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Moritz Liebenthal, *1875

deportiert 1942 nach Theresienstadt
tot 3.8.1942


Nordstr./in Höhe der Haltestelle Grenzstr.
Bremen-Walle
ehemalige Straßenbezeichnung: Nordstr. 210


Nordstr./in Höhe der Haltestelle Grenzstr. - Weitere Stolpersteine:


Moritz Liebenthal


Moritz Liebenthal wurde am 4.6.1875 in Spaden (damals Kreis Wesermünde) geboren. Seine Eltern waren Isidor Liebenthal und Sophie Liebenthal, geb. Levi. Im November 1902 heiratete Moritz Liebenthal Henriette Selig, geboren am 30.4.1876 in Schlüchtern/ Hessen. Ihre Eltern waren der Metzger Callmann Selig und Hannchen, geb. Canthal. Aus der Ehe von Moritz und Henriette gingen zwei Kinder hervor: Rena (geb. 1906) und Karl (geb. 1909).

Moritz Liebenthal war wie sein Vater von Beruf Schlachter und fuhr 21 Jahre lang als Koch auf Schiffen des Norddeutschen Lloyd zur See, u.a. auf den Dampfern COLUMBUS und EUROPA. 1935 musste er aus Krankheitsgründen die Seefahrt aufgeben. Nach Angaben der Tochter Anfang der 1960er Jahre sei ihr Vater dann entlassen worden, „weil er Jude war“. Der Norddeutsche Lloyd behauptet hingegen, dass Liebenthals Entlassung „keinesfalls auf nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen zurückzuführen sei“.

Das Ehepaar Liebenthal besaß seit 1908 in Bremerhaven-Lehe, Lange Straße 75, ein Wohn- und Geschäftshaus, in dem Henriette („Jettchen“) Liebenthal seit 1913 ein Möbelgeschäft betrieb: „An- und Verkauf von neuen und gebrauchten Möbeln“. Im Hinterhaus vermietete sie Zimmer. Sohn Karl hatte im Haus seiner Eltern ein Zigarrengeschäft, später meldete er auch den Verkauf von „Flaschenbier und Selter“ an. Im Jahr 1932 übernahm er zusätzlich das Möbelgeschäft. Karl Liebenthal war ledig.

Aufgrund des Boykotts jüdischer Geschäfte und Betriebe unter dem NS-Regime brachen die Umsätze ein, das Möbelgeschäft musste 1938 schließen. Die Mieter zogen aus. Die Familie lebte von den Umsätzen des Zigarrengeschäftes. In der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde dieses von der SA vollkommen „demoliert“, wie ein Zeuge später angab. Dennoch sollte eine Judenvermögensabgabe in Höhe von 1.200 RM gezahlt werden. Moritz Liebenthal stellt in einer Eingabe an den Oberfinanzpräsidenten Weser-Ems vom 20.12.1938 die desolate finanzielle Situation seiner Familie dar. Er sei zahlungsunfähig, da seine Ehefrau Henriette seit Jahren krank sei und sich nicht ohne fremde Hilfe fortbewegen könne. Er selbst sei Kleinrentner, erhielte monatlich 46,80 RM, und Sohn Karl sei nach der Geschäftsschließung nicht mehr in der Lage, seine Eltern finanziell zu unterstützen. Am 15.1.1942 versuchte er, eine Genehmigung zum Verkauf noch vorhandener Möbel beim Oberfinanzpräsidenten Weser-Ems zu bekommen, die ihm aber versagt wurde. Das Haus in Bremerhaven wurde im Juli 1940 beschlagnahmt und 1943 auf das Deutsche Reich überschrieben.

Moritz und Henriette Liebenthal mussten Bremerhaven verlassen und zogen am 20.1.1942 nach Bremen in das „Judenhaus“ in der Wilhelmshavener Straße 3 (heute annähernd Hauffstraße 2) und wenige Tage später in das „Judenhaus“ in der Nordstraße 210 (heute Nordstraße/in der Höhe der Haltestelle Grenzstraße). Henriette Liebenthal starb dort nach wenigen Tagen am 28.1.1942.

Moritz Liebenthal wurde am 23.7.1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort starb er am 3.8.1942. Laut Todesfallanzeige der Ghettoverwaltung war die Todesursache Rotlauf (Ekysipelas).

Die Eltern Liebenthal hatten noch in Bremerhaven erleben müssen, dass Sohn Karl Elternhaus und Heimatstadt verlassen musste. Er wurde am 18.11.1941 von Bremerhaven über Bremen in das Ghetto Minsk deportiert. Dort wurde er ermordet: Sofern er nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto erlag, fiel er einer der Massenmordaktionen zum Opfer, die Ende Juli 1942 begannen.

Die Tochter Rena (verh. Simon) wanderte bereits 1929 in die USA/New York aus. Solange ihr Vater noch zur See fuhr, erhielt sie regelmäßig Besuch von ihm, wenn sein Schiff dort im Hafen lag.

An Moritz Liebenthal und seinen Sohn Karl erinnern auch in Bremerhaven Stolpersteine, eingelassen in den Bürgersteig vor dem Haus Lange Straße 75.

Franz Dwertmann/Manfred Runge (2019)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E 8428, 4,54-E 8584, 4,54-Rü 5455, 4,57/12-75, Einwohnermeldekartei
ITS Digital Archive, Bad Arolsen
Standesamt Schlüchtern, Auskunft
www.holocaust.cz


Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Judenhäuser"
Glossarbeitrag Theresienstadt