihre Familie einschließlich ihrer in Dessau lebenden und von dort aus deportierten Schwester Judith wiedersah. Judith hatte dort eine Schneiderlehre begonnen. Mitarbeiter jüdischer Wohlfahrtseinrichtungen sorgten in Krakau für ein Mindestmaß an Unterkunft und Verpflegung. Da die Stadt mit Flüchtlingen überfüllt war, erhielt Marie Nadel eine Fahrkarte nach der im äußersten Südosten Polens gelegenen Stadt Przemyzl, wo Verwandte der Familie lebten. Einen polnischen Pass hatte sie nicht.

Golda Nadel wurde im Sommer 1939 erlaubt, „zur Abwicklung ihrer Angelegenheiten“ mit einem Passierschein nach Bremen zurückzureisen. Mieter des Hauses Wilhelmshavener Straße 3 sahen, dass sie Hausrat und persönliche Gegenstände in eine große Holzkiste verlud. Wegen des Kriegsausbruches am 1.9.1939 war der Transport nach Polen allerdings unmöglich geworden, und die Gegenstände wurden bei einer Spedition untergestellt.

Am 15.2.1940 musste Golda Nadel Bremen wieder verlassen. Am Bahnhof wurde ihr der Pelzmantel abgenommen, und sie sollte verhaftet werden. Nur durch die Intervention des Bezirksleiters der Reichsvereinigung der Juden, Carl Katz, durfte sie dann doch noch ausreisen.

Die Spuren von Naftali Nadel, seiner Ehefrau Golda, des Sohnes Max und der Tochter Judith verlieren sich in Krakau. Weitere Angaben über ihr Schicksal sind nicht bekannt.

Die beiden Grundstücke der Familie Nadel wurden beschlagnahmt und kommissarisch verwaltet. Das Haus Wilhelmshavener Straße 3 wurde zum „Judenhaus“ erklärt, in dem etwa 20 Personen zwangsweise wohnen mussten. Am 18.8.1944 brannte es beim Bombenangriff auf den Bremer Westen ab. Die eingelagerten Haushaltsgegenstände der Familie Nadel waren schon am 25.2.1943 von der „Haupttreuhandstelle Ost“ versteigert worden.

Die Tochter Marie Nadel wurde im Sommer 1940 von der sowjetischen Besatzung nach Sibirien deportiert. Sie hielt sich bis 1944 in Aldan im Rayon Jarkutsk auf. Im Mai 1946 kam sie mit einem Transportzug zurück nach Wroclaw (Breslau) und gelangte von dort über die Tschechoslowakei und Österreich nach Teublitz bei Regensburg. Im Jahr 1947 verbrachte sie einige Wochen in Bremen, um Nachforschungen über ihre Familie anzustellen. 1949 wanderte sie von Bamberg nach Israel aus, wo sie am 2.9.1952 Max Wolf (geb. 1921 in Breslau) heiratete. Am 25.7.1958 kam sie als verwitwete Miriam Wolf, geb. Nadel-Treff nach Bremen zurück.

Ihre Schwester Dvora Nadel, verheiratete Kupferberg, hatte bereits 1934 Deutschland verlassen und lebte in Palästina. Die Schwester Fanny (später Yetta) Wagschal, geb. Nadel, war im November 1933 nach Antwerpen emigriert. Sie wurde dort 1944 verhaftet und über das Sammellager Malines/Mechelen am 31.7.1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Gegen Ende des Krieges wurde sie in das Frauen-Arbeitslager nach Liebau (heute Lubawka/ Polen) verlegt, ein Nebenlager des Konzentrationslagers Groß-Rosen. Am 8.5.1945 wurde das Lager von russischen Truppen befreit. Sie traf nach dem Krieg ihren Ehemann wieder, der in einem Arbeitslager in Frankreich überlebt hatte, und emigrierte später in die USA.

Barbara Ebeling (2019)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54 E-4332, 4,54-E4047, 4,54-E11209, Einwohnermeldekartei
Schwarzwälder, Herbert: Geschichte der Freien Hansestadt Bremen, Bd. IV, Bremen 1995
Eckler-von Gleich, Cecilie/ Kühne, Rosie: Juden in Walle, Bremen 1990

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Polenaktion"
Glossarbeitrag "Arisierung"
Glossarbeitrag Malines / Mechelen